Bei Ausschreitungen in Beirut kam es am Donnerstag zu Schüssen und heftigen Feuergefechten auf offener Straße. Die Gewalt brach den Berichten zufolge aus, als unbekannte Scharfschützen aus einem Gebäude in der Nähe des Justizpalastes Schüsse abgaben. Dort war ein Protest der schiitischen Amal-Bewegung gegen den Ermittlungsrichter Tarek Bitar geplant. Bitar leitet die Untersuchung zu der gewaltigen Explosion im Hafen von Beirut (August 2020). Ein Journalist der Associated Press sah, wie ein Mann während des Protests am Donnerstag mit einer Pistole das Feuer eröffnete und vom Balkon eines Gebäudes in Richtung Demonstranten schoss.
Nach dem Schusswechsel mit den Scharfschützen kam es zu bewaffneten Zusammenstößen im Viertel Ain El Remmaneh. Die Schüsse seien zunächst von einem überwiegend von Christen bewohnten Stadtviertel aus abgegeben worden, berichtete Reuters. Mehrere Stunden lang hallten die Straßen von den Schießereien in der Hauptstadt wider. Krankenwagen eilten mit heulenden Sirenen herbei, um Verletzte in Krankenhäuser einzuliefern.
Die Stimmung in Beirut ist derzeit angespannt. Auf Videos in den Sozialen Medien waren blutende Menschen zu sehen und Scharen, die im Kugelhagel über eine Kreuzung rennen und Schutz suchen. Sicherheitskräfte waren in großer Zahl im Einsatz und sperrten mehrere Straßen ab. Die Anwohner wurden aufgefordert, die Gegend zu meiden. Auch Schüler sollen Deckung gesucht haben, als die Lage in dem Gebiet eskalierte. Die Szenen erinnerten an den Bürgerkrieg von 1975–1990.
Die christliche Miliz "Libanesische Kräfte" hatte am Mittwochabend ihre Anhänger mobilisiert, nachdem Hisbollah und Amal zu Protesten vor dem Justizpalast in einem christlichen Viertel aufgerufen hatten. Das berichtete die Nachrichtenagentur AP. Die Anhänger der christlich-libanesischen Miliz sollen zuvor mit großen Kreuzen in den Straßen aufmarschiert sein.
Nach dem Schusswechsel zwischen den muslimischen Schiiten und den Christen in der Hauptstadt war die Armee verstärkt im Einsatz. Sie schickte Patrouillen in das Gebiet, um nach den bewaffneten Männern zu suchen.
Die Hisbollah-Bewegung im Libanon erklärte, Demonstranten ihrer Gruppe und der Amal-Bewegung seien von bewaffneten Männern der Libanesischen Kräfte angegriffen worden. Bei den Libanesischen Kräften handelt es sich um eine maronitisch-christliche politische Partei sowie eine ehemals von Israel unterstützte Milizgruppe während des Bürgerkriegs 1975–1990.
In einer Erklärung teilten die Hisbollah und die Amal-Bewegung mit, dass die Attacke darauf abgezielt hätte, Zwietracht im Land zu säen. Die Hisbollah forderte die libanesische Armee auf, Verantwortung zu übernehmen und schnell durchzugreifen, um die Kriminellen zu stoppen. Das berichtete der panarabische Nachrichtensender Al Mayadeen.
Ein Video, das Berichten zufolge vom Tatort stammte, zeigt, wie bewaffnete Personen sich hinter Barrikaden verstecken und auf unsichtbare Ziele feuern. In einem weiteren Video ist zu sehen, wie bewaffnete Hisbollah-Anhänger das Feuer auf die mutmaßliche Schützen eröffnen. Berichten zufolge wurden während der Gewalt auch RPG-Granaten auf das Gebiet abgefeuert. Obwohl unklar sei, welche Seite diese eingesetzt habe.
Beobachter sprechen von erhöhten Spannungen entlang der muslimisch-christlichen Frontlinie. Diese stammt noch aus dem einstigen Bürgerkrieg und verläuft zwischen den schiitisch bzw. christlich geprägten Stadtteilen Beiruts. In den Sozialen Medien zirkuliert mittlerweile ein Video, wo zu sehen ist, wie schwerbewaffnete schiitische Kämpfer aus der südlichen Dahieh ins Stadtzentrum ziehen.
Am Donnerstag wies ein Gericht einen Antrag zweier schiitischer Ex-Minister zurück, den Richter Bitar abzusetzen. Wegen des Antrages lagen die Ermittlungen seit dem 12. Oktober auf Eis. Die beiden Ex-Minister Ali Hassan Khalil und Ghasi Saitar haben Verbindungen zu Hisbollah und Amal. Schon vor einigen Wochen hatten die Ex-Minister gegen Bitar geklagt und ihm bei der Untersuchung mangelnde Neutralität vorgeworfen. Auch bei einer Kabinettssitzung am Dienstag kam es wegen des Richters zum Streit. Der Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah rief am 11. Oktober dazu auf, Bitar durch einen "ehrlichen" Richter zu ersetzen. Die Hisbollah wirft dem derzeitigen Ermittlungsrichter "Parteilichkeit" vor.
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