Pier Luigi Cecioni ist Italiener und reiste erstmalig als Präsident eines klassischen Orchesters 2005 auf Einladung nach Nordkorea. Für ihn war es eine "unerwartete Einladung", die er aus Neugierde annahm. Vor Ort in Pjöngjang teilte er den Leuten mit, dass er sehr an Kunst interessiert sei. Man zeigte ihm daraufhin das Mansudae-Kunststudio. Auf 120.000 Quadratmetern ähnelt es einer Fabrik. Dort schaffen etwa 1.000 Menschen Kunst.
Neben Ölgemälden und Postern, die Cecioni in seiner Galerie außerhalb von Florenz verkauft, werden Keramikskulpturen geschaffen. Die internationalen Projekte der Kunstfabrik leiden aber unter den Sanktionen. Cecioni berichtete RT Deutsch von seinen Erfahrungen in Nordkorea. Mit dem Kunsthandel hofft er, ein besseres Verständnis für Nordkorea zu erlangen.
Bitte erzählen Sie unseren Lesern von Ihren ersten Eindrücken in Nordkorea!
Nordkorea hat sich in den letzten 13 Jahren gewandelt. Es war ein ganz anderes Land. Das Drastischste damals (bei meinem ersten Besuch) war, dass es fast keine Autos, keine Läden gab. Alle Dinge der Globalisierung fehlten. Die Menschen aber waren sehr freundlich.
Ist das Bild von Nordkorea und den Nordkoreanern im Westen falsch?
Pjöngjang ist eine sehr schöne, gepflegte Stadt. Die Stadt hat zwei Flüsse, schöne Gebäude und Monumente. Sie gleicht einem Schaufenster. Mein erster Eindruck war, dass die Stadt ungewöhnlich und interessant ist. Wenn ich dort bin, bin ich meist mit Künstlern und Menschen unterwegs, die im Mansudae-Kunststudio arbeiten.
Ich will das politische System in Nordkorea nicht unterstützten, aber ja, das Bild von Nordkorea ist falsch. Viele Dinge werden im Westen über Nordkorea gesagt, die unwahr sind. Oftmals werden sie in übertriebener Weise dargestellt. Jeder, der mal dort war, wird dies bestätigen. Als ich zum ersten Mal Nordkorea besuchte, wusste ich nichts. Es gibt viele Übertreibungen. Viele Dinge wurden, besonders in den vergangenen sechs bis sieben Jahren, über Nordkorea übertrieben. Viele Journalisten schrieben Geschichten, welche die Menschen erwarteten.
Der durchschnittliche Nordkoreaner weiß nichts über den Westen oder sehr, sehr wenig, weil es kein Internet gibt, und man kann auch kein westliches Fernsehen empfangen. Die hohen Diplomaten, die hier nach Europa reisen, haben Kenntnisse über den Westen. Es gibt Menschen, die reisen. Ab und an reisen auch die Künstler. Die Nordkoreaner präsentieren sich selbst so, wie sie glauben zu sein.
Was ist das Mansudae-Kunststudio für ein Ort?
Es ist sehr groß. Wahrscheinlich das größte der Welt mit 120.000 Quadratmetern. Es gleicht für mich – ich habe in den USA studiert – einem US-amerikanischen Uni-Campus. Nur dass die Menschen dort nicht leben, sie leben in Pjöngjang, und sie gehen nach Mansudae, um dort zu arbeiten. Es gibt Studios, Ausstellungsräume, zahlreiche Geschäfte. Es gibt sogar eine kleine Papierfabrik. Es gibt ein Fußballstadion, einen Kindergarten, Restaurants. Alles ist auf die Produktion der Kunst ausgerichtet. Es gibt einige sehr große Hallen für die riesigen Skulpturen. Es gibt Marmor-Statuen, eine Töpferei und alle möglichen Studios. Es ist keine Schule, alle sind Universitätsabsolventen, und es ist sehr angesehen. Dort schaffen die besten Künstler. Sie sind zwischen 20 und 70 Jahre alt. Eine Mischung aus Männern und Frauen. Es sind mehr Männer, aber es ist gemischt. Es gibt eine große Abteilung für Stickarbeiten. Dort sind mehr Frauen. Ich kenne einige exzellente Künstlerinnen.
Welche Rolle spielt die Kunst in Nordkorea?
