Deepfakes und verhinderte Wahlbeobachter: Kopf-an-Kopf-Rennen ums Präsidentenamt in Sri Lanka

In Sri Lanka finden am Samstag Präsidentschaftswahlen statt – ein entscheidender Moment für die Zukunft des südasiatischen Inselstaats. Doch nicht nur aufgrund seiner strategisch bedeutenden Lage dürften auch externe Beobachter die Wahlen mit Spannung verfolgen.

Sri Lanka, die "Perle des Indischen Ozeans", hat noch immer die Folgen der Bombenanschläge am Ostersonntag zu verdauen, vor allem politisch. Das machte sich auch in der heißen Phase des Präsidentschaftwahlkampfes bemerkbar. Um 7 Uhr am Samstag (2:30 Uhr MEZ) eröffneten die Wahllokale, die zehn Stunden später schließen sollen. Mehr als 80.000 Sicherheitskräfte sind im Einsatz.

So viele Kandidaten wie nie zuvor

Das Ergebnis der Wahlen am Samstag dürfte über das Land, das an international bedeutenden Schifffahrtsrouten liegt, hinaus mit Spannung verfolgt werden. Zur Wahl des wichtigsten Amtes in Sri Lanka, wo der Präsident sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef und zudem Oberbefehlshaber der Truppen ist, treten insgesamt 35 Kandidaten an, doch findet das entscheidende Rennen zwischen zwei Kandidaten statt. Die registrierten Wähler unter den rund 22 Millionen Bewohnern des südasiatischen Inselstaats müssen sich vermutlich zwischen dem Kandidaten der Sri-Lanka-Volksfront (Sri Lanka Podujana Peramuna, SLPP), dem ehemaligen Verteidigungsminister Gotabhaya Rajapaksa, und Sajith Premadasa, dem Kandidaten der regierenden United National Party (UNP), entscheiden.

Beide stammen aus mächtigen politischen Familien. Als Sohn von Ranasinghe Premadasa, der zunächst Ministerpräsident und von 1989 bis zu seiner Ermordung durch tamilische Separatisten 1993 Präsident war, hat Sajith Premadasa auf dessen Erbe gesetzt. Ranasinghe Premadasa war der erste Staatschef aus der unteren Kasten in der modernen Geschichte Sri Lankas und wird immer noch dafür gefeiert, dass er die Armut im Land bekämpft hat. Sajith Premadasa hat sich in seiner Kampagne ebenfalls als Mann des Volkes positioniert, ob er die von ihm versprochenen Sozialleistungen angesichts der wirtschaftlichen Lage des Landes erbringen kann, ist allerdings höchst fragwürdig. Die UNP stützt sich eher auf die Minderheiten im buddhistisch dominierten Land und orientiert sich außenpolitisch eher an Indien und dem Westen.

Die Rajapaksa-Brüder haben über ein Jahrzehnt Sri Lankas Politik dominiert, bis zum Jahr 2015 war Gotabhaya Rajapaksa Verteidigungsminister, während sein Bruder Mahinda Präsident war. Ihnen wird die Beendigung des fast 26-jährigen Bürgerkriegs zwischen den dominanten singhalesischen Buddhisten und der Minderheit der Tamilen angerechnet. Menschenrechtsgruppen machen Gotabhaya Rajapaksa als De-facto-Oberkommandierenden des Militärs jedoch für Misshandlungen, Korruption und Folter sowie Schaumorde an Tamilen verantwortlich, was die Rajapaksas jedoch von sich weisen und als westliche Einmischung bezeichnen. Die letzte Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 verlor Mahinda Rajapaksa gegen Maithripala Sirisena.

Nach den Bombenanschläge am Ostersonntag dieses Jahres, bei denen mehr als 250 Menschen getötet wurden, kündigte Sirisena an, dass er in diesem Jahr nicht wieder an den Wahlen teilnehmen wird. Nach den koordinierten Anschlägen aufchristliche Einrichtungen und Hotels am 21. April brachen auch die für die Insel so wichtigen Einnahmen aus der Tourismusbranche zunächst ein.

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Damit wurde eine Phase des Friedens in Sri Lanka beendet. Seit dem Ende des Bürgerkriegs im Jahr 2009 hatte das Land derartige Gewalt nicht mehr erlebt.

