Bis vor kurzem galt sie noch als Ikone der Demokratie. Nach 15 Jahren des Hausarrestes für ihre Bemühungen, eine gewaltlose Demokratisierung ihres Heimatlandes durchzusetzen, wurde Suu Kyi von der herrschenden Militärjunta schlussendlich aus ihrer langjährigen Haft entlassen. Die Menschenrechtlerin legte wenig später ihren Eid als Parlamentsabgeordnete ab und ist seit 2016 Regierungschefin und Außenministerin Myanmars. Im Zuge der Verfolgung und Säuberungsaktion gegen die muslimische Minderheit der Rohingya durch das burmesische Militär geriet Suu Kyi durch die Relativierung des internen Konflikts zunehmend in die Kritik.
Obwohl die Unterdrückung der Rohingya bis in die 1970er-Jahre zurückreicht, nahmen die ethnischen Spannungen Ende 2016 unverhältnismäßige Ausmaße an, als der Tod von neun Polizisten in einem Grenzgebiet mit brutalen Maßregelungen durch die Armee ihren Höhepunkt fand. Seit dem Einzug des burmesischen Militärs in den von überwiegend Rohingyas bewohnten Rakhine-Staat – eines der 15 Verwaltungseinheiten Myanmars – flohen mehr als eine Millionen Rohingyas in benachbarte Staaten. Verschiedene Institutionen der UN sowie Menschenrechtsorganisationen berichteten seit dem Beginn der Säuberungsaktion von Massenvergewaltigungen und willkürlichen Tötungen durch die Armee und buddhistische Extremisten. Suu Kyi wird vorgeworfen, die Gründe für den Exodus der Rohingyas bewusst zu verschweigen.
In ihrer ersten Ansprache an die Nation in Bezug zu den Angriffen auf die Rohingya sagte Suu Kyi:
Wir wollen herausfinden, warum dieser Exodus stattfindet. Wir möchten mit denen reden, die geflohen sind, als auch mit jenen, die geblieben sind. Ich denke, zu wenige wissen, dass die große Mehrheit an Muslimen des Rakhine-Staates nicht an dem Exodus teilnimmt.
Suu Kyi leugnete zwar nicht bei ihrer Ansprache, dass rund 50 Prozent aller muslimischen Dörfer in dem betroffenen Verwaltungsgebiet zerstört wurden, verwies jedoch skurrilerweise darauf, dass man die Aufmerksamkeit doch lieber auf jene Dörfer richten soll, die nach wie vor intakt seien. Die Regierungschefin sprach bei verschiedenen Anlässen mit der ausländischen Presse davon, dass nur wenig über den Konflikt bekannt sei und sich die meisten mit der Komplexität der Situation nicht auseinandersetzten. Viele sehen den Grund für die fehlende Stellungnahme Suu Kyis als Anzeichen dafür, dass ihr Einfluss trotz des Innehabens hoher Ämter von der Gunst des Militärs abhängig ist.
Das überwiegend von Muslimen bewohnte Gambia reichte jüngst bei dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag Klage gegen Myanmar ein. Der westafrikanische Kleinstaat – mit Unterstützung der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) – wirft der burmesischen Regierung Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Klage sieht vor, die Täter vor Gericht zu bringen, Entschädigung an die Opfer zu leisten sowie unverzüglich die Gewalt einzustellen.
Regierungschefin Suu Kyi wird im kommenden Monat eine Delegation anführen, um Myanmar vor dem Internationalen Gerichtshof zu verteidigen. Öffentliche Anhörungen zu den Vorwürfen des Völkermordes und anderer systematischer Gräueltaten sind für den Zeitraum vom 10. bis zum 12. Dezember angesetzt.