Von Seyed Alireza Mousavi
Die politische Krise im Irak und der Machtkampf um die Regierungsbildung unter schiitischen politischen Kräften haben sich in den vergangenen Tagen auf gefährliche Weise zugespitzt.
Die Anhänger des schiitischen Populisten, Muktada al-Sadr erstürmten am Montag den Regierungspalast in Bagdad, nachdem der einflussreiche schiitische Prediger zum zweiten Mal seit 2014 seinen Rückzug aus der irakischen Politik angekündigt hatte. Der angekündigte "endgültige" Rückzug al-Sadrs aus der Politik hat mittlerweile gewaltsame Proteste mit mindestens 22 Toten und 350 Verletzten ausgelöst.
In der sogenannten Grünen Zone in Bagdad lieferte sich am Montag eine al-Sadr nahestehende Miliz namens "Saraja al-Salam" schwere Gefechte mit den Iran-treuen Milizen (sogenannten Volksmobilisierungseinheiten). Berichten zufolge gingen in der Nacht auch mehrere Raketen in der Grünen Zone nieder, wo unter anderem diplomatische Vertretungen wie die US-Botschaft liegen. Ein Raketenabwehrsystem zum Schutz der US-amerikanischen Botschaft soll auch bereits zum Einsatz gekommen sein. Al-Sadrs Anhänger hatten am Montag den Regierungspalast mit dem Büro von Ministerpräsident Mustafa al-Kasimi gestürmt und vorübergehend besetzt. Aufgrund der Unruhen hat das Nachbarland Iran alle Landgrenzen zum Irak geschlossen. Die Gefechte gingen am Dienstagmorgen weiter.
Al-Sadrs Rückzugsankündigung aus der Politik war eine Reaktion auf den Rücktritt des schiitischen Geistlichen und Schiitenführers Ajatollah Kadhim al-Haeri von der sogenannten "Instanz der Nachahmung" im Irak. Dieser hatte am Vortag erklärt, dass er als eine religiöse Autorität im Irak zurücktreten werde. Dabei hatte er seine Anhänger bzw. "Gläubige" aufgerufen, den obersten geistlichen Führer Irans, Ali Chamenei bei den religiösen Angelegenheiten zu folgen. Dies war ein Rückschlag für al-Sadr, da zu den Unterstützern al-Sadrs viele Anhänger al-Haeris zählen. In seiner Erklärung behauptete al-Sadr, al-Haeris Rücktritt sei "nicht auf eigenen Wunsch" erfolgt. Damit deutete Sadr an, dass Iran seinen Einfluss in Irak als einen Hebel gegen ihn genutzt hatte. Al-Haeri hat in seiner Rücktrittserklärung al-Sadrs Rolle in der irakischen Politik auf das Schärfste kritisiert.
Der Irak steckt seit der Parlamentswahl vor rund zehn Monaten in einer Pattsituation. Al-Sadrs Bewegung ging damals als klarer Wahlsieger hervor, konnte jedoch nicht die wichtige Zweidrittelmehrheit erreichen, um die Regierung bilden zu können. Nach irakischem Recht muss der Parlamentspräsident Sunnit, der Präsident Kurde und der Ministerpräsident Schiit sein. Seit Wochen blockieren al-Sadrs Anhänger das Parlament, dessen Auflösung sie fordern. Al-Sadr weigerte sich, mit den Iran nahe stehenden Parteien zu kooperieren. Damit kam es zu einer Spaltung des schiitischen Lagers.
Bei dem Machtkampf im Irak stehen auf der einen Seite der Populist Sadr, der sich als ein "nationalistischer Akteur" in Szene setzt, und auf der anderen Seite das Lager, das Iran nahesteht. Beide Seiten können auf schwer bewaffnete Milizen zurückgreifen. Insofern droht die Lage in einen Bürgerkrieg abzugleiten.
Al-Sadr kündigte am Dienstag einen Hungerstreik an. Er werde so lange nichts mehr essen, bis die Gewalt aufhöre und keine Waffen mehr eingesetzt würden, so hieß es in Al Jazeera. Al-Sadr forderte zuletzt seine Anhänger auf einer Pressekonferenz auf, die Proteste zu beenden und unverzüglich die Grüne Zone in der Hauptstadt zu verlassen.
Al-Sadrs Rückzugsankündigung aus der Politik ist zweifellos ein taktisches Manöver, um damit sein politisches Gewicht innerhalb der schiitischen Community zu demonstrieren. Al-Sadr lässt sich aber in der Tat mit seinem populistischen Umgang mit der Regierungskrise von der US-Agenda in der Region zur Eindämmung der von Iran gesteuerten "Achse des Widerstandes" einspannen. Die USA und Saudi-Arabien versuchen einen Keil zwischen die mehrheitlich schiitischen Länder Iran und Irak zu treiben. Die US-Regierung hat bislang ganz entspannt auf die Unruhe im Irak reagiert. Die US-Amerikaner und die Saudis beobachten die Lage in Bagdad mit Schadenfreude.
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