Im Bürgerkrieg kämpften die sogenannten Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) für einen unabhängigen tamilischen Staat im Norden Sri Lankas. Die Vereinigung wird von vielen Behörden, auch in Deutschland, als Terrororganisation eingestuft, einige Mitglieder wurden auch hierzulande wegen Erpressungen und gezielten Tötungen vor Gericht gebracht.

2009 besiegte die Armee die LTTE, damals unter der militärischen Leitung des jetzigen Präsidentschaftskandidaten Gotabhaya Rajapaksa.

Durch die Anschläge in diesem Jahr wurde die Unterstützung für die Rajapaksas und den singhalesischen Nationalismus wiederbelebt, der auch im fast 26 Jahre währenden Bürgerkrieg eine Rolle spielte.

Die beiden aktuell aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten benötigen aber auch Stimmen der Minderheiten. Tamilen und Muslime machen zusammen knapp 30 Prozent der Wählerschaft aus. Die meisten Tamilen werfen beiden Kadidaten vor, dass ihnen nicht an der Aufklärung von Kriegsverbrechen gelegen ist, setzen jedoch eher auf Premadasa, wenn auch nur als geringeres Übel.

Seit den Anschlägen sind wieder bewaffnete Sicherheitskräfte auf den Straßen Sri Lankas zu sehen, und restriktive Gesetze, die laut Kritikern auch die Meinungsfreiheit einschränken, sollen für mehr Stabilität sorgen, die sich viele Bürger wünschen. 

Vor allem die muslimische Minderheit sieht sich neuen Bedrohungen ausgesetzt. Bereits kurz nach dem Horrorsonntag im April machten die Behörden eine lokale islamistische Gruppierung, National Thowheed Jama'ath (NTJ), für die Anschläge verantwortlich. Diese hat Verbindungen zum IS im Nahen Osten. Laut Polizei hat NTJ-Anführer Zahran Hashim aus der östlichen Region des Insestaats die Bombenanschläge koordiniert. Die muslimische Minderheit von etwa zehn Prozent der 21,8 Millionen Einwohner des Landes, die bisher weitgehend in Frieden lebte, steht seither unter Generalverdacht. Wie Al Dschasira berichtet, haben kurz nach den Anschlägen und den Schuldzuweisungen blinde Vergeltungsmaßnahmen stattgefunden, beispielsweise Steinwürfe auf muslimisch geführte Geschäfte. 

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Gotabhaya Rajapaksa hat während seiner Wahlkampagne, die er kurz nach dem Anschlag im April begann, auf die nationale Sicherheit gesetzt und immer wieder die Umstände thematisiert, die zu den Anschlägen am Ostersonntag geführt haben.

Während seiner Zeit als Verteidigungsminister habe er spezielle militärische und nachrichtendienstliche Einheiten gebildet, um gegen Extremismus und Drogenhandel vorzugehen, sagte er noch als Verteidiungsminister. Der nachfolgenden Regierung warf er vor, diese Netzwerke geschwächt zu haben.

Es kann keine höhere Priorität als die nationale Sicherheit geben", so Rajapaksa.

Bisher ist Gotabhaya Rajapaksa Favorit im Rennen um das Präsidentenamt.

Interne Machtkämpfe statt Sicherheit

Die römisch-katholische Kirche Sri Lankas hat die Regierung und ihre internen Machtkämpfe für die tragischen Bombenanschläge der Osterwoche verantwortlich gemacht. Albert Malcolm Kardinal Ranjith meinte, die machthungrige Elite habe sich zu wenig für die Bürger Sri Lankas interessiert und die Warnungen der Geheimdienste ignoriert, und aufgrund des internen Machtgerangels habe der Sicherheitsrat des Landes schon Monate vor den Anschlägen nicht mehr getagt. Auch der Muslim Council hatte vor möglichen Anschlägen gewarnt, ebenfalls vergeblich.

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Vor knapp einem Jahr zeigte sich die politische Krise auch in internationalen Medien, nachdem Präsident Maithripala Sirisena Premierminister Ranil Wickremesinghe abgesetzt und sodann Mahinda Rajapaksa zum neuen Premier ernannt hatte. Das Parlament lehnte diesen jedoch zweimal ab. Auch der Oberste Gerichtshof Sri Lankas hatte sich eingeschaltet. Das Land war über zwei Wochen ohne Premierminister oder Kabinett und stand kurz vor dem Regierungsstillstand.

