Abkehr vom Westen: Wie der Ukraine-Krieg auf die Machtverhältnisse im Nahen Osten wirkte

Der OPEC+-Beschluss zur Drosselung der Ölförderung im Jahr 2022 war eine Ohrfeige für das Weiße Haus. Der bisher regional begrenzte Schattenkrieg zwischen Iran und Israel scheint sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs zu einem globalen Konflikt entwickelt zu haben. Im Zuge der russischen Militäroperation offenbarten sich Risse in der Position der NATO gegenüber Moskau.

Von Seyed Alireza Mousavi

In gewisser Weise erlebt der Westen seit Februar 2022 die Wiederkehr alter Verhältnisse und eine neue Realität der multipolaren Welt. Vor allem, seit Europa im Zuge des Krieges in der Ukraine selbst ein Krisenkontinent geworden ist. Der Krieg in der Ukraine ist auf Deutschland angelegt. Die Zielstellung ist es nämlich, Deutschland als wirtschaftlichen Konkurrenten der USA zu schwächen, wobei die Ursache dieses Krieges in erster Linie im Schwächen des Westens zu sehen ist: die demographische Katastrophe und eine jahrzehntelange Phase der Deindustrialisierung sowie Kulturverfall. Der Wettstreit der Großmächte ist nun auch mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges in Erscheinung getreten. Auf der einen Seite stehen die USA, Europa und die NATO ‒ auf der anderen die Hauptrivalen des Westens: Russland, China und Iran. Dazwischen stehen Länder wie Indien, die Türkei oder Südafrika, die sich nun gezwungen fühlen, sich zur Ukraine-Frage zu positionieren, da der Ukraine-Krieg sich längst zu einem geopolitischen Wendepunkt stilisiert hat. 

Die Nachwirkungen des Ukraine-Krieges sind mittlerweile im Nahen Osten deutlich zu spüren. Die hektische Suche nach Alternativen zu russischen Öl- und Gaslieferungen hat insbesondere Ölproduzenten wie Saudi-Arabien dazu veranlasst, souveräner zu agieren. US-Präsident Joe Biden hatte letztes Jahr vergeblich von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gefordert, mehr Öl zu fördern, um damit einen Boykott russischen Öls überhaupt realisierbar zu machen.

Der OPEC+-Beschluss zur drastischen Drosselung der Ölförderung im Oktober 2022 war eine Ohrfeige für das Weiße Haus und die US-Falken in Europa. Der Beschluss war das Gegenteil von dem, was US-Präsident Joe Biden bei seinem Besuch in Saudi-Arabien erreichen wollte. Die Golfstaaten setzten im Jahr 2022 ihre Zusammenarbeit mit Russland innerhalb der OPEC+ ungeachtet des Ukraine-Krieges fort. Moskau braucht höhere Ölpreise, um trotz der westlichen Sanktionen noch die Militäroperation in der Ukraine finanzieren zu können. Fünf Monate nach dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Saudi-Arabien reiste kürzlich auch Chinas Staatschef Xi Jinping in das Königreich. China wird als alternativer Akteur für das regionale Vakuum gesehen, das durch das schwindende Interesse und die Machtprojektion der USA entstanden ist. Obwohl Saudi-Arabien bei Sicherheitsfragen auf die US-Amerikaner angewiesen ist, verfolgt Riad seit Beginn des Ukraine-Krieges eifrig eine Politik, die darauf abzielt, sich der allmählichen Verschiebung der Machtstrukturen nach Osten anzupassen.

Der bisher regional begrenzte Schattenkrieg zwischen Iran und Israel scheint sich seit Ausbruch des Ukraine-Krieges zu einem globalen Konflikt entwickelt zu haben, da Iran seine Militärkooperation mit Russland massiv ausgeweitet hat. Es wird zudem seit Monaten darüber spekuliert, ob Iran an Russland Drohnen und Raketen für den Einsatz in der Ukraine verkauft hat. Die USA arbeiten intensiv daran, eine geschlossene Allianz gegen Russland zu schmieden, indem sie dessen Verbündete, wie Iran, als Kriegspartei darstellen. Insofern ist es Israel seit Beginn des Ukraine-Krieges nicht mehr gelungen, zwischen dem Westen und Russland zu lavieren. Israel hat sich zwar mit militärischer Unterstützung für die Ukraine zurückgehalten, aber es befindet sich längst im westlichen Lager, und seine Schaukelpolitik zwischen Moskau und Washington funktioniert nicht mehr optimal. Es gab vor dem Ukraine-Krieg immer Politiker in Moskau, die entschlossen waren, die Beziehungen zu Teheran zu schwächen, und stattdessen den Ausbau des Dialogs mit dem Westen sowie die Weiterentwicklung der Beziehungen zu Israel voranzutreiben. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich aber die Zeit dieser Positionierung allmählich dem Ende zugeneigt.

Die strategische Lage der Türkei sowie deren militärische Schlagkraft und der Gesprächskanal zur russischen Führung machen die Türkei für die NATO zum Schlüsselland. Im Zuge der russischen Militäroperation in der Ukraine offenbarten sich Risse in der Position der NATO gegenüber Moskau. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan handelte das wichtige Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine aus, während er bis heute den Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO blockiert hat. Er ließ Waffen über ein privates Militärunternehmen an Kiew liefern und plante im Jahr 2022 gleichzeitig gemeinsam mit Wladimir Putin ein Drehkreuz für russisches Gas in der Türkei. Im Gegensatz zu Israel hat die Türkei von der Schaukelpolitik zwischen Ost und West profitiert. Durch den Ukraine-Krieg ist es den USA gelungen, jegliche Annäherung zwischen Europa und Russland in absehbarer Zukunft zu kippen. Den USA ist die Lage in der Ukraine gelegen gekommen, um auch die Beziehungen zwischen Russland und der Türkei zu sabotieren, indem sie Ankara mehrfach mithilfe der Griechenland-Karte provoziert haben. 

Der Westen wird im Jahr 2023 alles daransetzen, um die zunehmende Integration der Länder in Asien zu verhindern. Anhand der Vertiefung der Militärkooperation mit Moskau sandte Teheran ein Warnsignal vor allem an die USA, nachdem die Atomverhandlungen mit Iran längst ins Stocken geraten waren. Die USA werden wohl auf eine neue Runde der Unruhestiftung setzen, nachdem die erste Phase der orchestrierten und durch die Medien angeheizten Protest-Kampagne in Iran gescheitert ist. Unter anderem besteht nun die Gefahr, dass die NATO und die USA die jüngsten Erdbeben in der Türkei und Syrien als neuen Anlass nehmen, um wieder Truppen in kurdische Gebiete in Nordsyrien zu verlegen und mehr Druck auf die Türkei aufzubauen. Insbesondere der Westen erlebt derzeit einen schweren Rückschlag, nachdem die Türkei die Bereitschaft signalisiert hat, ihre Beziehungen zu Syrien zu normalisieren. Die Golfstaaten werden auch in diesem Jahr nicht vor der US-Aggression verschont bleiben, wenn sie ihre Beziehungen weiterhin zum Kreml vertiefen. 

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