Kasachstans problematischer Balanceakt zwischen Russland und dem Westen – Teil 2

In Anbetracht des Ukraine-Konflikts und der antirussischen Sanktionspolitik sehen sich zahlreiche Länder unter Druck gesetzt, sich zwischen Russland und den Westen positionieren zu müssen. Auch die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan versucht, zwischen den beiden Akteuren zu balancieren.

von Alexander Männer

Teil 1 finden Sie hier.

Dieses Unterfangen ist sehr schwierig, da jeder Schritt gut durchdacht und abgewogen werden muss, vor allem dann, wenn man die Kontakte mit den Russen nicht abbrechen und gleichzeitig die westlichen Sanktionen meiden will. Doch ungeachtet der Tatsache, dass Kasachstan als ein Verbündeter Russlands gilt und vielen Bereichen mit seinem Nachbarland eng verbunden ist, hat sich die kasachische Führung in Hinsicht auf die Ukraine-Problematik und die Wirtschaftsstrafen gegen Russland bereits deutlich vom Kreml distanziert.

Die Frage lautet nun: Warum verhält sich die Führung in Nursultan gegenüber Moskau so illoyal? Erst recht, wenn man bedenkt, dass es im Grunde die Russen waren, die der kasachischen Führung im vergangenen Januar dazu verhalfen, die blutigen Ausschreitungen im Land zu beenden und die konstitutionelle Ordnung im Sinne Toqajews wiederherzustellen. 

Ein Hauptgrund dafür könnte sein, dass die kasachischen Eliten schwerwiegende Sanktionen des Westens auch gegen sich selbst befürchten, sollte Kasachstan die bisherige Zusammenarbeit mit Russland in der bisherigen Weise fortführen.

Ideologische Gräben in den russisch-kasachischen Beziehungen

Angesichts dessen gibt die kasachische Führung zu erkennen, dass sie die Annäherung zum Westen sucht und unter anderem auch die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union ausweiten will – allem Anschein nach auf Kosten der Beziehungen zu Russland.

Innenpolitisch wäre eine prowestliche Linie für Toqajew kein Problem, da ein Großteil der Eliten des Landes ohnehin schon "westhörig" ist und den neuen Kurs zweifellos begrüßen würde. Immer mehr Politiker, Geschäftsleute und andere Akteure setzen inzwischen auf eine "antirussische" Strategie und scheuen auch nicht davor zurück, die Beziehung mit Moskau weiter zu belasten.

In diesem Sinne lehnen viele von ihnen zum Beispiel die russische Militäroperation in der Ukraine ab, wobei das Zeigen der russischen Militärsymbole "Z", "O" und "V" in Kasachstan per Gesetz verboten wurde und in manchen Fällen tatsächlich bereits mit einer Geldstrafe belegt wurde. Des Weiteren hatte man in Kasachstan in diesem Jahr die traditionelle Parade zum Sieg über Nazi-Deutschland ohne jegliche Begründung abgesagt, was in Russland unverblümt auf Unverständnis stieß.

Experten verweisen indessen auf klare Anzeichen für ideologische Gräben zwischen den beiden "Bruderstaaten", was in letzter Zeit immer deutlicher werde. Der Grund, warum Kasachstan und Russland ideologisch nicht mehr ganz auf einer "Wellenlänge" sind, liegt nach Auffassungen in Russland an der erfolgreichen Einmischung des Westens, in Nursultan politisch und finanziell Einfluss auszuüben.

Allerdings gehören auch in diesem Spiel immer zwei Seiten dazu. Denn letztendlich ist es Kasachstan, das die bereitgestellten Fördermittel westlicher Staaten und Organisationen dankbar annimmt, mit denen die öffentliche Meinung im Land entsprechend der Sichtweise der USA sowie auch der Europäischen Union (EU) geformt werden soll. Dies erfolgt etwa durch Journalisten, Menschenrechtler oder andere "Aktivisten der Zivilgesellschaft", die auf solche "Unterstützer" generell angewiesen sind und im Gegenzug erwartungsgemäß die westliche Darstellung verbreiten.