Mahinda Rajapaksa hatte die Präsidentschaftswahl 2015 verloren, nachdem er mit Vorwürfen über Kriegsgräuel, Korruption und Vetternwirtschaft konfrontiert war. Als Wickremesinghe zurück ins Amt kam, feierten seine Anhänger dies als Scheitern eines "Putsches", denn Sirasena hatte sechs Wochen damit verbracht, Wickremesinghe aus dem Amt zu befördern, und ging sogar so weit zu versuchen, das gesamte Parlament zu entlassen und eine Wahl anzuberaumen, als Mahinda Rajapaksa keine Mehrheit der Abgeordneten für sich gewinnen konnte.

Sirisena hat Sri Lanka in seiner Amtszeit seit 2015 näher an den Westen geführt und beispielsweise Handelsabkommen mit der Europäischen Union unterstützt. Der Inselstaat ist bei internationalen und staatlichen Geldgebern verschuldet. In den letzten zehn Jahren war China der größte Kreditgeber Sri Lankas, wenn auch nicht der einzige.

Strategisch bedeutend und verschuldet

Bereits Mitte der 2000er-Jahre stimmte Sri Lankas Regierung zu, Peking einen neuen Hafen in der strategisch gelegenen Stadt Hambantota im Süden der Insel bauen zu lassen. Zwar wurde das Projekt der Neuen Seidenstraße erst 2012 von Xi Jinping als solches konzipiert – doch wurde das sri-lankische Projekt 2013 in die Initiative integriert, und bereits vorher trug es entsprechende Merkmale, da an der strategisch bedeutenden Route mithilfe chinesischer Fonds und Ingenieure Infrastruktur aufgebaut wurde. Durch die Lage am Indischen Ozean, den zahlreiche chinesische Handelsschiffe auf der Route nach Europa passieren, unterliegt die Gegend auch dem Wettbewerb zwischen Peking und Neu-Delhi.

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Sri Lanka stand zum Zeitpunkt der Bewilligung kurz vor dem Zahlungsverzug, sodass Geld aus China für Colombo eine willkommene Investition war. Weitere Großprojekte in Sri Lanka wurden mit Geld aus Peking finanziert, darunter ein nach dem ehemaligen Präsidenten Rajapaksa benannter Flughafen (Mattala Mahinda Rajapaksa Airport), mehrere Stadthotels und Autobahnen, außerdem das Mahinda Rajapaksa International Cricket Stadium sowie der umstrittene Hafen, der Magampura Mahinda Rajapaksa Port, alle in oder um Hambantota.

Präsident Sirisena kritisierte die Investitionen als nachteilig für die langfristigen finanziellen Interessen des Landes und bezeichnete sie als chinesische Wahlhilfe für Rajapaksa. Auch Wettbewerber in Indien hatten die chinesischen Kredite – teils mit einem Zinssatz von sechs Prozent und damit höher als der anderer Kreditgeber – als Würgegriff dargestellt. Sri Lanka hat weitere Schulden bei anderen, teils staatlichen Kreditgebern wie Japan, aber auch bei multilateralen Finanzinstituten wie dem Internationalen Währungsfonds IWF und der Weltbank.

Die Verbindlichkeiten des verschuldeten Inselstaats gegenüber Peking summieren sich lautSouth China Morning Post auf rund fünf Milliarden US-Dollar. Weil Kreditzahlungen für Sri Lanka seit 2015 zu schwer zu erfüllen waren, hatte China Ende des Jahres 2017, nach zweijährigen Verhandlungen, eine Milliarde Dollar Schulden für den Hafen von Hambantota abgeschrieben. Angesichts des Geldmangels übergab die sri-lankische Regierung den Hafen und 15.000 Hektar Land 99 Jahre lang an die China Merchants Port Holdings. Allerdings wurden auch chinesische Hoffnungen enttäuscht, das Gebiet in ein sri-lankisches Shenzhen zu verwandeln. Dennoch haben Chinas Investitionen in Sri Lanka seither nicht nachgelassen.

