Medienbericht: Netanjahu stützte die Hamas

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu soll jeden Versuch gestoppt haben, die militante Palästinensergruppe aus dem Gazastreifen "zu entfernen", so ein Historiker gegenüber der "Washington Post". Der Historiker spricht von einer "seltsamen Allianz".

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu unterhält eine "seltsame Allianz" mit der militanten palästinensischen Gruppe Hamas, die seit Jahrzehnten den Gazastreifen regiert, berichtete die Washington Post am Sonntag unter Berufung auf eine Reihe von Israel-Experten.

Der Premierminister habe die Hamas als nützlich empfunden, um den israelisch-palästinensischen Friedensprozess zu verzögern und die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern, so die Zeitung.

Netanjahu, der von 2009 bis 2020 ununterbrochen an der Spitze der israelischen Regierung stand und im Dezember 2022 an die Macht zurückkehrte, habe während seiner gesamten Amtszeit wiederholt geschworen, die Hamas zu vernichten. Stattdessen habe er aber eine Politik verfolgt, die der Gruppe geholfen habe, ihren Einfluss auf die Enklave zu behalten, so die Washington Post weiter.

Die Kabinette des Premierministers sollen Geldtransfers aus Katar zugestimmt haben, die zur Zahlung von Gehältern im Gazastreifen, zur Verbesserung der örtlichen Infrastruktur und angeblich sogar zur Finanzierung von Hamas-Operationen verwendet wurden, so der Bericht. Weiter schreibt die Zeitung, dass Israel unter Netanjahu auch die regelmäßigen Freilassungen von Gefangenen genehmigt habe, die angeblich ebenfalls der Gruppe zugutekamen.

"In den letzten zehn Jahren hat Netanjahu darauf hingearbeitet, jeden Versuch zu blockieren, die Hamas im Gazastreifen zu zerschlagen", sagte der israelische Historiker Adam Raz, der die Beziehungen zwischen dem Premierminister und der militanten Gruppe untersucht hat, gegenüber der Washington Post.  Er nannte es eine "seltsame Allianz", die mit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauffolgenden israelischen Militäroperation im Gazastreifen vermutlich ein Ende gefunden hat.

Das Ziel von Netanjahus Politik bestand angeblich darin, die Palästinenser zu spalten, der Hamas die Herrschaft über den Gazastreifen zu überlassen und ihren Rivalen von der Palästinensischen Autonomiebehörde die Kontrolle über das Westjordanland zu überlassen. Der Konflikt zwischen den beiden Gruppen mache eine Zweistaatenlösung auf dem Verhandlungswege unmöglich, so die Washington Post, und er erlaube es dem Premierminister, die Palästinenserfrage ganz einfach zu verwerfen.

"Da es keine einheitliche Führung gab, konnte [Netanjahu] sagen, dass er die Friedensverhandlungen nicht vorantreiben konnte", sagte Dahlia Scheindlin, eine israelische Meinungsforscherin und politische Analystin gegenüber der Zeitung. Und weiter:

"So konnte er sagen: 'Es gibt niemanden, mit dem man reden kann.'"

Stattdessen soll sich Netanjahu auf Israels Patt mit dem Iran und die wirtschaftliche Entwicklung konzentriert haben, so die Washington Post unter Berufung auf den Netanjahu-Biografen Anshel Pfeffer hinzu.

"Netanjahu hatte immer das Gefühl, dass der Palästinenserkonflikt ein Ablenkungsmanöver war, das in Israel als Streitpunkt benutzt wurde", sagte Pfeffer der Zeitung. Laut dem Bericht versuchte der Premierminister insbesondere, eine Versöhnung zwischen der Hamas und der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verhindern, nachdem es 2018 offenbar zu einer Annäherung gekommen war. Die Washington Post nannte jedoch keine Einzelheiten zu diesem Thema.

Israel führte unter Netanjahus Führung drei großangelegte Militäroperationen im Gazastreifen durch, und zwar 2012, 2014 und 2021. Alle diese Operationen endeten schließlich mit einem ausgehandelten Waffenstillstand, der der Gruppe die Kontrolle über die Enklave einbrachte.

Mehr zum ThemaWarum zögern die arabischen Länder mit der Entsendung von Friedenstruppen nach Gaza?