Palästinenser wenig beeindruckt nach Besuch aus Washington

Angesichts starker Spannungen zwischen Israel und Palästina hatte US-Außenminister Blinken "dringende Schritte" zur "Deeskalation" gefordert. Der Verweis des Palästinenserpräsidenten, dass israelische Gewalt auch durch die Nichtanerkennung des palästinensischen Staates ermöglicht werde, verhallte.

Nach einem Treffen mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu besuchte US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag das Westjordanland, wo er zur Einstellung der Gewalt aufrief und Washingtons Unterstützung für eine Zweistaatenlösung im jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bekräftigte.

Zu seinem Besuch beim Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, hatte Blinken einige warme Worte mitgebracht. Doch sieht er trotz der anhaltenden israelischen Stürmungen, bei denen immer wieder Zivilisten verletzt und getötet werden, die Verantwortung für die eskalierende Gewalt offenbar einzig bei den Palästinensern. Berichten zufolge habe er Druck auf Abbas ausgeübt, dieser solle die Kontrolle über Dschenin und Nablus im besetzten Westjordanland "wiedererlangen".

Neben Beileid für die "unschuldigen palästinensischen Zivilisten", die im letzten Jahr durch die eskalierende Gewalt ihr Leben verloren hatten, brachte Blinken bei seinem Treffen mit Abbas zum Ausdruck, dass "sowohl Palästinenser als auch Israelis" eine "wachsende Unsicherheit" erleben, eine "wachsende Angst in ihren Häusern, in ihren Gemeinden, in ihren Gotteshäusern". Notwendig seien nun "Schritte zur Deeskalation, zur Beendigung der Gewalt und zum Abbau der Spannungen". Seitens der USA leiste man einen Beitrag durch die Unterstützung für die UNRWA (im Jahr 1949 gegründete "temporäre" UN-Agentur zur Unterstützung für Palästina-Flüchtlinge) in Höhe von 890 Millionen US-Dollar. Außerdem verkündete Blinken weitere 50 Millionen Dollar für die UNRWA und erinnerte daran, dass US-Präsident Biden im letzten Sommer 100 Millionen Dollar für ein Krankenhausnetz in Ostjerusalem zugesagt hatte.

Washington habe zudem seinen ersten Vertreter für palästinensische Angelegenheiten eingesetzt und wolle sich um die Wiedereröffnung seines Konsulats in Jerusalem einsetzen, das vom früheren US-Präsidenten Donald Trump geschlossen worden war. Zudem sei eine Vereinbarung über die Bereitstellung von 4G-Kommunikationsmitteln für die Palästinenser getroffen worden, an deren Umsetzung man arbeite.

Die Versprechen der USA wurden auch von der israelischen Zeitung Haaretz aufgegriffen und kommentiert:

"Wirtschaftshilfe für die Palästinensische Autonomiebehörde und zivile Hilfe, einschließlich des Ausbaus des Mobilfunknetzes ‒ als ob die höchsten Erwartungen der Einwohner von Ramallah oder Dschenin darin bestünden, auf ihren Handys zu spielen und TikTok-Videos anzusehen."

Zwar hatte eine Sprecherin des US-Außenministeriums, Jalina Porter, im vergangenen Jahr erklärt, Bidens Regierung sei "entschieden gegen die Ausweitung der israelischen Siedlungen, die die Spannungen verschärft und das Vertrauen zwischen den Parteien untergräbt. Israels Programm zur Ausweitung der Siedlungen schadet den Aussichten auf eine Zwei-Staaten-Lösung zutiefst". Doch kritisieren palästinensische Medien, dass der US-Repräsentant bei dieser jüngsten Gelegenheit keine Worte verlor über die seit langem von internationalen Organisationen als Besatzung eingestufte Missachtung der Grenzen von 1967.

Dabei nimmt die Missachtung palästinensischer Rechte von israelischer Seite zu, was israelische Siedler unverhohlen bekanntgeben: Einem aktuellen Bericht zufolge belaufe sich die Zahl der israelischen Siedler im Westjordanland inzwischen auf mehr als eine halbe Million Menschen, was die siedlerfreundliche Webseite WestBankJewishPopulationStats.com am Donnerstag bekannt gab. Demnach sei die Siedlerbevölkerung zum 1. Januar auf 502.991 angestiegen ist, ein Anstieg von mehr als 2,5 Prozent in 12 Monaten und fast 16 Prozent in den letzten fünf Jahren.

