Von Dora Werner
Die britische Zeitung The Guardian empört sich darüber, wie die internationale Version für die chinesische Veröffentlichung des neuesten "Minions"-Films – "Auf der Suche nach dem Mini-Boss" (englischer Titel: "Minions: The Rise of Gru") verändert wurde. Die Zeitung schreibt:
"Laut Beiträgen und Screenshots des Films, die auf Weibo, einer Twitter-ähnlichen Plattform, geteilt wurden, haben die Zensoren einen Zusatz eingefügt, der zeigt, dass Wild Knuckles, eine der Hauptfiguren des Raubfilms, von der Polizei gefasst wurde und 20 Jahre im Gefängnis saß.
Außerdem heißt es dort, dass Gru, ein Mitverschwörer von Wild Knuckles, 'zu seiner Familie zurückgekehrt ist' und 'seine größte Leistung darin besteht, Vater seiner drei Mädchen zu sein'."
The Guardian ist entrüstet, denn "in der internationalen Version endet der Film damit, dass Gru und Wild Knuckles zusammen wegreiten, nachdem letzterer seinen eigenen Tod vorgetäuscht hat, um der Gefangennahme zu entgehen". Die Briten verlangen von den chinesischen Verleihern, Huaxia Film Distribution und China Film Co, eine Stellungnahme (die chinesischen Verleiher reagieren allerdings nicht auf die Anfragen der Zeitung) und sind entsetzt über das willkürliche Verhalten der bösen chinesischen Zensurbehörden.
Ihre Entrüstung ist nicht sehr verständlich, denn seit vielen Jahren üben die Hollywood-Produzenten erfolgreich Selbstzensur, um auf den chinesischen Filmmarkt zu gelangen. Auch das Etikett "Zensur" ist nicht wirklich korrekt – Schnitte an Hollywood-Produktionen waren immer "Teil des Vertrags" und eine notwendige Bedingung für die Zulassung amerikanischer Filme auf dem chinesischen Markt.
Derzeit ist der chinesische Filmmarkt einer der größten der Welt. Im Jahr 2020, zum Beispiel, sollen die Kasseneinnahmen der chinesischen Kinos drei Milliarden US-Dollar (rund drei Milliarden Euro) erreicht haben, damit übertraf Chinas Filmmarkt sogar den nordamerikanischen. Die Beschränkungen der letzten Jahre haben den chinesischen Markt zwar geschwächt, aber er ist immer noch der zweitgrößte Filmmarkt der Welt, wie Comscore Movies feststellt.
Seit vielen Jahren ist der chinesische Filmmarkt ein heiß ersehnter Zielort für Hollywood-Studios. Und sie sind bereit, alles zu tun, um dorthin zu gelangen. Jedoch stellt das eine Herausforderung für die Amerikaner dar, die sich auf Peking einstellen müssen, denn der chinesische Markt ist durch die Gesetzgebung stark geschützt.
Da sind einige Beispiele:
- Chinesische Filmverleiher, die ausländische Filme in der Volksrepublik China vertreiben, geben nur 25 Prozent der Einnahmen an die Produktionsfirmen ab, während sie nach internationalen Vertriebsregeln 40 Prozent zahlen müssen.
- China lässt pro Jahr lediglich rund 30 ausländische Filme in seine Kinos, von denen ungefähr die Hälfte in 3D und im Blockbuster-Format sein müssen.
- An Feiertagen wie dem chinesischen Neujahrsfest sind alle Vorführungen für einheimische Filme reserviert.
- Gemäß dem Filmförderungsgesetz von dem Jahr 2016 darf ein Film nicht gegen die Grundprinzipien der Verfassung der Volksrepublik China verstoßen, dem Ansehen und den Interessen des Staates schaden, Terrorismus und Extremismus fördern, die chinesische Geschichte verunglimpfen und chinesische Traditionen entstellen, den Aberglauben fördern, Pornografie, Drogen und Gewalt propagieren, die öffentliche Moral verletzen, die geistige Gesundheit von Minderjährigen schädigen und Verleumdung verbreiten.
Es genügt also die kleinste Abweichung von den Spielregeln, die China diktiert, und der ausländische Film darf einfach nicht in die Kinos, wodurch den Produzenten ein möglicher Millionengewinn entgeht.
Der Konflikt um den Film "Sieben Jahre in Tibet" mit Brad Pitt ist da beispielhaft: Wegen des positiven Bildes des Dalai Lama und dessen Verurteilung der Angliederung Tibets an China in diesem Film setzte das Himmlische Reich alle Beziehungen zu Columbia Pictures generell aus. Wenn die US-Produzenten nun also auf den Vertrieb in China setzen, lassen sie so etwas nicht mehr zu.
Das russische Fachmagazin Kinoreporter merkt an:
"Wie die Erfahrung zeigt, kann selbst ein für die große Mehrheit der Menschen harmloser Kinderspruch den Vertrieb eines Films ruinieren. Ein rassistisch anmutender Satz, den eine Figur in 'Monster Hunter' von sich gab, löste beispielsweise einen Boykott der chinesischen Zuschauer aus, so dass sich der Regisseur und die Schauspielerin – nicht die letzten in Hollywood – öffentlich entschuldigen mussten. Der Film wurde dennoch aus dem Verleih genommen, und zwar dringend.