Im Frühjahr unterzeichnete die China Exim-Bank einen Vertrag über ein Darlehen von knapp einer Milliarde Dollar zum Bau einer Autobahn zwischen dem Hafen von Hambantota und einer geplanten Industriezone in der zentral gelegenen Region Kandy. Früher in diesem Jahr schlossen chinesische Arbeiter ein Landgewinnungsprojekt im Rahmen des 1,4 Milliarden US-Dollar teuren Projekts Colombo Port City ab, das nach Ansicht des chinesischen Botschafters in Sri Lanka Cheng Xueyuan "ein wichtiges Projekt der Belt and Road Initiative" ist. Im Oktober stellte Cheng die Investitionen als eine gute Gelegenheit für den Inselstatt dar.

Bei einer Veranstaltung mit Journalisten und Wissenschaftlern sagte er, dass das Geld aus China Sri Lanka helfen könnten, höher verzinste Kredite aus westlichen Ländern zurückzuzahlen. Dr. Karunasena Kodituwakku, Sri Lankas Botschafter in Peking seit 2015, geht nach eigenen Aussagen davon aus, dass die Rückzahlung machbar ist und sich die Situation ab 2020 entspannen werde.

Sri Lanka befindet sich derzeit zudem in Gesprächen mit China über ein Freihandelsabkommen. Einige Beobachter gehen angesichts des Handelskrieges zwischen Peking und Washington davon aus, dass dies ein günstiger Zeitpunkt dafür ist.

Ende Mai unterzeichneten Regierungsvertreter Japans, Indiens und Sri Lankas eine Kooperationsvereinbarung für die gemeinsame Entwicklung des Hafens in Colombo.

Kritik und mögliche Manipulationen im Wahlkampf

Eines ist klar – im Wahlkampf steht nicht nur für die Präsidentschaftskandidaten und die Bürger des kleinen Inselstaates einiges auf dem Spiel. Beobachter berichten zunehmend von Falschmeldungen und Manipulationen.

Sanjana Hattotuwa, leitender Forscher des Centre for Policy Alternatives (CPA), meint, dass Facebook nicht alle Transparenzinstrumente zur Überwachung von Wahlanzeigen in Sri Lanka eingeführt hat, die es für andere Länder entwickelt hat. Auch Vorsitzende des Nationalen Wahlkommitees und der People's Action for Free and Fair Elections (PAFFREL), einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die seit Langem die Wahlen in Sri Lanka überwacht, äußerten ähnliche Zweifel.

Sogar ein Deepfake-Video sei im Umlauf, das anscheinend Gotabhaya Rajapaksa aufgrund seiner angeblichen US-STaatsbürgerschaft verunglimpfen soll und daher vor allem vom Rajapaksa-Lager der konkurrierenden Partei UNP zugeschrieben wird. Rajapaksa, 70, verzichtete im Jahr 2003 auf die sri-lankische Staatsbürgerschaft, um die US-Staatsbürgerschaft zu erlangen, kehrte aber zwei Jahre später nach Sri Lanka zurück und beantragte die doppelte Staatsbürgerschaft.

Andererseits waren Falschmeldungen auf der Facebook-Seite des Kandidaten Gotabhaya Rajapaksa (SLPP) auch nach deren Widerlegung verbreitet worden.

Laut AFP wurde bereits im September eine Nachricht als falsch entlarvt, die Fotos von am Boden liegenden buddhistischen Statuen zeigte und suggerieren sollte, dass "muslimische Extremisten" eine sri-lankische Kulturgutstätte zerstört hatten. Die Nachrichtenagentur hatte vom leitenden Mönch des Tempels erfahren, dass kein solcher Angriff stattgefunden hatte, vielmehr könnten die Bilder von der Errichtung der Statuen stammen.

Zudem ermittelt die Polizei seit Freitag, da einen Tag vor der Präsidentschaftswahl rund 50 Wahlhelfer mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus gebracht wurden. Sie hatten zuvor im größten Auszählungszentrum der Hauptstadt Colombo eine Mahlzeit zu sich genommen, so eine Krankenhaussprecherin.

Am Samstagfrüh wurde ein Bus-Konvoi mit Angehörigen der muslimischen Minderheit im Nordwesten des Landes angegriffen.

In Sri Lanka gibt es keine offiziellen Meinungsumfragen. Obwohl Rajapaksa als Favorit der singhalesischen Buddhisten und Vorreiter galt, hat sich laut Reuters unter Berufung auf politische Analysten die Dynamik zuletzt zugunsten von Premadasa gewendet.