Kasachstan sucht Nähe zum Westen

Um bei dem Konflikt zwischen Russland und dem Westen zu bleiben: Anfang Juli hatte Toqajew ranghohen Vertretern der EU überraschend versichert, dass die EU bei der Energieversorgung mit der Hilfe Kasachstans rechnen könne. "Kasachstan ist bereit, sein Kohlenwasserstoffpotenzial zu nutzen, um die Lage auf den Märkten der Welt und Europas zu stabilisieren", zitiert der Tagesspiegel den kasachischen Präsidenten wörtlich.

Toqajew ist der Auffassung, dass Kasachstan – das als eines der rohstoffreichsten Länder Asiens gilt und aktuell zu den größten Erdöllieferanten der EU zählt – als eine Art "Pufferzone" zwischen Russland und der EU fungieren könne. Das kann man als ein Angebot Kasachstans an die EU verstehen, kasachisches Erdöl anstelle des russischen Öls zu kaufen.

Das "kleine" Problem dabei ist, dass heute etwa zwei Drittel der kasachischen Lieferungen in die EU durch russisches Territorium transportiert werden, weshalb Toqajew obendrein dafür plädiert, seine Rohstoffe in Zukunft unter Umgehung Russlands nach Europa zu liefern. Dies wäre theoretisch sogar möglich, aber mit enormem Finanzaufwand verbunden und außerdem unrentabel, meinen Experten.

Was die antirussischen Sanktionen anbetrifft, so versucht Kasachstan zuerst einmal für sich Profit daraus zu schlagen. Wie die russische Ausgabe des US-Wirtschaftsmagazins Forbes schreibt, hat Toqajew jene ausländischen Unternehmen, die nach der russischen Invasion in der Ukraine ihren Rückzug aus Russland angekündigt hatten oder sich mittlerweile bereits vom russischen Markt zurückgezogen haben, dazu aufgerufen, doch besser in Kasachstan Fuß zu fassen. Um das zu ermöglichen, sei die Regierung bereits damit beauftragt worden, günstige Bedingungen für solche Unternehmen zu schaffen. Der kasachische Staatschef bezeichnete seine Initiative in diesem Zusammenhang als einen Schritt im "globalen Kampf um Investitionskapital" und rechnet sich dabei "gute Chancen" aus.

Riskiert Kasachstan, das Schicksal der Ukraine zu teilen?

Dass eine Annäherung Kasachstans an den Westen die Gefahr erhöht, eine Konfrontation mit Russland vom Zaun zu brechen, sollte der kasachischen Führung in Anbetracht der Entwicklungen in der Ukraine nach dem sogenannten Euromaidan zu denken geben. Ebenso wie die Ukraine könnte auch Kasachstan wegen eines unerbittlichen westlichen Kurses Gefahr laufen, in der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen unter die Räder dieser Großmächte zu geraten.

Und wie bereits in der Ukraine geschehen, könnte auch in Kasachstan ein Konflikt um den russisch geprägten Teil der Bevölkerung für erste ernsthafte Spannungen sorgen. Zur Erinnerung: Vier Millionen Menschen, das sind ein Viertel der Bevölkerung Kasachstans, gehören zu den Russen und anderen russischsprachige Ethnien, von denen inzwischen tatsächlich viele bereits mit ethnisch motivierter Gewalt vonseiten der Vertreter der kasachischen Bevölkerungsmehrheit konfrontiert werden.

Selbstverständlich ist Kasachstan derzeit noch weit davon entfernt, sich auf den gleichen Pfad wie die Ukraine zu begeben oder gar das Schicksal dieses Krisenlandes zu teilen, allerdings sollte sich die politische Führung in Nursultan stets der Gefahr bewusst sein, in die geopolitischen "Spielchen" des Westens gegen Russland hineingezogen und sogar auch militärisch als Instrument benutzt zu werden.

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