Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen am Dienstag eine Taliban-Offensive in der südlichen Provinz Helmand zurückgeschlagen haben. Seit dem Verstreichen des laut ursprünglicher Vereinbarung auf den 1. Mai terminierten Abzugs aller US-Truppen starteten die Taliban nun wie befürchtet eine Offensive in dem jahrzehntelang vom Krieg heimgesuchten Land.
Die Taliban griffen in der Nacht zum Dienstag in mehreren Provinzen die Sicherheitsgürtel rund um Provinzhauptstädte sowie Kontrollpunkte und Militärbasen an. In Helmand im Süden des Landes werde seit drei Tagen gekämpft, sagte der Provinzrat Ataullah Afghan. Die Taliban hätten am Montag ihre Offensive aus verschiedenen Richtungen gestartet. Mindestens zehn Kontrollposten nahe der Provinzhauptstadt Laschkar Gah seien an die Taliban gefallen.
Spezialkräfte seien mittlerweile vor Ort, die afghanische Luftwaffe habe in mehreren Gebieten der Provinz Taliban-Stellungen bombardiert. Rund eintausend Familien seien vor den Kämpfen geflohen.
Eine Taliban-Offensive in Helmand, woher ein Großteil des afghanischen Opiums kommt, erntet besondere Aufmerksamkeit, da in dieser Region auch die US-amerikanischen und britischen Streitkräfte den größten Teil ihrer Verluste während des 20-jährigen Krieges erlitten hätten, kommentiert Al Jazeera. Im Rahmen des Abzugs übergaben die US-Streitkräfte am 2. Mai eine Basis in Helmand an afghanische Regierungstruppen.
Das afghanische Verteidigungsministerium erklärte, dass neben Helmand in den letzten 24 Stunden Sicherheitskräfte auf Angriffe der Taliban in mindestens sechs anderen Provinzen reagiert hätten, darunter im Südosten von Ghazni und im Süden von Kandahar.
Das Verteidigungsministerium teilte weiter mit, in Helmand seien etwas mehr als 100 Taliban-Kämpfer getötet worden. Zu den Opfern der afghanischen Sicherheitskräfte gab es keine Einzelheiten. Die Taliban äußerten sich nicht sofort dazu.
In der nördlichen Provinz Baglan im Norden des Landes griffen Taliban am Dienstag ebenfalls eine große Militärbasis im Bezirk Baglan-I Markasi an. Mindestens neun Sicherheitskräfte seien dabei ums Leben gekommen, sagten Provinzräte am Dienstag. In dieser Provinz sei es den "Aufständischen" gelungen, nach stundenlangen Kämpfen mit afghanischen Einheiten den Bezirk Burka zu erobern, teilte ein Polizeisprecher mit. Die Taliban hätten dabei schwere Verluste erlitten, fügte er hinzu, ohne auf Details einzugehen, berichtet Reuters.
Unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump hatte in Doha die US-Regierung mit den Taliban einen Abzug aller internationalen Truppen bis zum 1. Mai 2021 vereinbart. Joe Biden brach diese Zusage umgehend. Die US-Regierung verkündete dagegen unlängst, dass die USA ihre Truppen bis zum symbolträchtigen 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 (9/11) aus Afghanistan abziehen wollen. Die Taliban-Bewegung bestand jedoch weiterhin auf der Vereinbarung zum ursprünglichen Termin für einen Abzug der ausländischen Truppen, also bis zum 1. Mai, und drohte mit Gegenmaßnahmen gegen die "Besatzungsmächte" in Afghanistan. In Washington, D.C. meldete kürzlich das US-Militär, bisher seien etwa zwei bis sechs Prozent der Rückzugsoperationen abgeschlossen.
Mehr zum Thema - Die Gutmenschen-Idee der USA: Intersektionaler Imperialismus als neue Vermarktungsstrategie