Die massiven Proteste gegen ein neues Einwanderungsgesetz in Indien haben sich verschärft. Zehntausende Menschen demonstrierten am Montag in mindestens acht Städten und mehreren Universitäten, wie lokale Medien berichteten. Das Gesetz erleichtert die Einbürgerung von illegal eingereisten, nicht-muslimischen Migranten aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan.
Mehrere Tausend Menschen hatten bereits am Sonntag gegen das Staatsbürgerschaftsgesetz demonstriert. Polizisten gingen nach Medienberichten mit Tränengas und Schlagstöcken gegen sie vor. Seit Sonntagabend gab es mehrere Dutzend Verletzte sowie sechs Tote. Vergangene Woche wurden zudem bei Protesten im Bundesstaat Assam allein mindestens vier Menschen getötet, wie ein Polizeisprecher sagte.
Nachdem das Gesetz in der vergangenen Woche in Kraft getreten war, befürchten Menschen in der indischen Grenzregion einen Zustrom von Zuwanderern. Andere kritisieren, dass die hindunationalistische Regierung mit dem Gesetz Muslime diskriminiere. Konkret geht es um Verfolgte religiöser Minderheiten aus den Nachbarstaaten – Christen, Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jaina und Parsen – die bis Ende 2014 nach Indien eingereist sind. Der muslimische Anteil in Indiens Bevölkerung macht fast 15 Prozent aus.
Proteste breiteten sich im ganzen Land aus, nachdem Polizisten am Sonntagabend mit Tränengas und Schlagstöcken gegen demonstrierende Studenten der islamischen Jamia-Millia-Universität in der Hauptstadt Neu-Delhi vorgegangen waren. Die Polizei sprach von Selbstverteidigung. Demonstranten sollen demnach Steine geworfen und zahlreiche Fahrzeuge, darunter auch Busse, in Brand gesteckt haben. Die Polizei soll rund einhundert Menschen zeitweise festgenommen haben. Behörden haben außerdem in mehreren besonders betroffenen Regionen, wie im Bundesstaat Assam, den Zugang zum Internet gesperrt, um Proteste zu verringern.
Indiens Premierminister Narendra Modi schrieb am Montag auf Twitter, dass die gewaltsamen Proteste "unglücklich und zutiefst erschreckend" seien. Er beschwichtigte: "Kein Inder hat wegen des Gesetzes etwas zu befürchten." Und: "Das Gesetz betrifft nur diejenigen, die jahrelange Verfolgung erlitten und nirgendwo sonst hingehen können außer nach Indien." Das Gesetz sei Ausdruck von Harmonie und Brüderlichkeit des Landes. Das Parlament habe mit großer Unterstützung zugestimmt.
Rechtsexperten argumentieren hingegen, dass es gegen Artikel 14 der indischen Verfassung verstößt, der das Recht auf Gleichheit garantiert. Faizan Mustafa, ein Experte für Verfassungsrecht und stellvertretender Leiter der NALSAR University of Law in Hyderabad bezeichnet die Gesetzgebung als "sehr regressiv" und als Verfassungsbruch. "Wir haben unsere Staatsbürgerschaft nicht auf der Grundlage der Religion", sagte Mustafa, gegenüber dem Nachrichtensender Al Jazeera. Er ergänzte:
Unsere Verfassung verbietet jede Diskriminierung aufgrund der Religion. Indem es illegale Einwanderer nach Religion unterscheidet, verletzt das vorgeschlagene Gesetz die Grundstruktur der indischen Verfassung.
Auch das UN-Menschenrechtsbüro in Genf bezeichnete das Gesetz hingegen als "grundlegend diskriminierend". Es untergrabe das Versprechen zur Gleichheit vor dem Gesetz, zu dem sich Indien nicht zuletzt mit seiner eigenen Verfassung verpflichtet habe.
Das indische Innenministerium kritisierte am Montag Oppositionsparteien. Sie würden zu Gewalt anstiften, während die Regierung versuche, wieder Recht und Ordnung herzustellen. Die Regierungschefin des Bundesstaates Westbengalen, Mamata Banerjee, etwa rief auf Twitter zu einer Demonstration in der Stadt Kolkata auf.
Die Proteste gegen das neue Einwanderungsgesetz nähren die Befürchtungen muslimischer Inder, dass die Regierung nationalistischen Hindukräften im Land noch stärker entgegenkommen könnte. Dies betrifft auch den Kaschmirkonflikt. Die Einwohner im indisch kontrollierten Teil der Unruheregion Kaschmir werden nach Überzeugung des UN-Menschenrechtsbüros diskriminiert. Bei sporadischen Protesten gegen die Aufhebung des Autonomiestatus, die Indien Anfang August dieses Jahres beschloss, seien nach unbestätigten Berichten mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen, sagte ein Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte im Oktober 2019 in Genf. Führende Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft seien in Haft.
Seit der Unabhängigkeit des früheren Britisch-Indiens und der Trennung in Indien und Pakistan im Jahr 1947 streiten die beiden Länder um die Herrschaft über Kaschmir. Sie führten bereits zwei Kriege um das Himalaya-Tal. Es gebe Berichte über übermäßigen Gewalteinsatz beim Niederschlagen solcher Proteste, unter anderen mit Tränengas und Gummigeschossen. Bewaffnete Gruppen bedrohten zudem Einwohner und wendeten Gewalt an, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden. Dabei seien mindestens weitere sechs Menschen umgekommen.
Zudem sei nach Berichten im Kaschmirtal weiterhin eine Ausgangssperre in Kraft, die Internetverbindungen ist bis heute unterbrochen. Die Rechte der Einwohner auf Gesundheit, Bildung, Religionsfreiheit und auf friedliche Versammlung seien eingeschränkt, so das UN-Menschenrechtsbüro.