Möglicher US-Abzug aus Syrien: Wer bekommt dann das Öl?

Medien zufolge erwägt man im Pentagon Szenarien, wonach alle US-Soldaten innerhalb weniger Monate aus Syrien abgezogen werden könnten. Offen aber bleibt unter anderem, wer künftig die Kontrolle über die syrischen Erdölvorkommen im Nordosten des Landes haben wird.

Von Alex Männer

Bereits in seiner ersten Amtszeit hatte der US-Präsident Donald Trump in Erwägung gezogen, alle US-Truppen aus Syrien abzuziehen. Allerdings kam es deshalb zu Differenzen zwischen ihm und dem damaligen Verteidigungsminister James Mattis, sodass das Vorhaben nie umgesetzt wurde.

Wie vergangene Woche jedoch bekannt geworden ist, stellt Trump erneut den Abzug aller in Syrien stationierten US-Militärs in Aussicht. Laut dem TV-Sender NBC soll das US-Verteidigungsministerium bereits Pläne ausarbeiten, um die etwa 2.000 US-Soldaten, die sich in dem Nahostland befinden, abzuziehen. Demnach könnte der vollständige Abzug der Streitkräfte innerhalb von 30, 60 oder 90 Tagen erfolgen.

Damit würde die seit fast zehn Jahren andauernde illegale Präsenz der Vereinigten Staaten in Syrien zu Ende gehen. Sie hatten im Oktober 2015 unter dem Vorwand, die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zu bekämpfen, ohne Einwilligung der syrischen Regierung Truppen nach Syrien entsandt. Dabei besetzten die US-Truppen die an Erdöl reichen Gebiete im Nordosten des Krisenlandes und hindern die Syrer seitdem daran, Nutzen aus den eigenen Ressourcen zu schöpfen.

Es geht um die Provinzen Deir ez-Zor und al-Hasaka, die über große Erdölvorkommen verfügen und wo US-Militärs sowie deren Verbündete von der kurdisch geführten Miliz "Demokratische Kräfte Syriens" (SDF) schon seit Jahren illegal syrisches Erdöl ausbeuten. Mithilfe der lokalen kurdischen Selbstverwaltung fördern die Amerikaner das Öl und transportieren es anschließend per Tanklaster in den Nordirak, berichteten wiederholt die syrischen Medien. Demzufolge gab es in den vergangenen Jahren zahlreiche Konvois, die stets aus mehreren Dutzend Tanklastwagen bestanden.

Dies stellt für das vom Bürgerkrieg gebeutelte Syrien und seine Menschen ein enormes Problem dar. Abgesehen davon hat Damaskus immer wieder klargemacht, dass die Präsenz der Amerikaner in Syrien sowohl gegen syrisches Recht als auch gegen das Völkerrecht verstößt und somit illegal ist. Schließlich gehören die Ressourcen in den besagten Provinzen ungeachtet der realpolitischen Situation im Land nach wie vor dem syrischen Staat, weshalb die dortige Erdölförderung und deren anschließender Export durch fremde Akteure ebenfalls illegal sind.

Ein Abzug der US-Truppen könnte dem Treiben jedoch ein Ende setzen ‒ wobei sich die Frage stellt, wer danach über das syrische Öl bestimmen wird.

Syrische Übergangsregierung, Kurden oder die Türkei?

Rechtlich betrachtet obliegt die Kontrolle über die Ölfelder der sogenannten "Übergangsregierung Syriens", die nach dem Sturz von Baschar al-Assad durch radikale Islamistengruppen wie die "Haiat Tahrir asch-Scham" (HTS) im Dezember das Sagen im Land hat. Es ist derzeit aber so, dass die neue Führung um den Übergangspräsidenten und Ex-IS-Anhänger Ahmed al-Scharaa primär damit beschäftigt ist, ihre Macht im Land zu erhalten und zu festigen, weshalb vorerst nicht davon auszugehen ist, dass sie ihr Recht in Bezug auf die Ölvorkommen mit Waffengewalt und im Alleingang durchsetzen wird. Zumal die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate gezeigt haben, dass die Kurden über kampfstarke Verbände verfügen und nicht so leicht zu besiegen sind wie beispielsweise die früheren Regierungstruppen Syriens.

Insofern zählen die kurdischen bewaffneten Gruppen heute zu den Hauptakteuren in Syrien, wo sie rund ein Drittel des Staatsterritoriums (nahezu alle Landesteile östlich des Euphrats) und die wichtigsten Ölvorräte kontrollieren. Zurzeit führen sie Verteidigungskämpfe gegen die Türkei-nahen Kräfte, meist in den mehrheitlich von Arabern besiedelten Regionen außerhalb des kurdischen Siedlungsgebiets. Es ist jedoch fraglich, ob die Kurden künftig ohne die militärische Unterstützung der US-Armee auskommen werden. Hinsichtlich Trumps Abzugsplänen haben sie bereits Besorgnis geäußert, da sie eine Aggression durch die Türkei befürchten, falls die Verbündeten wirklich abziehen sollten.

Die Türkei wiederum, die die syrischen Kurden als Terroristen eingestuft hat und deren Volksverteidigungskräften (YPG) vorwirft, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bei ihrem Aufstand gegen den türkischen Staat zu unterstützen, hat selbst weitreichende Pläne, die den Norden und wahrscheinlich auch den Nordosten Syriens betreffen. Aus diesem Grund richtet sie ihre Aktionen seit dem Umbruch in Syrien Ende 2024 zunehmend gegen die Kurden und konnte gemeinsam mit den syrischen Rebellen so die YPG aus den Städten Manbidsch und Tall Rifaat in der Provinz Aleppo sowie aus der Großstadt Deir ez-Zor in der gleichnamigen Provinz vertreiben. Dadurch erlangten die türkischen Streitkräfte die Kontrolle über große Gebiete im Norden und Osten Syriens.

Angesichts dessen gehen diverse Experten davon aus, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Offensive im Nordosten Syriens plant und nach dem Abzug der US-Streitkräfte dafür schließlich freie Hand hätte. Es ist allgemein bekannt, dass die kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens für Erdoğan ein Dorn im Auge ist und dass er in die Kurdengebiete am liebsten einmarschieren würde. Diesbezüglich hat er dem neuen syrischen Machthaber al-Scharaa bei dessen kürzlichem Besuch in Ankara bereits angeboten, Syrien im Kampf "gegen alle Arten von Terrorismus zu unterstützen", schreibt die Nachrichtenagentur Al Jazeera. Bei den Gesprächen ging es demnach auch um "Bedrohungen", "die die territoriale Integrität im Nordosten Syriens verhindern" – gemeint sind natürlich die SDF und ihr militärischer Flügel, die YPG.

Somit hängt die weitere Entwicklung in dieser Region weitgehend davon ab, ob die syrische Übergangsregierung und die Türkei sich auf eine gemeinsame Strategie in Bezug auf die Kurden einigen werden. Andernfalls könnte Damaskus mit den Kurden durchaus selbst eine Einigung erzielen, wodurch die YPG und Co. gute Chancen hätten, ihre Vormachtstellung im Nordosten Syriens weiter zu erhalten.

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