Um den Kassenschlager 'Fast and the Furious 9' zu retten, musste sich John Cena vor laufender Kamera dafür entschuldigen, dass er Taiwan als 'das erste Land, das den Film sehen wird', bezeichnete. Diese Äußerung wurde als schwere Beleidigung für die gesamte Nation empfunden."
Viele Streifen haben es aufgrund der strengen Filmvorschriften nie auf den chinesischen Markt geschafft – trotz der Bemühungen der Hollywood-Produzenten. Der erste Teil von "Fluch der Karibik" und der neue "Ghostbusters"-Film kamen zum Beispiel nie in die Kinos, da sie Geisterdarstellung haben. Der Komödie "Ein Schweinchen namens Babe" wurden die sprechenden Tiere zum Verhängnis. Der Blockbuster "World War Z" durfte ebenfalls nicht gezeigt werden, obwohl er für den chinesischen Verleih extra vorbereitet wurde – die Produzenten beschlossen im Vorfeld, aus ihrem Film alle Hinweise auf China und die dort ausgebrochene Pandemie zu entfernen, die in der Handlung den Großteil der Menschheit auslöschte.
Daher sind die amerikanischen Studios sehr vorsichtig, wenn es um den Filmmarkt Chinas geht und sind dafür zu fast allem bereit – selbst zu absurden Änderungen der Handlung, strenger Selbstzensur und jeder Entschuldigung, wenn dies dazu beitragen kann, das chinesische Publikum zu überzeugen.
Werfen wir einen Blick auf einige der markantesten Beispiele der Anpassung Hollywoods an die Anforderungen des chinesischen Filmmarktes:
1. Das Ende von David Finchers Kultfilm "Fight Club" wurde für den chinesischen Vertrieb beträchtlich geändert.
Die Originalversion endet mit der berühmten Szene, in der der Erzähler (Edward Norton), der sein Alter Ego Tyler Durden (Brad Pitt) zerstört hat, die Hand von Marla Singer (Helena Bonham Carter) hält und dabei zusieht, wie die Wolkenkratzer vor dem Fenster in sich zusammenstürzen – ganz im Sinne von Durdens extremistischer Idee. In der chinesischen Version hingegen erscheint eine Meldung auf dem Bildschirm, dass die Polizei alle Mitglieder von Project Mayhem verhaftet und die Bomben entschärft hat. Durden selbst überlebt und wird nach mehreren Jahren in einer psychiatrischen Klinik entlassen.
2. In dem James-Bond-Film "Casino Royale" aus dem Jahr 2008 musste die Schauspielerin Judi Dench für den chinesischen Vertrieb die Worte "Christ, I miss the Cold War" in "God, I miss the old times" umformulieren.
3. Die Filmgesellschaft Sony, die ihre Sci-Fi-Komödie "Pixels" für die Veröffentlichung im Reich der Mitte vorbereitete, hat alles, was mit der Zerstörung der Chinesischen Mauer zu tun hat, und auch sonst jeden Hinweis auf China aus dem Film entfernt.
4. Die Autoren des Science-Fiction-Films "Looper" änderten das Drehbuch absichtlich, um einige Szenen von Paris nach Shanghai zu verlegen, und machten Bruce Willis' Frau zur Chinesin. Außerdem wurde eine spezielle Version des Films in der Volksrepublik China gezeigt, die zusätzliche fünfzehn Minuten der Shanghai-Szenen enthielt.
5. Disneys "Maleficent" musste für den chinesischen Markt zwar nicht neu geschnitten werden, man war jedoch gezwungen, in zusätzliche Werbung zu investieren. Schuld daran war Angelina Jolie und ihr Interview mit einem Shanghaier Fernsehsender: Auf die Frage nach ihrem chinesischen Lieblingsregisseur nannte die Schauspielerin den Taiwanesen Ang Lee – fragte sich aber, ob Taiwan eigentlich als China gelte.
Das genügte, um den Zorn der chinesischen Zuschauer auf sich zu ziehen. Disney musste die Lage retten und improvisieren: Angelina wurde eiligst nach Shanghai geschickt, um ihren Geburtstag gemeinsam mit Brad Pitt und den Kindern dort zu feiern. Ein Fest mit vielen Gästen wurde von Dankesworten an die chinesische Führung und das gastfreundliche Land begleitet. Der anschließende Vertrieb des Films war letztendlich ein Erfolg.
6. Der Vertrieb von "Iron Man 3" ist nicht nur ein Paradebeispiel für die Selbstzensur Hollywoods zum Wohle des chinesischen Publikums, sondern auch für die enge und freiwillige Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden. Da hat sich Hollywood direkt in den Dienst der politischen Interessen Pekings gestellt: Auf Wunsch der chinesischen Führung fügte Marvel in "Iron Man 3" Szenen ein, in denen der Milchkonsum gepriesen wird.
Die Volksrepublik hatte nämlich mehrere Jahre lang mit ernsten Problemen bei der Milchproduktion zu kämpfen, die zu Skandalen, Massenprotesten und Hinrichtungen der Verantwortlichen geführt haben. Die Milch musste rehabilitiert werden – und in einem Hollywood-Film hatte man dafür eine unübersehbare Werbung für das Getränk eingefügt.
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