Die türkische Regierung warf kürzlich der von der Oppositionspartei CHP geführten Istanbuler Stadtverwaltung (IBB) vor, hunderte Terroristen zu beschäftigen. "Wir bekämpfen den Terror in den Bergen. Sollen wir den in der Stadt etwa nicht bekämpfen?", sagte Innenminister Süleyman Soylu. Das von der AKP geführte Innenministerium hat inzwischen bekanntgegeben, eine Sonderüberprüfung der mehr als 550 Beschäftigten der IBB eingeleitet zu haben. Soylu bringt 455 davon mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK in Verbindung, die restlichen mit kleinen linken Splitterparteien.
Die AKP hatte Istanbul bei den Regionalwahlen 2019 an die Opposition verloren. Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der kemalistischen Partei CHP verurteilte das Vorhaben des Innenministeriums am Montag scharf. Soylus Handeln sei von Eigeninteresse getrieben, und die Regierung wolle damit von den wirtschaftlichen Problemen ablenken.
Die Türkei steckt seit Wochen mitten in einer wirtschaftlichen Krise. Aufgrund des jüngsten Absturzes der türkischen Lira explodieren die Verbraucherpreise, wobei weite Teile der türkischen Mittelschicht zu verarmen drohen.
Der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu kritisierte inzwischen Präsident Erdoğan für dessen Schritt zur Sonderüberprüfung der mehr als 550 Beschäftigten der IBB. Es wird schon spekuliert, dass die türkische Regierung wahrscheinlich plane, Imamoğlu wegen mutmaßlicher "Verfehlungen" abzusetzen und einen Staatsverwalter zu installieren.
Der türkische Innenminister Soylu sagte nun am Mittwoch, dass die Regierung eine Strafanzeige gegen Kılıçdaroğlu (CHP) wegen seiner jüngsten Äußerungen einreichen werde, wo der CHP-Chef behauptet haben soll, dass alle CHP-Bürgermeister abgehört würden.
Die letzte Bürgermeisterwahl in Istanbul fand im März 2019 statt, wurde jedoch durch eine Entscheidung des Hohen Wahlausschusses (YSK) annulliert und am 23. Juni 2019 wiederholt. Die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen im annullierten Wahlgang, Ekrem İmamoğlu (CHP) und Binali Yıldırım (AKP), traten wieder an. Der türkische Oppositionspolitiker İmamoğlu gewann schließlich auch die Neuauflage der Bürgermeisterwahl in Istanbul. İmamoğlu gilt als möglicher Herausforderer Erdoğans bei der für 2023 geplanten Präsidentenwahl.
Soylu, der innerhalb der regierenden AKP längst als möglicher Nachfolger Erdoğans gehandelt wurde, versucht nach Ansicht des Journalisten Fatih Portakal, "İmamoğlus Image", der auch in religiösen Kreisen als wählbar gilt, zu beschädigen und einen Keil in das Oppositionsbündnis zu treiben, indem er der größten Oppositionspartei CHP, deren Mitglied İmamoğlu ist, eine Nähe zur PKK unterstellt.
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