Waffenstillstandsabkommen zwischen Hamas und Israel: Ein Desaster für Netanjahu

Die Hamas ist nach der Waffenruhe wieder in der Lage, die Kontrolle über die zivilen Angelegenheiten in Gaza zu übernehmen und ihre militärische Stärke allmählich wieder aufzubauen. Die Koalition um Netanjahu steht in Israel nun auf der Kippe.

Von Armin Schmitt

Israel und die Hamas haben sich auf ein Abkommen geeinigt, das zum Ende des Kriegs im Gazastreifen und zur Freilassung der Geiseln sowie palästinensischer Häftlinge führen soll. Die Umsetzung des Geiselabkommens soll Anfang nächster Woche beginnen. Beide Seiten haben ein Interesse daran, den Waffenstillstand sechs Wochen lang aufrechtzuerhalten und die Freilassung von 33 Geiseln im Austausch gegen mehr als 1.200 palästinensische Gefangene zu erzielen. Die eigentliche Bewährungsprobe kommt in der zweiten Phase. Dabei geht es um die Freilassung der zweiten Gruppe israelischer Geiseln, lebendig oder tot, nach Abschluss des israelischen Rückzugs aus dem Gazastreifen. 

Trump schrieb am Mittwochabend auf seiner Plattform Truth Social, die "historische" Vereinbarung sei nur durch seinen Sieg bei den Präsidentenwahlen möglich geworden. Aber auch der scheidende US-Präsident Joe Biden nimmt für sich in Anspruch, großen Anteil am Zustandekommen des Deals zu haben.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Mittwochabend, Israel werde seine Truppen schrittweise auch aus dem Phidadelphi-Korridor abziehen, der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte demgegenüber kurz zuvor behauptete, dank Netanjahus Beharrlichkeit habe die Hamas in letzter Minute ihre Forderungen aufgegeben, die Bestimmungen hinsichtlich der Stationierung israelischer Truppen im Philadelphi-Korridor zu ändern.

Premierminister Benjamin Netanjahu war lange Zeit nicht an diesem Abkommen interessiert. Die Kontrolle des sogenannten Philadelphi-Korridors an der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten wurde als ewiges Sicherheitsgebot für Israel dargestellt. Dass Netanjahu unter dem Druck von Trump von diesem Prinzip abgerückt ist, zeigt die schwache Position des Premierministers in der aktuellen Gemengelage in Israel. Dabei ist auch geplant, dass die IDF den Netzarim-Korridor im Zentrum des Gazastreifens  verlassen.

Die wichtigste Überlegung, die Netanjahu seit geraumer Zeit antreibt, ist sein politisches Überleben. Seine Arroganz und die Konzentration auf seinen Korruptionsprozess trugen unter anderem zu dem Hamas-Überfall am 7. Oktober bei. Seine Leistung hat sich während des gesamten Krieges nicht wesentlich verbessert. Hätte Netanjahu sich die Mühe gemacht, diplomatische Lösungen für die Zeit nach Hamas mit den Golfstaaten und den USA auszuhandeln, hätte das israelische Militär in den letzten Monaten vielleicht nicht unnötig in Gaza festsitzen müssen.

Die Hamas ist nun besser in der Lage, die Kontrolle über die zivilen Angelegenheiten in Gaza zu übernehmen und ihre militärische Stärke allmählich wieder aufzubauen. Die israelische Öffentlichkeit wird überrascht sein, wenn sie erfährt, welche Zugeständnisse derjenige, der als Verteidiger Israels in die Geschichte eingehen möchte, bei den Verhandlungen machen musste. Das Abkommen bedeutet für Israel, nicht nur die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor aufzugeben, sondern auch über den Netzarim-Korridor. Der jüdische Staat verliert damit auch die Möglichkeit, die Rückkehr von mehr als einer Million palästinensischer Zivilisten in den nördlichen Gazastreifen effektiv zu überwachen. Netanjahu erklärte sich zudem bereit, die Einreise von 600 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern pro Tag zuzulassen, 100 mehr als im Tagesdurchschnitt vor dem Krieg.

US-Außenminister Antony Blinken sagte bereits am Mittwoch, die Hamas habe inzwischen fast so viele Kämpfer rekrutiert, wie sie durch die israelischen Angriffe verloren habe. Diese Äußerungen unterstreichen die Skepsis der USA hinsichtlich der langfristigen Aussichten der israelischen Bemühungen, die Gruppe seit den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 zu zerschlagen.

In Israel muss Premierminister Benjamin Netanjahu das Abkommen noch durch sein Kabinett bringen, in dem die radikaleren Minister weiterhin gegen ein Ende des Krieges sind. Er wird die Abstimmung mit ziemlicher Sicherheit gewinnen, aber seine Regierung könnte daran zerbrechen. 

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