Die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien leiden derzeit unter der Feindseligkeit zwischen Joe Biden und Mohammed bin Salman. Mangelndes persönliches Vertrauen beschleunigt eine seit Jahren voranschreitende Spaltung, so die US-Zeitschrift The Wall Street Journal in einem am 24. Oktober veröffentlichten Artikel.
Die Kluft zwischen der Biden-Administration und Saudi-Arabien sei so tief, dass die Partnerschaft zwischen den Ländern insgesamt zu enden drohe und beide Seiten zu zerstörerischen Maßnahmen greifen könnten, heißt es. The Wall Street Journal schreibt:
"Der ungeschriebene Pakt zwischen den USA und Saudi-Arabien hat 15 Präsidenten und sieben Könige überlebt, ein arabisches Ölembargo, zwei Kriege am Persischen Golf und die Terroranschläge vom 11. September. Jetzt zerbricht es unter zwei Führern, die sich weder mögen noch einander vertrauen."
"Selten war die Kette von gebrochenen Erwartungen, empfundenen Beleidigungen und Demütigungen größer als jetzt", stellte Aaron David Miller, ein langjähriger US-Diplomat im Nahen Osten, gegenüber The Wall Street Journal fest. Er fügte hinzu: "Es gibt fast kein Vertrauen und absolut keinen gegenseitigen Respekt."
Laut der Zeitschrift, die auf anonyme Quellen "innerhalb der saudischen Regierung" verweist, mache sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman privat über Präsident Biden und seine Fauxpas lustig und stelle die geistige Schärfe des US-Präsidenten in Frage. "Er habe seinen Beratern gesagt, dass er von Biden seit seiner Zeit als Vizepräsident nicht besonders beeindruckt sei und den ehemaligen Präsidenten Donald Trump vorziehe", so die US-Zeitschrift. In Saudi-Arabien bestreitet man die Behauptungen. Der saudische Außenminister Prinz Faisal bin Farhan sagte dazu in einem Interview, dass diese "von anonymen Quellen aufgestellten Behauptungen" völlig falsch seien. "Die Führer des Königreichs haben den US-Präsidenten stets höchsten Respekt entgegengebracht", betonte er, "da das Königreich an die Bedeutung einer auf gegenseitigem Respekt basierenden Beziehung glaubt".
Biden hätte jedoch im Wahlkampf 2020 gesagt, dass er in der gegenwärtigen Regierung in Saudi-Arabien "sehr wenig sozialen Wert" sehe. The Wall Street Journal betont:
"Er weigerte sich über ein Jahr lang, mit Prinz Mohammed zu sprechen, und als sie sich schließlich im Juli in Dschidda trafen, hatten die anwesenden saudischen Beamten den Eindruck, dass Biden nicht dabei sein wollte und an den politischen Diskussionen nicht interessiert war."
Dabei sei es vielen US-Präsidenten über Jahrzehnte hinweg gelungen, ein vernünftiges Gleichgewicht zu finden und erfolgreich für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen zu Saudi-Arabien aufzubauen. Selbst in schwierigen historischen und geopolitischen Zeiten, schreibt die Zeitschrift:
"Im Jahr 2005, nur wenige Jahre nach der Beteiligung von 15 Saudis an den Terroranschlägen vom 11. September des Jahres 2001, hatte Präsident George W. Bush Kronprinz Abdullah auf seiner Ranch in Texas empfangen, wo die beiden Männer händchenhaltend fotografiert wurden. In den frühen 1970er-Jahren verstaatlichten die Saudis teilweise die amerikanischen Ölinteressen im Königreich und verhängten ein Ölembargo, das eine lähmende Inflation auslöste. Dennoch traf sich Präsident Richard Nixon mit König Faisal und stieß im Jahr 1974 bei einem Staatsdinner in Dschidda auf seine Weisheit an."
