"Lynchjustiz": Israelische Führung spricht von "Anarchie" und "Krieg" in den Städten

Nach der Eskalation der Gewalt um die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem ist es in mehreren israelischen Städten zu heftigen Zusammenstößen zwischen Palästinensern und Juden gekommen. In Bat Jam südlich von Tel Aviv fand nach Aussagen der Polizei eine "Lynchjustiz" durch radikale Israelis statt.

Als Folge des Konflikts nehmen auch die Spannungen zwischen jüdischen und arabischen Israelis zu. In mehreren gemischten Orten kam es in der Nacht zu Mittwoch zu Ausschreitungen. Die Polizei berichtete von gewaltsamen Zwischenfällen in Akkon, Haifa und Lod.

In Bat Jam südlich von Tel Aviv wurde am Mittwochabend ein  palästinensischer Einwohner von einer wütenden Menge radikaler Juden attackiert. Die in den sozialen Medien geteilten Videos zeigen, wie dutzende Angreifer den Mann gewaltsam aus seinem Auto zerrten und ihn bewusstlos prügelten. Zuvor habe er versucht, mit seinem Wagen durch die gewaltbereite Menge zu fahren, sagten einige Zeugen des Vorfalls.  Polizeisprecher Eli Levy sagte in den Abendnachrichten, dass dies nach den ersten Ermittlungen ein Vorfall war, der mit einer Prozession von 30 "leidenschaftlichen Gesetzesbrechern begann, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt entschlossen hatten, unschuldigen Menschen Schaden zuzufügen".

Das Opfer der "Lynchjustiz" sei schwer verletzt, aber stabil, teilte das Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv in einer Erklärung mit, ohne dessen Identität preiszugeben. Die Polizei in der israelischen Küstenmetropole versprach, dass man "jeden einzelnen Angreifer dieser schrecklichen Lynchjustiz fassen" werde, wie die Zeitung Haaretz meldete. 

Auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu äußerte sich zu diesen Ereignissen. Das, was in den israelischen Städten passiert, sei "unerträglich":

Es ist etwas, das wir nicht akzeptieren können, es ist Anarchie. Nichts rechtfertigt es, und ich werde Ihnen mehr als das sagen: Nichts rechtfertigt das Lynchen von Arabern durch Juden und nichts rechtfertigt das Lynchen von Juden durch Araber.

Präsident Reuven Rivlin meinte zuvor in einem Interview, dass in den Straßen Israels "Krieg ausgebrochen" sei, doch "die stille Mehrheit ist fassungslos und glaubt nicht, was sie sieht."

In der nordisraelischen Küstenstadt Akkon kam es zu Ausschreitungen zwischen Palästinensern und Israelis. Die Randalierer zündeten ein Hotel und ein berühmtes Fischlokal an, das als Symbol der friedlichen Koexistenz zwischen Juden und Arabern gilt. In der arabisch-jüdischen Stadt Akkon griffen fünf israelische Araber einen 30-jährigen jüdischen Mann an, der schwer verwundet und ins Krankenhaus eingeliefert wurde, berichtete Haaretz. Vor dem Vorfall wies die Polizei arabische Ladenbesitzer an, ihre Läden vor dem erwarteten Mob einer Gruppe von radikalen Israelis zu schließen.

Als Reaktion auf Zwangsräumungen von Palästinensern in Ostjerusalem kam es Dienstagnacht in der israelischen Stadt Lod bei Tel Aviv, in der Israelis und Palästinenser gemeinsam leben, zu schweren Ausschreitungen. Der Bürgermeister nahm sogar das Wort "Bürgerkrieg" in den Mund. Am Mittwochabend flammte die Gewalt wieder auf, als sich mehrere jüdische Israelis dem Trauerzelt von Moussa Hassouna näherten, die am Montag bei den Unruhen in der Stadt von einem jüdischen Mann erschossen wurde. Als das gegenseitige Werfen von Steinen begann, griff die israelische Polizei ein, und feuerte daraufhin Betäubungsgranaten ab, um beide Menschenmengen zu zerstreuen. Mindestens 20 Personen wurden festgenommen. Jüdische Randalierer legten Feuer vor der Omari-Moschee und auf einem muslimischen Friedhof. Etwa 200 bis 300 radikale israelische Aktivisten versuchten, in das Viertel Ramat Eshkol einzudringen, und wurden dabei von der israelischen Polizei verfolgt. Aus den umliegenden Fenstern schleuderten die arabischen Bewohner Steine auf die israelischen Aktivisten.

In der am Meer gelegenen Stadt Netanja hetzten radikale Israelis gegen arabische Familien, die in dieser Stadt leben.

In der Stadt Ramla richteten sie Kontrollpunkte ein, um die Weiterfahrt von Palästinensern zu verhindern, während sie jüdische Fahrer passieren ließen. Dabei soll ein Palästinenser getötet worden sein. In der Stadt kam es mittlerweile zu schweren Ausschreitungen zwischen Polizei und Palästinensern.

In der Stadt Tiberias wurde ein palästinensischer Fahrer angegriffen und leicht verletzt, als er versehentlich den Ort passierte, an dem radikale Israelis marschierten, teilte die Polizei mit. Im beduinischen Dorf Hura wurde eine israelische Polizeistation in Brand gesteckt.

In der nordarabischen Stadt Tamra wurde ein 50-jähriger jüdischer Mann, der versehentlich in die Stadt eingefahren war, angegriffen und ihm in den Hals gestochen. Er wurde daraufhin in ein Krankenhaus in Haifa eingeliefert.

Der ultrarechte israelische Abgeordnete Itamar Ben-Gvir hetzte bereits mehr den Hass gegen die arabischen Israelis. Seine Partei fordert die Vertreibung der Palästinenser aus Israel. in jüngster Zeit marschierten Anhänger der radikalen jüdischen Siedler mehrfach durch Jerusalem und skandierten dabei "Tod den Arabern".

Einer der beiden Oberrabbiner in Israel rief mittlerweile zur Zurückhaltung auf, nachdem lokale Medien von schrecklichen Szenen von Vandalismus und Straßenangriffen berichtetet hatten. "Wir dürfen uns nicht zu Provokationen hinreißen lassen und Menschen oder Eigentum Schaden zufügen", sagte der sephardische Oberrabbiner Yitzhak Yosef am Mittwoch in einer Erklärung. 

Die Auslöser der jüngsten Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis war ein Aufmarsch radikaler zionistischer Siedler am Zugang zur Altstadt von Jerusalem Ende April. Dort waren mehrere Hundert Polizisten, um den Aufmarsch der rechten Organisation Lehava abzuschirmen. Hunderte von Anhängern der rechtsextremen israelischen Gruppierung jagten Palästinenser durch die Straßen und skandierten "Tod den Arabern".

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