Taliban sollen beschützen: Nach Blutbad am Flughafen in Kabul rechnen USA mit weiteren IS-Anschlägen

Nach den ISIS-Terroranschlägen am Kabuler Flughafen, bei denen Dutzende Zivilisten sowie 13 US-Soldaten getötet wurden, rechnet die US-Regierung mit weiteren Anschlägen. Washington erklärt, es sei die Verantwortung der Taliban, inmitten des Chaos für Sicherheit zu sorgen.

Zwei Explosionen und Schüsse haben am Donnerstagabend das Gelände am Kabuler Flughafen erschüttert, wie Zeugen berichteten. Von afghanischen Journalisten aufgenommene Videos zeigen Dutzende Leichen an einem Kanal nahe des Flughafens. Ein Vertreter der Gesundheitsbehörde sowie ein Sprecher der Taliban erklärten, die Zahl der getöteten Afghanen sei auf 72 gestiegen, darunter 28 Mitglieder der Taliban. Das US-Militär verkündete, bei dem Anschlag seien 13 US-Soldaten ums Leben gekommen.

Einer der Selbstmordattentäter erklärte, der Islamische Staat (ISIS) sei ein Feind der Taliban sowie des Westens und habe auf "Übersetzer und Kollaborateure der US-amerikanischen Armee" gezielt. Auch US-Vertreter machen die Gruppe für die Anschläge verantwortlich und gelobten hierfür Vergeltung. General Frank McKenzie, Chef des US-Zentralkommandos, sagte, die US-Kommandeure seien in Alarmbereitschaft für weitere Angriffe des Islamischen Staates, darunter möglicherweise Raketen oder sprengstoffbeladene Fahrzeuge, die auf den Flughafen abzielten.

"Wir tun alles, was wir können, um vorbereitet zu sein", sagte McKenzie und fügte hinzu, man teile einige der Informationen mit den Taliban. Er glaube, dass "einige Angriffe von ihnen vereitelt wurden", so der General.

McKenzie hob hervor, die USA würden den Taliban die Hand reichen, um "sicherzustellen, dass sie wissen, was wir von ihnen erwarten, um uns zu schützen."

Die US-Streitkräfte befinden sich unter Druck, ihren Rückzug aus Afghanistan bis zum 31. August abzuschließen. US-Präsident Joe Biden sagte, die Vereinigten Staaten hätten längst ihr Ziel mit dem Einmarsch in das Land im Jahr 2001 erreicht: Die Eliminierung von Al-Qaida-Kämpfern und die Verhinderung einer Wiederholung der Anschläge vom 11. September auf die Vereinigten Staaten.

Biden sagte, er habe das Pentagon angewiesen, zu planen, wie man ISIS-K, ein Ableger des Islamischen Staates, der sich zu den Anschlägen bekannte, angreifen könne. Bei einer Liveübertragung aus dem Weißen Haus sagte der US-Präsident:

"Wir werden nicht verzeihen. Wir werden nicht vergessen. Wir werden Sie zur Strecke bringen und Sie bezahlen lassen."

Videos, die nach dem Angriff aufgenommen wurden, zeigen Leichen in einem Abwasserkanal nahe des Flughafens. Einige wurden herausgefischt und auf Haufen gelegt, während weinende Zivilisten nach Angehörigen suchen. Ein afghanischer Zeuge sagte:

"Ich sah Leichen und Körperteile durch die Luft fliegen, wie ein Tornado, der Plastiktüten aufwirbelt. Das wenige Wasser, das im Abwasserkanal floss, hatte sich in Blut verwandelt."

Zubair, ein 24-jähriger Bauingenieur, sagte, er sei in der Nähe eines Selbstmordattentäters gewesen, der den Sprengstoff zündete. Der Zeuge erinnerte sich:

"Männer, Frauen und Kinder haben geschrien. Ich sah, wie viele Verletzte Männer, Frauen und Kinder in private Fahrzeuge verladen und in Richtung der Krankenhäuser gebracht wurden."

Ein Sprecher des US-Zentralkommandos sagte, dass 18 Soldaten, die bei dem Angriff verwundet wurden, "momentan mit speziell ausgerüsteten C-17-Flugzeugen mit eingeflogenen medizinischen Einheiten aus Afghanistan evakuiert werden". Ein Taliban-Vertreter beklagte die hohe Anzahl der bei dem Angriff getöteten Mitglieder seiner Gruppe. Er erklärte:

"Wir haben mehr Menschen als die Amerikaner bei den Explosionen am Flughafen verloren. Die Taliban sind nicht verantwortlich für den chaotischen Evakuierungsplan, der von ausländischen Nationen vorbereitet wurde."

Ein Diplomat eines NATO-Landes sagte in Kabul, dass alle ausländischen Streitkräfte bestrebt seien, ihre Bürger und Botschaftsmitarbeiter bis zum 30. August zu evakuieren. Die Taliban würden die Sicherheit rund um den Flughafen verschärfen, sagte der Diplomat, der namentlich nicht genannt werden wollte.

"Sicherheit ist ihre Verantwortung", sagte der Diplomat und fügte hinzu, dass die Taliban das Netzwerk des Islamischen Staates untersuchen sollten.

Westliche Länder befürchten, dass die Taliban, die einst Osama bin Laden und der Al-Qaida Unterschlupf gewährten, zulassen könnten, dass Afghanistan wieder zu einem Zufluchtsort für Militante wird. Die Taliban erklären, dass sie nicht zulassen werden, dass das Land erneut von Terroristen benutzt wird.

ISIS-K war zunächst auf Gebiete an der Grenze zu Pakistan beschränkt, hat aber eine zweite Front im Norden des Landes aufgebaut. Laut dem Zentrum für Terrorismusbekämpfung an der US-Militärakademie in West Point gehören zu ISIS-K neben Afghanen auch Pakistaner aus anderen militanten Gruppen sowie Extremisten aus Usbekistan.

LUFTBRÜCKE BESTEHT WEITER

Die Vereinigten Staaten setzen die Evakuierungen trotz der Gefahr weiterer Anschläge fort, sagte McKenzie und merkte an, dass sich noch immer etwa rund 1.000 US-Bürger in Afghanistan aufhalten. Das Tempo der Evakuierungsflüge habe sich am Freitag beschleunigt und Inhabern von US-Pässen sei erlaubt worden, das Flughafengelände zu betreten, sagte ein westlicher Sicherheitsbeamter, der im Flughafen stationiert war.

In den vergangenen 12 Tagen haben westliche Länder fast 100.000 Menschen evakuiert. Man räumt jedoch ein, dass Tausende Personen zurückbleiben werden, wenn die letzten US-Truppen Ende des Monats abziehen. Mehrere westliche Länder verkündeten, dass ihre letzten verbliebenen Truppen das Land verlassen haben und erklärten, dass die Luftbrücke für Zivilisten eingestellt wird.

Am Donnerstag wurde wahrscheinlich die höchste Anzahl von US-Soldaten bei einem einzelnen Angriff in Afghanistan getötet, seit im Jahr 2011 30 Angehörige des US-Militärs beim Abschuss eines Hubschraubers ums Leben kamen. Die Todesfälle unter den US-Soldaten waren die ersten in Afghanistan seit 18 Monaten. Eine Tatsache, die Kritiker wahrscheinlich anführen werden, um Biden zu beschuldigen, einen stabilen und hart erkämpften Status quo leichtfertig aufgegeben zu haben, indem er einen abrupten Abzug angeordnet hatte.

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(rt/reuters)