Waffenstillstand zwischen Hisbollah und Israel: Blaupause für eine größere Eskalation in Nahost?

Mit der Waffenruhe entkoppelte Israel den Konflikt mit der Hisbollah von dem in Gaza, wogegen sich libanesische Miliz lange gesträubt hatte. Während der 60-tägigen Waffenruhe könnte die Hisbollah ihre Machtbasis in Libanon neu strukturieren.

Von Armin Schmitt

Nach mehr als einem Jahr Krieg zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah gilt seit dem frühen Morgen eine Waffenruhe. Am späten Abend hatte bereits das Büro von Netanyahu in Tel Aviv mitgeteilt, das Sicherheitskabinett habe die von den USA und Frankreich vermittelte Waffenruhe gebilligt. Als einziger stimmte der ultrarechte Polizeiminister Itamar Ben-Gvir dagegen. 

In einer gemeinsamen Erklärung, die der Élysée-Palast am Abend veröffentlicht hatte, kündigten US-Präsident Biden und der französische Präsident Macron an, die USA und Frankreich würden mit Israel und Libanon zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Vereinbarung vollständig umgesetzt wird.

Nach dem Entwurf zur Waffenruhe, der Netanjahu vorlag, sollen die israelischen Streitkräfte innerhalb von 60 Tagen von dem libanesischen Territorium abziehen. Zugleich soll die libanesische Armee entlang der Grenze Stellung beziehen, während sich die Hisbollah aus dem Grenzgebiet zurückzieht. Im Kern stützt sich die unter der Regie des US-Sonderbeauftragten Amos Hochstein ausgearbeitete Waffenstillstandsvereinbarung auf die UN-Resolution 1701.

Im Ringen um eine Waffenruhe im Libanon würde aber allen Beteiligten klar sein, dass jedes Abkommen kaum mehr wert ist als das Papier, auf dem es steht. Auf dem Papier hatte Israel bereits im Rahmen der UN-Resolution im Jahr 2006 versichert bekommen, dass sich die Hisbollah aus seinem Grenzgebiet fernhalten muss. Die Hisbollah scherte sich aber nicht um die Vereinbarung. Sie brachte unter den Augen der UN-Beobachter ungeniert ihr Raketenarsenal an der Grenze zu Israel in Stellung.

Das Nachrichtenportal Axios berichtete jedoch am Dienstag, dass Washington sich bereit erklärt habe, Israel in einem gesonderten Dokument Unterstützung für israelische Militäraktionen gegen unmittelbare Bedrohungen durch die Hisbollah vom libanesischen Territorium aus zuzusichern.

Die Hisbollah hat seit der September-Offensive Israels im Libanon unter enormem Druck gestanden. Ursprünglich wollte die mit der Hamas verbündete Hisbollah ihre Angriffe auf Israel nach eigenen Angaben erst beenden, wenn eine Waffenruhe im Gazastreifen erreicht worden ist. Auf die Erfüllung dieser Bedingung verzichtete sie nun offenbar.

Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und der darauffolgenden Operation Israels im Gazastreifen eröffnete die Hisbollah am 8. Oktober 2023 eine zweite Front an der israelisch-libanesischen Grenze. Die Hisbollah wollte damit die Hamas entlasten. Die schiitische Miliz legte sich vergeblich darauf fest, dass sie Israel durch einen Mehrfrontenkrieg zu einer Waffenruhe im Gazastreifen drängen könnte. Damit hatte sich die Hisbollah-Führung völlig verkalkuliert. Die Regierung von Benjamin Netanjahu trieb zuletzt im September die Hisbollah vor sich her und eskalierte den Konflikt drastisch in einem Maße, dass die durch massive Luftangriffe auf Beirut überrumpelte Hisbollah nicht mehr in der Lage war, die neue von Tel Aviv entfesselte Aggression richtig einschätzen zu können.

Das aktuelle Abkommen sehen viele Beobachter in Israel als einen schweren Fehler. Ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt werde die Bewohner des Nordens nicht in ihre Häuser zurückbringen und die Hisbollah nicht abschrecken. Vertreter der Gemeinden im Norden Israels hatten sich bereits zuvor kritisch über eine mögliche Vereinbarung geäußert. So nannte Michael Kabesa, der Bürgermeister von Hatzor Haglilit, das Abkommen am Dienstagmorgen eine "Kapitulationsvereinbarung" und eine "historische Schande". Israel bremse auf halbem Weg und verpasse die Chance, die Verhältnisse auf beiden Seiten der Grenze auf Jahrzehnte zu verändern. 

Die Hisbollah könnte eine Kampfpause gut gebrauchen, um sich von der September-Offensive Israels zu erholen und die durch die IDF zerschlagenen Strukturen innerhalb der Schiitenorganisation wieder aufzubauen. Viel spricht aber auch dafür, dass Netanjahu nach Trumps Amtsübernahme in den USA die Kämpfe im Libanon und Syrien in größerem Ausmaß erneut aufnehmen könnte, um Irans Achse des Widerstands für unabsehbare Zeit massiv zu schwächen – bevor Israel Irans Atomprogramm ins Visier nimmt. Allerdings benötigt er zuvor eine Vereinbarung im Gazastreifen, und zwar über die Befreiung der verbliebenen Geisel aus der Hand der Hamas.

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