Von Dmitri Bawyrin
Bis Ende 2025 sollen nach Schätzungen der taiwanischen Zeitung Taipei Times 29 Mehrfachraketenwerfer-Systeme vom Typ HIMARS an die separatistische Inselregierung übergeben werden, wobei die US-Amerikaner einen Teil dieser Raketensysteme bereits Ende 2024 an Taiwan liefern würden.
Wenig später sollen die Taiwaner 100 M1A2-Panzer und 66 F-16-Kampfjets erhalten. Die diesbezüglichen Geschäfte wurden in aller Stille und ohne Pomp abgeschlossen, was die Situation deutlich von der Aufrüstung der Ukraine unterscheidet. Die ukrainischen Behörden erhalten militärische Hilfspakete, die fast von einem Orchester begleitet werden, und die Ukrainer verfolgen eifersüchtig die Lieferungen der NATO-Staaten an andere Länder, um einen Skandal auszulösen.
Nun kommt es sicherlich zum Skandal: Warum, so heißt es, gehen die wertvollen HIMARS, die die ukrainischen Streitkräfte und die ukrainischen Städte so dringend brauchen, nach Asien? Die Ukrainer könnten die Antwort erhalten, dass die Taiwaner diese US-amerikanischen "Wunderwaffeln" mit ihrem eigenen Geld kaufen, während die Ukraine überhaupt kein eigenes Geld hat. Aber das ist nur einer der Gründe, warum die Aufrüstung Taipehs aus dem Rampenlicht gehalten wird.
In Wirklichkeit wollen die Vereinigten Staaten eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zu China vermeiden, gegen das sie Taiwan aufrüsten. Um die Taktik Washingtons so weit wie möglich zu vereinfachen, lautet sie wie folgt:
Erstens: Auf keinen Fall zulassen, dass die Kuomintang-Partei auf der Insel an die Macht zurückkehrt. Die derzeitige Führung der Partei ist entschlossen, mit Peking zusammenzuarbeiten und (unter einer Reihe von Bedingungen) die Vereinigung mit der Volksrepublik China beziehungsweise die Wiedervereinigung Chinas zu erreichen.
Zweitens: Die Insel mit Waffen vollpumpen für den Fall, dass Peking die Aussichtslosigkeit der Politik der friedlichen Wiedervereinigung erkennt und eine eigene militärische Sonderoperation einleitet. In diesem Fall hätten die Taiwaner kaum eine Chance, sich aus eigener Kraft zu wehren, können aber der chinesischen Armee Verluste zufügen.
Dies ist notwendig, um sicherzustellen, dass in der chinesischen Elite die Angst vor den Kosten die Oberhand über den Wunsch gewinnt, das Werk des Staatsgründers Mao Zedong zur Einigung des Landes zu vollenden.
Drittens: Die wertvollste Produktion der taiwanischen Industrie – die Halbleiterherstellung – nach und nach in die USA verlagern. Dies ist nur für den Fall, dass Peking seinen Willen durchsetzt und China auf die eine oder andere Weise wiedervereinigt ist.
Viertens: All dies sollte mit Ermahnungen an die chinesische Seite einhergehen, als ob nichts Wesentliches geschähe. Lasst uns so leben, wie wir früher gelebt haben, und so Handel treiben, wie wir früher Handel getrieben haben, denn die Aufrüstung Taipehs ist eine ganz normale Verteidigungszusammenarbeit, wie sie in den Beziehungen zwischen den USA und Taiwan üblich ist. Im Allgemeinen erkennen die USA aber die Einheit Chinas an, während sie die Souveränität der Taiwaner nicht anerkennen. Die Taiwaner sind einfach so nette Leute, dass es unmöglich ist, ihnen keine Panzer, Kampfjets und HIMARS zu verkaufen.
Es ist klar, dass die Chinesen solche Ausreden nicht ernst nehmen und von Jahr zu Jahr immer schärfer reagieren, aber über symbolische Protestgesten gehen sie bisher nicht hinaus. Immer wieder nutzt Peking die Möglichkeit, nichts zu ändern und die den Chinesen von den US-Amerikanern vorgegebenen "roten Linien" nicht zu überschreiten.
Nach Ansicht von Sinologen will Peking die Situation auch deshalb nicht eskalieren lassen, weil es mit vielem wirklich zufrieden ist. Es verdient gut an der Globalisierung und will vermutlich noch mehr Vermögen anhäufen, bevor das Problem eines geteilten Chinas doch noch mit Gewalt gelöst werden muss.
Peking weiß vielleicht nicht einmal, wie lange es zu warten bereit ist (China versteht es, lange zu warten). Gleichzeitig müssen die Chinesen erkennen, dass der US-amerikanische Plan, obwohl er niemanden täuscht, dennoch funktioniert.
Was den ersten Punkt betrifft, so ist fast alles in bester Ordnung. Anfang des Jahres gelang es den politischen Technologen, den proamerikanischen Politiker William Lai zum Präsidenten Taiwans wählen zu lassen, obwohl viele auf der Insel die Nase voll von seiner Demokratischen Fortschrittspartei hatten und die Umfragen einen Sieg der Kuomintang voraussagten. Seitdem sind die Werte sowohl von Lai als auch von seinen "progressiven Demokraten", die extrem gegen Peking eingestellt sind, erneut eingebrochen, da die politischen Technologen nur verstehen, wie man Wahlen gewinnt, nicht, wie man die Beliebtheit oben hält. Derweil steht Taiwan immer noch vor einem Berg von sozioökonomischen Problemen.