Ein Plan Washingtons sehe laut Axios vor, dass die Palästinensische Autonomiebehörde gegen neu entstandene bewaffnete palästinensische Gruppen im Westjordanland vorgehe, wie Axios unter Berufung auf nicht benannte Quellen meldet. Demnach werde wenig Betonung auf eine Verringerung der israelischen Razzien im Westjordanland gelegt, obwohl dabei im vergangenen Jahr mindestens 200 Menschen getötet wurden. Laut dem Bericht heißt es, Blinken habe Abbas dazu gedrängt, einen vom US-Sicherheitskoordinator Michael Fenzel ausgearbeiteten Sicherheitsplan zu akzeptieren und umzusetzen. Dem Bericht zufolge sehe der Plan vor, dass Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde die Kontrolle über den nördlichen Teil des Westjordanlandes zurückgewinnen und eine spezielle palästinensische Truppe ausgebildet werden solle, um in dem Gebiet den Widerstand bewaffneter Gruppen zu brechen.

Zum Territorium gehören die Gewalt-Hochburgen Nablus und Dschenin, wo sich durch die Besatzung und seit langem praktizierte israelische Razzien frustrierte junge Palästinenser bewaffneten Gruppen angeschlossen haben, die mit Gruppierungen wie der Fatah, der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad in Verbindung stehen. Da die Übergriffe israelischer Streitkräfte auf palästinensische Gebiete in dem Plan keine Rolle spielen, habe es von palästinensischer Seite weniger Zuspruch als von Israel gegeben, wie Al Jazeera berichtet.

Abbas hatte gegenüber dem hohen Besuch aus Washington klar gemacht, dass genau wegen des Wegsehens der USA die Gewalt erst ermöglicht werde, für die Israel verantwortlich sei und wodurch die Zwei-Staaten-Lösung untergraben und unterzeichnete Abkommen verletzt werden. Der Palästinenser-Präsident sagte auch, dies sei so "wegen der fehlenden internationalen Bemühungen, die Besatzung und die Siedlungsregime aufzulösen, sowie wegen der Nichtanerkennung des palästinensischen Staates und seiner vollen Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen".

Die Ablehnung der Bemühungen des palästinensischen Volkes, seine Existenz und seine legitimen Rechte in internationalen Foren und vor internationalen Gerichten zu verteidigen und internationalen Schutz gewährt zu bekommen, ermutige "den israelischen Besatzer", weitere "Verbrechen zu begehen und internationales Recht zu verletzen". Zu den seitens Israel ohne jeglichen Einspruch der USA beispielsweise begangenen Verbrechen zählt Abbas die Siedler-Praxis und die Annexion von Land, die Stürmung palästinensischer Gebiete, Zerstörung von Häusern, gewaltsame Vertreibung von Palästinensern, die Veränderung der Identität Jerusalems und Verletzung der Heiligkeit der Al-Aqsa-Moschee, die Beschlagnahme von Geldern und damit einhergehende Operationen ethnischer Säuberung sowie Apartheid. Aus diesen und weiteren Gründen hatte jüngst auch der ehemalige israelische Präsidentenberater Daniel Levy der EU vorgehalten, leider keine glaubwürdige Stimme für den Frieden zu sein. 

Wie auch Levy haben nun 170 amerikanisch-jüdische Persönlichkeiten zu einer "kritischen und notwendigen Debatte" über die Praxis der israelischen Regierung aufgerufen und es verurteilt, dass "Antisemitismus" als politische Waffe gegen jegliche Kritik eingesetzt wird.

"Die Kritik an Israel wird mit der Entfaltung der Politik dieser neuen Regierung zwangsläufig zunehmen. Die Befürworter dieser Politik werden falsche Anschuldigungen des Antisemitismus verwenden, um Israels Kritiker zu verunglimpfen und politische Spaltungen in Washington und innerhalb der jüdischen Gemeinschaft zu verursachen. Dies wird Israel nur schaden, indem es die unvermeidliche Debatte über kritische Themen, mit denen Israel konfrontiert ist, im Keim erstickt", so Alan Solow, ehemaliger Vorsitzender der Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations und einer der Organisatoren der am Mittwoch veröffentlichten Schrift.

In der gemeinsamen Erklärung, die ehemalige Botschafter oder Leiter der Jewish Federations, des United Jewish Appeal, des AIPAC und frühere Politiker unterzeichnet haben, wird unter anderem auf die Entwicklungen innerhalb Israels hingewiesen, darunter auch die von Blinken kritisierten Veränderungen des israelischen Justizwesens, sowie eine Reihe anderer Maßnahmen, wie die rückwirkende Legitimierung von Siedlungsaußenposten und die Ausweitung der israelischen Präsenz im Westjordanland.

Ein Großteil der internationalen Gemeinschaft betrachtet die Siedlungen als unrechtmäßig und als Hindernis für den Frieden. Der UN-Sicherheitsrat hatte Israel Ende 2016 zu einem vollständigen Siedlungsstopp in den besetzten Palästinensergebieten einschließlich des annektierten Ostjerusalems aufgefordert. Zu Beginn dieses Jahres hat die UN-Vollversammlung dafür gestimmt, die seit dem Jahr 1967 andauernde israelische Besatzung palästinensischer Gebiete durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag prüfen zu lassen.

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