Bergkarabach: Tausende Armenier suchen Schutz bei russischen Friedenstruppen

Dramatische Lage in Bergkarabach: Nach den ersten Angriffen der aserbaidschanischen Militärs am Dienstag suchen Tausende Zivilisten Schutz bei der russischen Friedensmission. Auch eine Flüchtlingsbewegung formiert sich.

Bis zu 32 Tote, darunter sieben Zivilisten – das ist die vorläufige Bilanz der aserbaidschanischen Militäroperation in Bergkarabach (Republik Arzach). Wie Fotos und Videos aus dem Krisengebiet zeigen, sind auch Wohngebiete unter Beschuss geraten. Seit 13 Uhr gilt allerdings eine Feuerpause, die unter Vermittlung des russischen Verteidigungsministeriums am frühen Morgen vereinbart worden ist. 

Der Angriff der Aserbaidschaner gab den Start zu einer Flüchtlingsbewegung der Karabach-Armenier. Viele fanden bereits Schutz in den Stützpunkten der russischen Friedenstruppen. Nach Angaben der russischen Seite (Stand 18 Uhr Uhr) konnten inzwischen 3.154 Zivilisten, davon 1.428 Kinder, bei den Russen untergebracht werden.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mehrere Videos, die Hunderte Menschen in russischen Containerlagern und einer Kantine zeigen.

Die meisten von ihnen wurden aus gefährlichen Gegenden mit russischen Militärautos evakuiert. 

Die Zivilisten suchen auch Schutz in den Räumen einer russisch-orthodoxen Kirche. Mehrere im Internet geteilte Fotos zeigen bis zu hundert Menschen, die um die Geburtskirche Christi auf dem Gebiet des russischen Friedenskontingents versammelt sind. Sie kamen aus den Dörfern der Provinz Askeran bei Stepanakert, die in den ersten Stunden der aserbaidschanischen Angriffs unter Beschuss geraten sind.

Die Armenische Kirche nannte das Vorgehen Aserbaidschans "einen Genozid". Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew dementierte gewalttätige Pläne gegenüber den ethnischen Armeniern in Bergkarabach und bot ihnen die "Integration in die aserbaidschanische Gesellschaft" an. 

Beobachter des Konflikts befürchten jedoch einen Massenexodus der verbliebenen armenischen Bevölkerung. Bilder aus dem Flughafen von Stepanakert zeigen Tausende Menschen, die auf eine Evakuierungsmöglichkeit warten. 

Trotz aller Dramatik, der Angriff der Aserbaidschaner kommt nicht überraschend. Offenbar will der aserbaidschanische Präsident die Karabach-Frage endgültig lösen – die letzten verbliebenen bewaffneten Truppen der Karabacher entwaffnen und die Restgebiete Karabachs an Aserbaidschan angliedern.

Völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. Auch Armenien hat die abtrünnige Region nicht anerkannt, das Land galt allerdings lange als Schutzmacht der Karabach-Armenier. In den Jahren 1990–1992 tobte hier ein blutiger Krieg, in dessen Folge die aserbaidschanische Bevölkerung vertrieben wurde. Im Mai 2023 erklärte der armenische Premier Nikol Paschinjan, dass Jerewan die Souveränität Aserbaidschans zusammen mit dem Gebiet von Karabach auf einer Gesamtfläche von 86.600 Quadratkilometern anerkennt.

Die russischen Friedenstruppen waren Ende 2020 nach einem 40-tägigen Krieg infolge einer trilateralen Vereinbarung zwischen Russland, Aserbaidschan und Armenien in die Region entsandt worden. Aserbaidschan hatte zuvor Stellungen der Karabacher Armee massiv angegriffen und konnte einen Großteil des Gebiets zurückerobern. Das russische Kontingent kontrolliert seitdem Transport- und Versorgungswege im Lachinski-Pass und bietet der Bevölkerung Schutz bei Gefahren für Leib und Leben. Die russischen Soldaten dürfen allerdings an keinen Kampfhandlungen teilnehmen, solange sie nicht selbst angegriffen werden.

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