Gleichzeitig wird die Unzufriedenheit der Bevölkerung sehr geschickt genutzt und kanalisiert. So wurde beispielsweise ein Denkmal für Chiang Kai-shek, den Begründer der "selbsternannten Unabhängigkeit" Taiwans, Opfer eines der regionalen Proteste. Nun ist er die Verkörperung der alten Ordnungen und des autoritären Regimes, vor allem aber die Hauptfigur der Kuomintang ‒ eben jener Partei, die Maos Kommunisten bekämpfte, aber im Allgemeinen immer für ein vereinigtes Großchina war (aus Sicht der Kuomintang sind nicht sie die Separatisten, sondern die Kommunisten der selbst ausgerufenen Volksrepublik China).
Wer will, kann viele Parallelen zu unserer Situation in der Ukraine ziehen: von der Debatte darüber, wer der Nachfolger der Kiewer Rus ist, bis hin zum Abriss von Denkmälern für Wladimir Lenin, den Begründer der modernen Staatlichkeit, auf die der Mob zur rechten Zeit losgelassen wurde.
Aber für China ist die wichtigste zufällige Parallele, dass die US-Amerikaner eine antichinesische militärisch-politische Allianz um China herum aufbauen (bestehend aus Australien, den Philippinen, Südkorea, Japan und anderen Ländern), in der Taiwan sowohl Pekings ewiges Ärgernis als auch gleichzeitig eine Art US-Flugzeugträger in chinesischen Hoheitsgewässern ist. Und je später China der Versuchung erliegt, die zentrale Frage seiner Sicherheit und territorialen Integrität mit Gewalt zu lösen, desto schwieriger wird es, eine solche Entscheidung aufgrund der an die Insel gelieferten Waffen umzusetzen. Russland weiß das aus eigener Erfahrung.
Abgesehen von den Parallelen gibt es auch grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Situationen. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass die US-Amerikaner entschlossen sind, den Status quo aufrechtzuerhalten. Es geht ihnen nicht darum, China auf Kosten Taiwans zu schwächen oder Peking noch weiter zu provozieren. Sie wollen, dass alles so bleibt, wie es ist: ohne dass China seine Kontrollzone im Südchinesischen Meer ausweitet, ohne dass sich der Status Taiwans ändert, und ohne Krieg.
Unter anderem, weil die USA befürchten, dass ein militärischer Konflikt mit gleich zwei Atommächten – Russland und China – für sie nicht zu verkraften ist, wobei zu beachten ist: Wo zwei sind, da sind auch drei. Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un verfügt ebenfalls über Atomwaffen und hat zudem mit einer militärischen Sonderoperation in Südkorea gedroht.
Washington ist es egal, was aus der Ukraine als Staat oder einfach als Ort, an dem Menschen leben, wird. Die Aufgabe der Ukraine ist es, Russland so lange ausbluten zu lassen, wie sie dazu in der Lage ist. Wenn sie dazu nicht in der Lage ist, wird sie ausrangiert werden.
Im Fall von Taiwan ist es für die USA von grundlegender Bedeutung, die Insel unter ihrer eigenen Kontrolle zu halten und dort eine militärische Sonderoperation Chinas zu verhindern. Falls Chinas Wiedervereinigung nicht für immer verhindert werden kann, werden die US-Amerikaner alles tun, um Taiwan für China so teuer und "mager" (ohne Halbleiter) wie möglich zu machen, aber im Großen und Ganzen würden sie lieber nichts ändern.
Das Problem bei dieser Strategie ist, dass sich die US-Politik des "Sichergehens" für China ohnehin kaum von einer Politik der Provokation gegen das strategische Ziel der Wiedervereinigung unterscheidet. Die Aufrüstung Taiwans und die "Neuausrichtung" der lokalen Macht, um die Möglichkeiten der Kuomintang zu untergraben, verwandelt das Taiwan-Projekt des US-Außenministeriums von einem unversenkbaren Flugzeugträger in eine Bombe, wobei die Fähigkeit, die Lunte zu zünden, immer bei Peking verbleibt.
Eines Tages wird die Lunte angezündet werden. Vielleicht in 20 Jahren. Vielleicht bevor der zwanzigste HIMARS-Mehrfachraketenwerfer Taiwan erreicht. Vielleicht schon nächsten Dienstag. Indem die USA versuchen, ihre Zone der straffen Kontrolle auf der Weltkarte aufrechtzuerhalten, machen sie gleichzeitig eine gewaltsame Revision dieser Kontrolle unausweichlich. Dies ist keine Frage der Politik, sondern eine Frage der Zeit: wann genau die den USA entgegenstehende Macht die grundlegenden Probleme ihrer Sicherheit und territorialen Integrität "auf die harte Tour" lösen müssen wird, wenn sich die Lösung dieser Probleme auf die friedliche Weise für die US-Amerikaner nicht lohnt und sie versuchen, diese friedliche Option unrealisierbar zu machen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 14. August 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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