Sie spielt eine große Rolle, besonders in Pjöngjang, aber eigentlich in allen Städten. Dort gibt es beispielsweise Statuen der Führer des Landes, viel ist mit Kunst geschmückt. Dann sieht man riesige Gemälde, Poster. Kunst ist sehr präsent als etwas Inspirierendes und Schmückendes. In der U-Bahn von Pjöngjang beispielsweise, die übrigens sehr tief ist, gibt es an den Wänden Mosaike. Die sind sehr herausragend. Ich war bislang nicht in einer Wohnung, aber auch dort findet man Gemälde an den Wänden. Es gibt einen Friedhof der Helden mit Skulpturen, der sehr schön ist. An den öffentlichen Orten gibt es viele Skulpturen. Auch im Ausland gibt es nordkoreanische Kunst. Im Senegal gibt es eine 15 Meter hohe Statue aus der Produktion des Mansudae-Kunststudios. Aber die Sanktionen haben mit den internationalen Projekten Schluss gemacht.
Wie oft haben Sie bisher Nordkorea besucht?
Acht- bis zehnmal bin ich dort gewesen. Ich versuche, jedes Jahr nach Nordkorea zu reisen. Ich sollte eigentlich im Oktober hin, aber wegen einer Fußverletzung konnte ich nicht. Jetzt habe ich Probleme mit den Sanktionen. Leider haben diese das Land sehr hart getroffen. Es ist jetzt sehr schwer. Ich kann nichts aus Nordkorea kaufen. Ich kann verkaufen, was ich vor den Sanktionen gekauft habe, aber wir dürfen nicht importieren, sie dürfen nicht exportieren.
Wenn Sie nach Nordkorea reisen, stehen Sie dann unter Beobachtung?
Natürlich reise ich dort nicht als Tourist hin. Touristen, die nach Nordkorea reisen, sind nicht allein unterwegs; teilweise wegen der Kontrolle und teilweise weil es ein Land ist, was nicht an den Tourismus gewöhnt ist. Wenn ich dort bin, habe ich mehr als einen Führer. Ich habe jemanden aus dem Kunststudio an meiner Seite, und mir steht ein Wagen zur Verfügung mit einem Fahrer und einem Übersetzer. Aber ich kann mich auch selbst unbeschwert bewegen. Es ist nicht so, dass mir etwas vorenthalten wird.
Ich fühle mich absolut nicht unter Kontrolle, wenn ich in Pjöngjang bin. Die Sprachbarriere dort ist gewaltig. Eine andere Sache, auf die ich hinweisen möchte, ist das angebliche Fotografieverbot. Ich habe eine Kamera und manchmal eine Videokamera bei mir, und ich habe in den letzten Jahren Tausende von Bildern gemacht.
Wie viele Kunstwerke haben Sie vorrätig? Was kosten diese?
Zwischen 300 bis 400 Dollar. Angefangen bei 250 für Poster bis zu mehreren Tausenden von Dollar.
Wer sind die Abnehmer der Kunst? Wer kauft bei Ihnen?
Quer durch die Bank. Es gibt keine spezifischen Käufer. Menschen, die diese Art von Kunst mögen. Es ist die beste Kunst aus Nordkorea. Die Künstler aus Mansudae stellen 95 Prozent der besten Kunst des Landes her.
Was ist spezifisch für die nordkoreanische Kunst?
Sie ist absolut figürlich. Sie ist nicht konzeptionell oder abstrakt. Es gibt zwei Arten: Da ist einerseits die gesellschaftlich realistische Kunst, die ist figurativ/bildlich, repräsentiert das Land in einem vorteilhaften Licht, und dann gibt es die Kunst, welche Berge, Menschen, Natur, die Landschaft darstellt, wie es sie auch im Westen geben könnte. Gegenwärtige Kunst im Westen ist weniger bildlich.
Nordkorea ist das einzige Land weltweit, welches sich so in der Kunst ausdrückt. Die Poster beispielsweise sind handgemacht und von hoher Qualität.
Vielleicht gibt es hier aber auch einen Trend in die andere Richtung, betrachtet man zum Beispiel die moderne chinesische Kunst, die auch im Westen viele Abnehmer findet.
Ja, in China ist die Kunst figurativer. Ich habe Freunde, die Galerien in China führen. Gegenwartskunst im westlichen Sinn ist dort nicht sehr angesagt. Die chinesischen Universitäten betonen sogar jetzt noch figurative Kunst. Die Kunst in Südkorea hingegen ist noch konzeptioneller als die in den USA.
