Gazastreifen: Haaretz bestätigt Befehle zur Ermordung palästinensischer Nahrungshilfeempfänger

Menschen aushungern, dann zu Stellen locken, an denen sie Nahrung erhalten können, und dort unter Beschuss nehmen – das schien das Muster zu sein, nach dem in den letzten Wochen gegen die Einwohner des Gazastreifens vorgegangen wurde. Jetzt steht fest: Es geschah auf Befehl.

Die Meldungen, dass rund um die Verteilstellen der mit US-Unterstützung betriebenen neuen "humanitären Hilfsorganisation" Gaza Humanitarian Foundation (GHF) manchmal Dutzende Palästinenser, die dort um Nahrung anstanden, ermordet wurden, gibt es, seit die GHF an die Stelle der UNRWA getreten ist. Die UNRWA, das UN-Hilfswerk für Palästina, wurde von Israel daran gehindert, seine Aufgabe zu erfüllen, mit der Begründung, es habe Verbindungen zur Hamas. Der Gazastreifen ist seit Monaten von der Versorgung von außen abgeschnitten, was eine akute Hungersnot ausgelöst hat.

Der Bericht der oppositionellen israelischen Zeitung Haaretz bringt nun erstmals Zeugenaussagen aus der israelischen Armee, in denen Soldaten bestätigen, ihnen sei befohlen worden, die Waffen auf die Hungernden zu richten. Nach Meldung des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen, die die Zeitung ebenfalls zitiert, sind seit dem 27. Mai 549 Menschen bei diesen Ausgabestellen getötet und mehr als 4.000 verwundet worden.

Die GHF wurde von Israel in Zusammenarbeit mit Evangelikalen aus den USA und privaten Söldnerfirmen gegründet; der Geschäftsführer soll, so Haaretz, sowohl mit US-Präsident Donald Trump als auch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu befreundet sein.

Vier Ausgabestellen werden von dieser Stiftung im Gazastreifen betrieben, die täglich von Tausenden Palästinensern aufgesucht werden. Sie öffnen täglich nur für eine Stunde, meist am Morgen. Einer der Soldaten beschrieb die Lage so: "Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einer und fünf Personen getötet. Sie wurden wie eine feindliche Truppe behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle von Mengen, kein Tränengas, nur scharfes Feuer, mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum öffnet, hört das Schießen auf, und sie wissen, dass sie nahe kommen können. Gewehrfeuer ist unsere Art der Kommunikation." Er nannte das "ein Feld des Schlachtens".

Ein israelischer Offizier erklärte: "Es ist weder ethisch noch moralisch akzeptabel, dass Menschen [eine humanitäre Zone] unter Panzerbeschuss, Scharfschützen und Mörsergranaten erreichen müssen oder sie nicht erreichen können."

Das Gebiet um die Ausgabestellen sei in drei Zonen eingeteilt: in der Mitte die eigentliche Ausgabestelle, betrieben mit US-amerikanischem Personal; darum ein Ring, der von der Abu-Shahab-Miliz abgesichert wird, und ein weiterer, von dem aus die israelische Armee die Zone kontrolliert. Die Abu-Shahab-Miliz ist eine Gruppe, die einem verurteilten Drogendealer und Gangster mit Verbindungen zum IS untersteht, der nun von Israel systematisch gefördert wird.

Der Zeitraum, in dem die Ausgabestellen geöffnet sind, ist nicht zuverlässig. Aber außerhalb dieses Zeitraums wird jeder, der ihr zu nahe kommt, zum Ziel. "Anfang des Monats", sagte der Offizier zu Haaretz, "gab es Fälle, da wurde uns mitgeteilt, es sei eine Nachricht verschickt worden, dass das Zentrum am Nachmittag öffnet, und Leute kamen schon früh am Morgen, um die Ersten in der Schlange für Nahrung zu sein. Weil sie zu früh kamen, wurde die Ausgabe für diesen Tag gestrichen."

Ein Panzersoldat, der jüngst im nördlichen Gazastreifen gedient hat, beschrieb die "Abschreckungsprozedur" der israelischen Armee. Die Soldaten befänden sich in Hunderten Metern Entfernung, und eigentlich sollen sie Warnschüsse abgeben. "Aber zuletzt wurde es zum Standardverfahren, Granaten zu feuern. Jedes Mal, wenn wir schießen, gibt es Verwundete und Tote, und wenn jemand fragt, warum eine Granate nötig sei, gibt es nie eine gute Antwort. Manchmal verärgert schon allein die Frage die Kommandeure."

Ein weiterer Reserveoffizier berichtete von einem Vorfall, bei dem zehn Menschen getötet wurden: "Als wir fragten, warum sie das Feuer eröffneten, wurde uns gesagt, Befehl von oben, und die Zivilisten hätten eine Bedrohung für die Truppe dargestellt. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Leute nicht in der Nähe der Truppen waren. (...) Sie wurden einfach getötet, für nichts." Er fügte weiter hinzu: "Meine größte Angst ist, dass das Beschießen und Töten von Zivilisten im Gazastreifen nicht das Ergebnis einer operativen Notwendigkeit oder einer schlechten Entscheidung ist, sondern vielmehr das Produkt einer Ideologie, der die Kommandeure im Feld anhängen und die sie an die Truppen als Einsatzplan weitergeben."

Ein weiterer Offizier berichtet aus einer Kommandobesprechung des südlichen Kommandos. "Sie reden darüber, Artilleriegranaten auf einer Kreuzung voller Zivilisten einzusetzen, als wenn es normal wäre. (...) Niemand hält inne, um zu fragen, warum jeden Tag Dutzende Zivilisten getötet werden, die nach Nahrung suchen."

Ein weiterer Offizier fragt: "Warum haben wir einen Punkt erreicht, an dem ein Teenager sein Leben riskiert, um einen Sack Reis von einem Laster zu ziehen? Und das sind die, auf die wir mit Artillerie schießen?"

Weitere Zeugen aus dem Offizierskorps der israelischen Armee beklagen, dass nur oberflächliche Untersuchungen zu diesen Vorfällen stattfinden, aber keinerlei disziplinarische Maßnahmen ergriffen werden. Die offizielle Stellungnahme der israelischen Armee spielt die stetigen Morde herunter:

"Nach Vorfällen, bei denen es Berichte gab, dass Zivilisten, die an den Verteilungszentren eintrafen, zu Schaden gekommen wären, wurden gründliche Untersuchungen durchgeführt, und den Truppen vor Ort wurden Anweisungen auf Grundlage der gezogenen Schlüsse erteilt."

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen forderte nun ein "Ende des tödlichen Verteilmechanismus zur Lebensmittelvergabe". Sie bestätigte die steigende Zahl von Menschen mit Schussverletzungen und erklärte: "Die internationale Gemeinschaft nimmt die Vorfälle im Gazastreifen lediglich zur Kenntnis, obwohl sie den Mustern eines Völkermords entsprechen."

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