Politische Krise in Israel vertieft sich: Netanjahu verpasst Frist zur Regierungsbildung

In den vergangenen zwei Jahren brachte das kleine Land im Nahen Osten bereits vier Wahlen hinter sich. Doch auch die letzte Wahl führte nicht zu der von vielen erhofften Lösung der politischen Pattsituation. Netanjahu, der bereits sei einem Jahrzehnt das Land leitet, konnte keine Regierung bilden.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hat es trotz wochenlanger Verhandlungen nach den Parlamentswahlen im März nicht geschafft, eine Regierungskoalition zu bilden. Daher musste Präsident Reuven Rivlin entscheiden, ob er den Auftrag, eine Regierung zu bilden, an einen anderen Kandidaten weitergibt.

Netanjahu verpasste am Mittwoch um Mitternacht die Frist, um eine Mehrheit in der 120 Sitze zählenden israelischen Knesset zu bilden, nachdem es wochenlang zu einem Gerangel zwischen seiner Likud-Partei und kleineren Parteien gekommen war. Rivlin, der drei Tage Zeit hat, sich mit den Gesetzgebern zu beraten, um einen Weg nach vorn zu bestimmen, könnte dem Premierminister weitere zwei Wochen gewähren, um eine Verständigung zustande zu bringen. Es ist aber unklar, ob Netanjahu den Auftrag erneut bekommt, da er in den letzten zwei Jahren dreimal gescheitert ist, eine Regierung zu bilden. Das Büro des israelischen Präsidenten erklärte:

"Netanjahu hat den Präsidenten darüber informiert, dass er nicht in der Lage ist, eine Regierung zu bilden und hat daher das Mandat an den Präsidenten zurückgegeben."

Der Präsident werde sich am Mittwochmorgen mit den Parteiführern treffen. Obwohl Netanjahu vor Ablauf der Frist eine Verlängerung beim Präsidenten hätte beantragen können, gab er stattdessen eine Erklärung ab, in der er den Vorsitzenden der rechten Jamina-Partei, Naftali Bennett, der mit einem Zusammenschluss mit Jair Lapids Mitte-Links-Partei Jesh Atid liebäugelt, kritisierte. In einer Erklärung von Netanjahus Büro heißt es:

"Aufgrund der Weigerung von Bennett, zu versprechen, nur eine Regierung mit der Rechten zu bilden, hat der Premierminister das Mandat an den Präsidenten zurückgegeben."

Die aktuelle politische Krise folgt auf die Parlamentswahlen im März, die die vierte Wahl in nur zwei Jahren war, wobei mehrere dieser Wahlen keine Regierungsmehrheit hervorgebracht haben.

Im letzten Jahr gelang es Netanjahu, ein ungewöhnliches Abkommen mit Benny Gantz von der Blau-Weiß-Partei zu erreichen, bei dem sich die beiden auf eine rotierende Ministerpräsidentschaft einigten. Doch die wackelige Koalition brach zusammen, nachdem Gantz Netanjahus Partei beschuldigte, einen Haushaltsplan nicht eingehalten zu haben, der Teil des ursprünglichen Koalitionsabkommens war. Nach dem Scheitern dieser Koalition folgte eine vierte Wahl.

Seit der letzten Wahl am 23. März, bei der der Likud 30 Sitze gewann, aber die Mehrheit von 61 Sitzen nicht erreichte, hat Netanjahu darum gekämpft, eine Koalition zusammenzuschustern. Obwohl er sich einigen seiner Rivalen mit sehr großzügigen Angeboten genähert hat – so bot er zum Beispiel Bennett das Abkommen zur Teilung der Macht an – haben ihn alle abgewiesen.

Netanjahus Versuch, die arabisch-islamistische Partei Raam anzusprechen, die derzeit vier Sitze in der Knesset innehat, deutet auf das Ausmaß seiner Verzweiflung hin. Dieser Versuch scheiterte jedoch, da sie sofort Proteste der Partei des religiösen Zionismus hervorbrachte, die Raam der Unterstützung des Terrorismus beschuldigte.

In einem letzten verzweifelten Versuch, seinen Posten zu behalten, unterstützte Netanjahu einen Gesetzentwurf, der es der Knesset selbst erlauben würde, in einer neuen Schnellwahl direkt einen Premierminister zu wählen. Dieses Projekt erlitt jedoch am Dienstagabend einen großen Rückschlag, nachdem die Raam dem Vorschlag widersprach und ihn im Ausschuss abwürgte. Die israelischen Zeitungen Haaretz und die Times of Israel berichteten am Mittwoch, dass die politischen Kreise von Rivlin erwarten, Lapid eine Chance zur Bildung einer Koalition anzubieten.

Haaretz zitierte eine Quelle, die aussagte, dass der Präsident Lapid mit dem Auftrag zur Regierungsbildung ausstatten wird, selbst wenn der Likud und andere rechte Parteien Bennett nominieren. Dies ist Teil eines politischen Spieles, das darauf abzielt, Netanjahus Chancen zu erhöhen, bis zur nächsten Wahl Premierminister zu bleiben.

Das Nachrichtenportal Axios zitierte Rivlins Berater mit den Worten, dass Lapid höchstwahrscheinlich das Mandat zur Bildung der Koalition erhalten wird.

Der politische Machtkampf kommt zu einer extrem schwierigen Zeit für Netanjahu, der bereits seit über einem Jahrzehnt als Premierminister dient. In dieser Woche setzte ein Jerusalemer Gericht die Anhörung von Zeugen im ersten von drei Korruptionsverfahren gegen den Premierminister fort, in dem Netanjahu beschuldigt wird, mit dem Besitzer eines Medienunternehmens politische Gefälligkeiten im Austausch für positive Berichterstattung zu handeln. Der Premierminister bestreitet vehement jegliches Fehlverhalten, aber die Anschuldigungen verfolgen ihn schon seit Jahren und haben wiederholt Proteste sowie Gegenproteste im ganzen Land ausgelöst.

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