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern überlege US-Präsident Biden nun, wie er Saudi-Arabien für die OPEC+-Entscheidung besser bestrafen könne, wobei er und seine Regierung vom ersten Tag an auf Konfrontationskurs mit dem Partner im Nahen Osten gegangen seien.
Nachdem Joe Biden gewählt worden sei, habe sich Prinz Mohammed mit Beratern zusammengesetzt, um einen Plan auszuarbeiten, mit dem der neue Präsident umworben werden sollte, so die Zeitschrift. Daraufhin hätten die Saudis Loujain al-Hathloul, eine prominente Frauenrechtlerin, die behauptet, in der Haft gefoltert worden zu sein, sowie zwei US-amerikanisch-saudische Gefangene frei. "Auch eine Fehde mit dem benachbarten Katar wurde schnell beigelegt, nachdem man einen Wirtschaftsboykott gegen Katar angeführt hatte, den Trump ursprünglich unterstützt hatte", berichtet The Wall Street Journal.
Insider sollen der Zeitschrift erzählt haben, dass Bidens Antwort Prinz Mohammed schockiert habe. So fror der US-amerikanische Präsident in den ersten Wochen seiner Amtszeit die saudischen Waffenverkäufe ein, machte eine Entscheidung der Trump-Administration, die jemenitischen Houthi-Rebellen als ausländische Terrororganisation zu bezeichnen, rückgängig und veröffentlichte den Geheimdienstbericht über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi. Für Saudi-Arabien waren diese Schritte "ein Schlag ins Gesicht", merkt die Zeitung an und zitiert den Experten David Schenker, einen hochrangigen Beamten des Außenministeriums in der Trump-Administration. Über die Gründe für Saudi-Arabiens Hinwendung zu einer strategischen Partnerschaft mit Russland sagte er:
"Die Interaktionen mit der Biden-Administration waren in den ersten zwei Jahren so schlecht, dass ein einziger Besuch nicht ausreichte, um Saudi-Arabien dazu zu bewegen, seine Öl-Allianz mit Moskau aufzugeben."
Es sei absehbar, dass die Spannungen zwischen Joe Biden und Prinz Mohammed sich noch weiter verschärfen werden, schreibt die Zeitung. Man betont, dass derzeit, nach der Entscheidung der von den Saudis angeführten OPEC+, die Ölproduktion trotz der Forderungen der USA zu drosseln, "einst undenkbare Vergeltungsmaßnahmen auf dem Tisch liegen".
"Es ist schwer vorstellbar, dass eine der beiden Seiten sagt: 'Na gut, lasst uns das wieder zusammensetzen'", sagte Steven Cook, ein Nahostexperte der in New York ansässigen Denkfabrik Council on Foreign Relations.
Derzeit hüte sich das Weiße Haus noch davor, die Beziehungen mit Saudi-Arabien abzubrechen, "da dies sensible Sicherheitsoperationen gefährden könnte". Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan sagte, der US-Präsident werde darüber beraten, wie er auf Saudi-Arabien reagieren soll, "einschließlich möglicher Änderungen der US-Sicherheitshilfe". "Der Präsident wird nicht überstürzt handeln", meinte Sullivan gegenüber CNN.
Als eine mögliche Antwort Saudi-Arabiens liege laut The Wall Street Journal "eine drastische Option" auf dem Tisch:
"Saudische Beamte haben privat gesagt, dass das Königreich die von ihm gehaltenen US-Schatzanleihen verkaufen könnte, wenn der Kongress eine Anti-OPEC-Gesetzgebung verabschiedet."
Saudi-Arabien ist derzeit einer der größten ausländischen Inhaber von US-Staatsanleihen. Im Jahr 2016 hatte Riad bereits damit gedroht, US-Vermögenswerte abzustoßen, falls die USA ein Gesetz verabschieden, das es ihnen ermöglicht, Saudi-Arabien für die Terroranschläge vom September 2001 zur Verantwortung zu ziehen. Aus Angst vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen blockierte Washington damals das Gesetz.
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