Der neuerliche Angriff der israelischen Armee auf Gaza findet vor einem veränderten Hintergrund statt. Zwar hat US-Außenminister Marco Rubio, der gerade erst in Israel war, dem Vorhaben vermutlich seinen Segen erteilt, aber im Rest der Welt verschärft sich die Reaktion gerade deutlich.
Die UN-Menschenrechtskommission veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie das israelische Vorgehen als Genozid bewertet – ebenso wie der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman plötzlich von Genozid spricht, und der Premierminister Pakistans auf einem Gipfel der Islamischen Organisation für Zusammenarbeit in Doha eine gemeinsame Eingreiftruppe forderte, um den israelischen Expansionismus zu beschränken, und die Suspendierung der UN-Mitgliedschaft Israels.
Die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Palästina, Francesca Albanese, hat wiederum Schätzungen veröffentlicht, nachdem die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen mittlerweile 680.000 betragen könnte. Die Angehörigen der verbliebenen israelischen Geiseln halten derweil eine Mahnwache vor der Wohnung von Premierminister Benjamin Netanjahu in Jerusalem ab, und erklärten, das militärische Vorgehen in Gaza bringe das Leben ihrer Angehörigen weiter in Gefahr.
Der israelische Angriff begann bereits am Montagabend mit schweren Luftangriffen. Zwei Divisionen der israelischen Armee bewegen sich nach Gaza hinein, mehrere Zehntausend Soldaten, und eine weitere soll sich ihnen in den nächsten Tagen anschließen. Gaza ist bereits weitgehend zerstört. In den vergangenen Tagen wurde eine ganze Reihe noch verbliebener Hochhäuser von den Israelis gesprengt.
UN-Generalsekretär Guterres hat auf einer Pressekonferenz vor der 80. Vollversammlung der Vereinten Nationen erklärt, der Angriff in Katar habe gezeigt, dass Israel nicht an ernsthaften Verhandlungen und einer Befreiung der Geiseln interessiert sei. Der Krieg im Gazastreifen sei moralisch, politisch und rechtlich nicht hinnehmbar.
Im Verlauf des Tages wurden in Gaza bereits mindestens 89 Menschen durch den israelischen Angriff getötet. 428 Menschen, darunter 146 Kinder, sind verhungert, seit die israelische Belagerung die Versorgung des Gazastreifens abgeschnitten hat. Nach wie vor befinden sich etwa eine Million Menschen in Gaza und den Städten nördlich davon. 190.000 von ihnen haben sich in den Süden geflüchtet, während andererseits etwa 15.000 wegen der verheerenden Bedingungen in den von der israelischen Armee ausgewiesenen "Sicherheitszonen" wieder zurückgekehrt sind. Die israelischen Bodentruppen dringen langsam in die Wohngebiete in Gaza ein.
Die schwedische Außenministerin Maria Malmer Stenegard hat erklärt: "Die Offensive verschlimmert eine bereits katastrophale humanitäre Situation und führt zu breiter erzwungener Vertreibung der Zivilbevölkerung, was das Völkerrecht verletzt." Sie forderte, die Handelsvorteile Israels aus dem Assoziierungsabkommen mit der EU einzufrieren. Am Mittwoch will die EU-Kommission über Maßnahmen gegen Israel sprechen. Dabei soll auch über eine Aufhebung von Handelsbestimmungen gesprochen werden.
Nach Berichten der israelischen Zeitung Haaretz haben mehrere israelische Menschenrechtsorganisationen von der israelischen Regierung gefordert, die Vertreibungsdrohung für Gaza aufzuheben. Die Drohungen zielten darauf, "eine erschöpfte und verhungernde Bevölkerung zu vertreiben, die nirgendwohin kann". Diese Befehle beruhten "nicht auf militärischer Notwendigkeit" und "widersprechen dem Völkerrecht" und sollten daher nicht befolgt werden.
Der Sprecher der israelischen Armee erklärte, Gaza-Stadt sei "der zentrale Knoten der militärischen und politischen Macht der Hamas", und die Kämpfer hätten die Gegend in "das größte menschliche Schild der Geschichte" verwandelt. "Unter den Straßen verläuft ein großes Netzwerk von Tunneln, die Kommandozentralen verbinden, Raketenwerfer und Waffenlager – alles absichtlich unter Zivilisten verborgen, in ziviler Infrastruktur", sagte er.
Die Hamas wiederum ließ erklären:
"Die Behauptungen des Sprechers der feindlichen Armee bezüglich der Nutzung von Wohntürmen in Gaza Stadt für militärische Zwecke sind nichts als blanke Lügen. Der Feind versucht, seine Verbrechen zu rechtfertigen, um die systematische Zerstörung von Gaza-Stadt zu verhüllen, so, wie er zuvor die Städte Rafah, Khan Junis, Dschabalia, Beit Hanun und Beit Lahia zerstört hat."
Inzwischen hat der irische Präsident auf den Bericht der Menschenrechtskommission reagiert und Forderungen aufgestellt, die nicht nur Israel betreffen, sondern auch seine Verbündeten:
"Ich glaube selbst, dass die Handlungen, die jetzt nötig sind, der Ausschluss derjenigen ist, die Völkermord praktizieren, und jener, die den Völkermord mit Waffen unterstützen. Wir müssen über ihren Ausschluss aus den Vereinten Nationen selbst nachdenken, und wir sollten nicht länger zögern, Handel mit Leuten zu beenden, die das unseren Mitmenschen antun."
Die internationale Reaktion ist nicht nur deshalb so viel deutlicher als in den vergangenen zwei Jahren, weil der Beginn dieser israelischen Offensive sich mit der Vollversammlung der Vereinten Nationen überschneidet. Es ist zudem der Jahrestag des Beginns des Massakers von Sabra und Schatila im Jahr 1982, als israelische Truppen in Beirut falangistischen Milizionären den Zugang zu den zwei palästinensischen Flüchtlingslagern gewährten, wo diese ein Massaker anrichteten, das bis zu 3.000 Opfer forderte.
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