Von Armin Schmitt
In den vergangenen Tagen explodierten tausende Pager und dann auch noch Funkgeräte von Hisbollah-Kämpfern und -Beamten im Libanon. Die vom Mossad durchgeführte Geheimdienstaktion forderte mehrere Tote und tausende Verletzte unter den Zivilisten. Das Massaker erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation der Grenzkrise zwischen Israel und der Hisbollah zu einem totalen Krieg. Nach zwei Anschlagswellen im Libanon sah Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah bei seiner Ansprache am Donnerstag alle "roten Linien" überschritten.
Bis dato hatte sich der Schlagabtausch zwischen der Hisbollah und Israel in einem Rahmen bewegt, in dem beide Seiten versucht hatten, einen großen Krieg abzuwenden. Hisbollah-Anführer Nasrallah hatte alles unternommen, um einer israelischen Eskalationsfalle auszuweichen ‒ von der am Ende Netanjahu profitieren könnte. Israel hat seine Kriegsziele im Gazastreifen bislang nicht erreicht.
Der Ton, den Nasrallah in seiner Rede am Donnerstagabend anschlug, war aber konfrontativer als je zuvor, in der Sache hingegen hielt er Kurs. Der Hisbollah-Chef kündigte an, die Organisation werde weiter dafür sorgen, dass Israel auch sein neues Kriegsziel nicht erreiche. Am Dienstag wurde dieses durch Tel Aviv bekanntgegeben: Zehntausende Menschen, die im Zuge der militärischen Konfrontation mit der Hisbollah aus dem Norden Israels vertrieben wurden, sollen in ihre Häuser zurückkehren können. Mit diesem Beschluss des Sicherheitskabinetts reiht sich faktisch auch eine Lösung an der Nordfront in die Kriegsziele ein, die sich bisher auf den Gazastreifen beschränkt hatten.
Obwohl Nasrallah die mögliche Bodenoffensive Israels als "historische Chance" bezeichnete, gab er jedoch keine Anzeichen, dass die Hisbollah einen voll entfesselten Krieg gegen Israel führen möchte.
Es gibt unter anderem auch Zweifel daran, dass Israel willens ist, in den Libanon einzumarschieren. Denn es spricht vieles dafür, dass die Sprengung der Hisbollah-Pager eher eine Notlösung als ein kalkulierter Schachzug war. Israel hatte die Aktion eigentlich für den Beginn eines offenen Krieges mit der Hisbollah vorgesehen. Mit den massenhaften Detonationen sollte dabei in der Anfangsphase einer groß angelegten Konfrontation die militärische Führung der Hisbollah geschwächt werden. Bisher blieb die totale Konfrontation aus.
Die Aktion sei schon früher ausgelöst worden, weil ein Hisbollah-Angehöriger nach einem Bericht von Al-Monitor die Manipulation der Pager bemerkt hätte. Israel soll dann vor die Wahl gestellt worden sein, die Entdeckung der Operation hinzunehmen, ohne sie durchgeführt zu haben, oder die Sprengungen auszulösen und die geplante Offensive gegen die Hisbollah zu beginnen, oder etwa – als dritte Möglichkeit – die Detonationen auszuführen, ohne weitere Schritte zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund deutet alles darauf hin, dass Tel Aviv einem möglichen Scheitern der Sabotageaktion zuvorkommen wollte, wobei es zivile Opfer bewusst in Kauf genommen hat.
Netanjahu könnte in nächsten Tagen dennoch versuchen, die Hisbollah in einen heißen Krieg hineinzuziehen, indem er Nasrallah zu einem Schlag provoziert. In einem solchen Fall wäre es einfacher für Netanjahu, um die Unterstützung der westlichen Partner zu werben, um den Libanon genauso wie Gaza dem Boden gleichzumachen. Allerdings rechne man ebenfalls mit heftigen Gegenschlägen vonseiten der Hisbollah. Bei Netanjahu geht es aber nur darum, sein politisches Überleben zu sichern. Insofern ist nicht auszuschließen, dass der heiße Krieg noch bevorsteht, selbst wenn die Hisbollah ihn weiterhin vermeiden möchte.
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