Der Westen hat bisher der Hamas vorgeworfen, Zivilisten im Gazastreifen als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Er hat an diesem Narrativ festgehalten, um den Völkermord Israels an den Palästinensern durch die israelische Armee zu rechtfertigen. Nun enthüllte ein israelischer Soldat in einem Interview mit der FAZ, dass es gerade die Methode der israelischen Armee sei, Zivilisten als menschliche Schutzschilde bei Operationen einzusetzen.
Er war der erste Soldat der israelischen Armee, der bereit war, mit einer Gruppe von ausländischen Journalisten offen über Völkerrechtsverstöße in Gaza zu sprechen – vor allem über eine Praxis, die erst in den vergangenen Wochen öffentlich bekannt wurde. Um die Sicherheit des Soldaten zu gewährleisten, müssen sein Name und Details über Personen, Orte und Daten, die er in dem Gespräch mit der FAZ nannte, unerwähnt bleiben.
Die Berichte des Soldaten belegen den gezielten Einsatz der Zivilisten bei IDF-Operationen: An einem Tag im Frühjahr sei ein Offizier zu der Einheit gekommen und habe zwei Palästinenser mitgebracht. "Er sagte uns, wir sollten sie beim Angriff am nächsten Morgen mitnehmen."
Der Ausdruck "menschliche Schutzschilde" fiel dabei nicht, doch man verstand auch so. Er habe schon vorher gerüchteweise gehört, dass Palästinenser gezwungen würden, in Häusern oder Tunneln voranzugehen, um die Soldaten vor Sprengfallen oder Hinterhalten zu schützen. Es sei am Tag vor einer größeren Operation gewesen, erzählt er. Die beiden Palästinenser waren an den Händen gefesselt und hatten die Augen verbunden. "Ich habe gefragt, ob es Terroristen sind", sagt er. Die Männer hätten etwas mit der Hamas zu tun, war die Antwort. Irgendetwas mit dem 7. Oktober. "Aber sie sahen nicht aus wie Terroristen", berichtet er. Der eine war erst 16, der andere in seinen Zwanzigern.
Die israelische Organisation "Breaking the Silence", die seit vielen Jahren Aussagen von Soldaten über Rechtsverstöße sammelt, hat inzwischen mehrere direkte und indirekte Zeugenberichte über diese Praxis dokumentiert. Auch Fotos wurden der Organisation zugespielt, die zeigen sollen, wie palästinensische Zivilisten von israelischen Soldaten zur Mitwirkung an ihren Einsätzen gezwungen werden.
Die Zeitung Haaretz berichtete vor einigen Wochen unter Berufung auf eigene Quellen innerhalb der Armee, dass auch die oberen Führungsränge von dem Vorgehen wüssten – offenbar, so der Tenor der Recherche, werde die Praxis zumindest stillschweigend toleriert.
Der IDF-Soldat erzählte unter anderem der FAZ gegenüber, wie die Häuser im Gazastreifen wahllos angezündet werden. Das humanitäre Völkerrecht verbietet es, zivile Gebäude ohne militärischen Anlass zu zerstören. Doch in sozialen Netzwerken finden sich reihenweise Videos, auf denen israelische Soldaten prahlend zeigen, wie sie jenseits der Front Häuser einreißen oder sprengen. Bei höheren Gebäuden sei das nicht einfach. "Du kannst nicht einfach ein Stockwerk anzünden und dann brennt alles." Man müsse Stockwerk für Stockwerk in Brand setzen, von oben nach unten. Der nicht namentlich genannte IDF-Soldat erzählte weiter, dass diejenigen Soldaten die Aufgabe übernommen hätten, "die daran Spaß hatten".
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