von Seyed Alireza Mousavi
Der Ministerpräsident der Autonomieregierung von Irakisch-Kurdistan, Masrour Barzani, hat in der letzten Zeit Gasförderungen durch die autonome kurdische Regierung im Irak als eine Alternative zur russischen Gasversorgung in Europa angeboten. Kurdistan begann Mitte 2015 mit dem direkten Ölverkauf an die Weltmärkte, nachdem es die Zentralregierung in Bagdad beschuldigt hatte, der Region Mittel zur Zahlung von Staats- und Armeegehältern zu entziehen, obwohl die autonome Regierung in Erbil maßgeblich zum Sieg über den "Islamischen Staat" beigetragen hatte.
Ungeachtet der Tatsache, dass das kurdische Gas derzeit nicht einmal für die eigene und die gesamtirakische Nachfrage ausreicht, sind irakische Kurden in der Gasförderungsfrage untereinander tief zerstritten. Zwei Parteien mit Clan-Strukturen dominieren die Politik in Kurdistan: die von der Türkei unterstützte Demokratische Partei Kurdistans (KDP) des Barzani-Clans und die Iran nahestehende Patriotische Union Kurdistans (PUK) des Talabani-Clans. Die PUK kontrolliert faktisch den Osten kurdischer Gebiete, in dem die wichtigsten Gasfelder liegen.
Im vergangenen Jahr unterzeichnete die KDP-geführte kurdische Regierung einen Vertrag mit dem heimischen Energieunternehmen KAR Group über den Ausbau einer Gaspipeline von den Feldern in die Regionalhauptstadt Erbil und die nördliche Stadt Dohuk nahe der türkischen Grenze. Es machten allerdings in letzter Zeit Berichte die Runde, dass PUK-Behörden der KAR Group den Zugang zu ihrem Terrain zur Ausbeutung der Gasvorkommen verweigert hätten. PUK-Präsident Bafel Talabani beschwerte sich darüber, dass die KDP dessen Partei von den Gesprächen ausgeschlossen habe und es kein Ausschreibungsverfahren oder Transparenz darüber gebe, wie KAR den Pipeline-Bauauftrag erhalten habe.
Talabani ging sogar so weit, dass er damit drohte, dass diese Pipeline "nur über meine Leiche" gebaut werde. Dabei ist anzumerken, dass das Energieunternehmen KAR Group Baz Karim Barzani, einem kurdischen Geschäftsmann aus dem Energiesektor, gehört. Barzani pflegt wiederum gute Beziehung zu der Barzani-Führung. Die Sackgasse bezüglich der Gas-Förderung könnte insofern die Stabilität im Norden des Irak untergraben, wo beide herrschenden Familien ihre eigenen Sicherheitskräfte haben.
Die irakische Zentralregierung, deren Beziehungen zur Autonomieregierung auch weit davon entfernt sind, partnerschaftlich zu agieren, hat bereits angekündigt, dass sie eine Ölgesellschaft einrichtet, die dem irakischen Staat gehört und der kurdischen Autonomieregierung nur einen kleinen Anteil überlässt.
Auf geopolitischer Ebene spielen dabei ausländische Interessen im Zuge der Ukraine-Krise eine Rolle. Angesichts des Ölpreisanstiegs sucht der Westen schon nach alternativen Quellen, um ein Ölembargo gegen Russland umsetzen zu können und steigende Ölpreise auf dem Markt einzudämmen. Auf einer Energiekonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten sagte Barzani kürzlich, dass die Autonome Region Kurdistan in naher Zukunft zu einem Exporteur von Gas in den übrigen Irak, die Türkei und nach Europa werde.
Seit der Militäroperation Russlands in der Ukraine zielt die Türkei darauf ab, ihr Land zur Drehscheibe für Exporte nach Europa zu machen, um ihre geschwächten Positionen auszugleichen. Während die Türkei derzeit versucht, sich zu einem Absatzmarkt für israelisches Gas zu machen, liebäugelt Ankara auch mit der Option von Gaslieferungen aus kurdischen Gebieten in die Türkei, um diese weiter in Richtung Europa zu liefern. An dieser Stelle kreuzen sich jedoch die geopolitischen Interessen Irans und der Türkei.
Teheran toleriert offenbar keine Gasförderungen durch die autonome kurdische Regierung im Irak. Der Gasexportplan könnte unter anderem den Platz Irans als wichtiger Gaslieferant für den Irak bedrohen. Teheran ist dabei sogar bereit, Gewalt anzuwenden, um eine mögliche Vereinbarung zwischen Kurden und dem Westen bei der Gas-Frage abzuwenden.
Iran hatte im März zwölf Raketen auf eine Villa in Erbil abgefeuert. Reuters berichtete seinerzeit, dass geheime Gespräche zwischen US- und israelischen Beamten über mögliche Erdgaslieferungen aus dem Nordirak nach Europa Teheran zu dem Angriff als Abschreckung veranlasst hätten. Diese Villa soll dem Ölunternehmer und kurdischen Oligarchen Barzani gehört haben.
In der politischen Landschaft der autonomen Region im Nordirak herrscht Misswirtschaft im Ölsektor und mangelnde Transparenz. Während sich die kurdische Führung um Barzani in westliche Pläne zur "Schwächung Russlands" einspannen lässt, hat Kurdistan nicht einmal genug Gas, um seinen eigenen Bedarf zu decken, wobei Stromausfälle ein tägliches Phänomen im Nordirak sind. Von den 13 Kraftwerken Kurdistans werden fünf mit Gas betrieben, und diese sind aufgrund von Engpässen nur zu etwa 50 bis 70 Prozent ausgelastet.
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