Nach Umsturz in Damaskus: Erdogan zielt auf Zerschlagung der kurdischen Selbstverwaltung in Syrien

Wichtiger als alles andere ist für Erdogan nach dem Assad-Ende die Chance, die kurdische Selbstverwaltung (SDF) im Nordostsyrien zu zerschlagen, die die Türkei als verlängerten Arm der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betrachtet.

Nach dem Zusammenbruch des syrischen Staates würde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den designierten US-Präsidenten Donald Trump auffordern, die US-Truppen aus dem Nordosten Syriens abzuziehen, um die Sicherheit in der Region an die Türkei und ihre Stellvertreter zu übergeben, so die Wochenzeitung The Economist. "Wie viele Syrer feiern auch die Kurden das Ende der Assad-Regierung. Doch ihr Traum von Autonomie beginnt zu schwinden, und zwar schnell", analysierte die britische Wochenzeitung. Die Stellungen der kurdischen Selbstverwaltung (SDF) wurden bereits von der protürkischen Syrischen Nationalarmee (SNA) angegriffen. Am 1. Dezember nahm auch die SNA Tall Rifaat ein, eine Stadt nahe der türkischen Grenze, die zuvor unter kurdischer Kontrolle stand. Eine Woche später nahmen ihre Kämpfer Manbij, eine weitere SDF-Hochburg (kurdische Verwaltung in Syrien), ein.

Nun sind sie offenbar auf dem Vormarsch in Richtung Kobane, das die Kurden im Jahr 2015 vor einem Angriff des IS gerettet hatten. Erdogan hatte zuvor vor einer neuen türkischen Offensive gegen die Kurden gewarnt, mit der er nach eigenen Angaben die "sichere Zone" zu den türkischen Grenzen ausweiten will.

Die Offensive der Dschihadisten der Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) und der Kämpfer der SNA gegen die syrische Armee im Norden Aleppos wurde mit Zustimmung der Türkei durchgeführt. Die Zukunft Syriens ist ungewiss. Weiteres Chaos oder sogar ein neuer Krieg könnten bevorstehen. Aber im Moment sei die Hand von Erdogan in Syrien stärker denn je, hieß es in The Economist

Wichtiger als alles andere ist für Erdogan aber die Chance, die SDF zu zerschlagen, die die Türkei als verlängerten Arm des Erzfeindes Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betrachtet. Die Türkei betrachtet beide als terroristische Gruppen.  Am 11. Dezember erklärte die HTS-Gruppe, die wichtige östliche Stadt Deir ez-Zor von der kurdischen Selbstverwaltung erobert zu haben, die sie zwei Tage zuvor von der syrischen Armee eingenommen hatten.

Für die sunnitischen Araber, die in vielen der von den Kurden kontrollierten Gebiete die Mehrheit bilden, sei die Herrschaft der SDF viel angenehmer als die des Islamischen Staates oder des Assad-Staats gewesen. Die Gleichung änderte sich jedoch mit dem Beginn der sunnitischen Herrschaft in Damaskus, kommentiert The Economist.

Eine Sache, auf die die kurdischen Aufständischen immer noch zählen können, ist der amerikanische Schutz in Form von etwa 900 Soldaten, die an ihrer Seite stationiert sind. Erdogan hofft, dies zu ändern, indem er Trump davon überzeugt, die US-Soldaten abzuziehen, sobald er ins Weiße Haus einzieht. Solche Hoffnungen sind nicht unbegründet. Im Jahr 2019 zog Trump teils die amerikanischen Streitkräfte von der syrischen Grenze zurück und rollte den Teppich für die türkischen Truppen aus. 

Offenbar beabsichtigt der türkische Regierungschef jedoch nicht, eine Einigung mit der PKK auszuhandeln, sondern sie durch eine Kombination aus Gewaltanwendung in Syrien und politischem Druck im Inland in die Knie zu zwingen. 

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