Der südkoreanische Präsident besuchte jüngst Mansudae und sagte, dass die Kunst ein guter Weg für die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea sei. Gibt es Anzeichen des künstlerischen Austauschs?
Das ist auch wirklich eines meiner Ziele. Abgesehen vom wirtschaftlichen Aspekt hoffe ich sehr, die Kunst wie den Sport zu nutzen. Denn dies sind die beiden Felder, die den Dialog herstellen können. Deswegen finde ich das mit den Sanktionen sehr, sehr schade. Es sollte nicht die Kunst treffen.
Gibt es jetzt nach dem Treffen zwischen Kim Jong- un und Donald Trump ein Gefühl des Wandels?
Das war eine große Sache. Aber was noch wichtiger ist, sind die verbesserten Beziehungen zwischen Nord- und Südkorea. Die treibende Kraft ist der südkoreanische Präsident Moon Jae-in. Trump könnte in einem Monat etwas sehr anderes in Bezug auf Nordkorea unternehmen. Eine Sache, die sich sehr in Pjöngjang verändert hat, seit Kim Jong-un an die Macht kam, ist das höhere Verkehrsaufkommen. Jetzt gibt es eine Rush-Hour. Vor zehn Jahren sah man in den Hauptstraßen von Pjöngjang vielleicht alle zwei Minuten ein Auto. Es gibt jetzt mehr Luxus, und wirtschaftliche Aktivitäten sind sichtbar. Wie diese genau funktionieren, wissen wir nicht. Aber es gibt Unternehmer. Es ist nicht so, dass die führende Klasse allein Privilegien genießt und die anderen alle total verarmt sind. Es gibt Menschen, die Geschäfte in Nordkorea machen können.
Haben Sie Anzeichen von extremer Armut gesehen?
Das ist schwer zu sagen. Ich habe mich umgesehen. Wenn man in die ländlichen Bereiche Nordkoreas reist, sieht man, dass das Land keinesfalls reich ist. Ich habe aber niemanden gesehen, der hungert. Ich habe arme Menschen gesehen. Und sie sind generell nicht reich, aber besonders in Pjöngjang sind sie alle gleich. Es ist kein fortschrittliches Land. Die Landwirtschaft ist rückständig, sie haben alte Traktoren und Werkzeuge. Es ist wie an einigen Orten in Süditalien vor 50 Jahren. Oder wie in China vor einiger Zeit. Aber den Menschen in Nordkorea geht es wahrscheinlich besser als den Menschen irgendwo auf dem Land in China.
In Nordkorea ist das Kind König.
Wie kommen Sie darauf, dass es den Menschen in Nordkorea besser geht?
Das sieht man an der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Ich habe einen Kindergarten besucht. Pjöngjang ist eine extrem sichere Stadt für Kinder. Der Gründungsvater Nordkoreas sagte: "Das Kind ist König". Das spürt man. Während eines Feiertags war ich zu einem Picknick in einem Park. Es war sehr schön, die vielen glücklichen Kinder zu sehen. Und Nordkoreaner singen, sie singen sehr viel. Sie sind sehr gute Sänger, und sie singen gerne. Etwa zum Ende eines formellen Abendessens wird gesungen. Sie singen traditionelle Lieder, die eher an eine Oper als an Pop-Musik erinnern. Dann gibt es dort auch die bekannte Maranbang-Band, die nur aus Frauen besteht. Sie wurde benannt nach dem Hügel Maran in Pjöngjang. Sie sind sehr gut und sehr schön.
Jetzt gibt es viel mehr Tourismus in Nordkorea, vor allem aus China. Sie laufen herum, sind sehr laut. Es ist billig für die Chinesen, nach Nordkorea zu reisen. Ich habe gerade mit einem Freund gesprochen, der aus Nordkorea zurückgekommen ist. Der chinesische Tourismus und die Zahl der Fahrzeuge hat extrem zugenommen.
Diejenigen, die zu mir kommen und sich über die Kunst informieren, informieren sich auch immer über Nordkorea. Das ist auch genau das, was ich mir erhoffe. Gegen die Vorurteile anzugehen. Dann ist auch ein gegenseitiges Verständnis möglich. Ich glaube an sanfte Diplomatie. Durch die Kunst und den Sport kann man ein besseres Verständnis füreinander erreichen.
Wir bedanken uns für das Interview.
Das Interview führte RT Deutsch Redakteurin Olga Banach.