Von Seyed Alireza Mousavi
Nach dem Gipfeltreffen in Teheran trafen sich Präsident Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan Anfang August noch einmal in Sotschi. Das hat im Westen Spekulationen über eine Vertiefung der Beziehungen zwischen der Türkei und Russland ausgelöst. Obwohl nach diesem Treffen hinter verschlossenen Türen nur wenige Details veröffentlicht wurden, ist seitdem eine Haltungsänderung der Türkei gegenüber Syrien zu erkennen.
Die USA haben längst versucht, den Astana-Prozess zu untergraben, der im Januar 2017 von Russland, Iran und der Türkei initiiert wurde, um den Syrienkonflikt zu lösen. Washington hat immer gehofft, dass Ankara und Moskau über den von Islamisten kontrollierten Idlib in Nordsyrien frontal zusammenstoßen, wodurch eine mögliche Annäherung zwischen den beiden eurasischen Staaten gekippt würde – wie im Jahr 2015, als die Türkei eine SU-24 nahe der syrischen Grenze abgeschossen hatte.
Die überraschende Entscheidung der Türkei nach elf Jahren nun erneut Beziehungen zu Syrien herzustellen, dürfte bei einer der vielen Gesprächsrunden zwischen Präsident Erdoğan und seinem Amtskollegen Putin gefallen zu sein. Ankara galt mit Beginn des Arabischen Frühlings 2011 als erbitterter Gegner Syriens. Die Türkei gehörte zu jenen Staaten, die Präsident Assad um jeden Preis stürzen wollten. Während Saudi-Arabien und Katar ihre Unterstützung radikal-islamistischer Gruppierungen längst eingestellt haben, fördert die Türkei diese bis heute weiter.
In der Provinz Idlib zum Beispiel beschützt die türkische Armee die Islamistenregierung von Hayat Tahrir al-Sham (HTS). Im Jahr 2017 inmitten der von außen aufgeputschten und mit Gewalt aufgeladenen Rebellion gegen die staatliche Existenz Syriens gründete die Türkei den Verband "Syrische Nationale Armee" (SNA), deren Mitglieder vorwiegend aus islamistischen Milizen bestehen.
Der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, gab kürzlich bekannt, dass er sich im vergangenen Oktober während der Zusammenkunft der Bewegung der Blockfreien Staaten in Serbien mit seinem syrischen Amtskollegen Faysal Mikdad getroffen und mit ihm über die Lage in Syrien gesprochen habe. Çavuşoğlus Enthüllung kam für viele Syrer überraschend, da die Türkei seit dem Jahr 2011 islamistische Terrorgruppen in Syrien unterstützt und bislang drei militärische Invasionen in das Land geführt hat.
Als Reaktion auf Çavuşoğlus Enthüllung gingen Zehntausende von Menschen in den von der Türkei besetzten Gebieten in Nordsyrien auf die Straße, um gegen die Türkei zu protestieren. "Lieber tot, als ein Leben in Unwürde", riefen Syrer in Bab al-Salama, dem syrischen Grenzübergang zur Türkei. "Keine Versöhnung, die Revolution geht weiter", skandierten Islamisten in Azaz.
Die Türkei ist die letzte Schutzmacht der islamistischen Gruppierungen im Kampf gegen Präsident Bashar al-Assad. Bislang hatte es die Hoffnung gegeben, die von Islamisten kontrollierten Rebellenregionen könnten als eine Art türkisches "Protektorat" weiter bestehen. Die Bewohner in Idlib haben nun Angst, mit der neuen türkisch-syrischen Annäherung könnte ihr Schicksal besiegelt sein.
Angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise hat sich in der Türkei die Stimmung gegen Geflüchtete aus Syrien verschärft. In der Türkei leben nach offiziellen Angaben zurzeit mehr als 3,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Die Zeiten, in denen der Präsident zur "islamischen Solidarität", zur Verteidigung der Aufnahme syrischer Schutzsuchender predigte, sind längst vorbei, da Ankara weitgehend seine auf die Unterstützung der Muslimbruderschaft ausgerichtete Außenpolitik in der Region aufgegeben hat.
Es ist jetzt höchste Zeit für die Türkei, ernsthaft über eine Normalisierung der Beziehungen mit Damaskus und eine Wiederbelebung des syrisch-türkischen Adana-Abkommens von 1998 zu sprechen, was unter anderem eine gemeinsame Anstrengung zur Bekämpfung der von den USA unterstützten kurdischen Separatisten in Syrien beinhaltet.
Während des Besuchs von Erdoğan in der Ukraine am 18. August äußerte sich der türkische Präsident erneut zu seinen Absichten, die Beziehungen der Türkei zu Syrien zu verbessern. Er erklärte, dass die Türkei nicht den Wunsch habe, den syrischen Präsidenten al-Assad als Staatschef zu stürzen, sondern sich stattdessen auf die Bekämpfung des Terrorismus konzentrieren wolle.
Vor diesen Hintergrund könnten sich Ankara und Damaskus auf ein Protokoll zur Rückführung von Millionen türkischer und syrischer Flüchtlinge an ihre Herkunftsorte einigen und das Adana-Abkommen erneuern, um eine gemeinsame Front gegen separatistische Tendenzen im kurdischen Nordsyrien zu schaffen.
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