Letztes Wochenende feierte Okinawa die Rückgabe an Japan. Was für die rund 1,5 Millionen Einwohner der kleinen Insel eigentlich einen Grund zur Freude darstellen sollte, geht für viele der dort lebenden Japaner allerdings mit einem faden Beigeschmack einher. Ein Ende der US-amerikanischen Besatzung fand in Wirklichkeit nie statt. Noch heute bestimmen die USA durch ihre enorme Militärpräsenz auf Okinawa über das Schicksal der Insel. Insbesondere bei den Einwohnern stößt dies jedoch zunehmend auf Widerstand.
Vor fünfzig Jahren, am 15. Mai 1972, hatten die USA die "administrative Kontrolle" über Okinawa an Japan übertragen. Rein offiziell fand somit die "Rückkehr" der Insel in japanische Obhut statt. Nachdem die kleine Insel 27 Jahre unter direkter Herrschaft der USA gestanden hatte, brachte der Verwaltungsakt vielen dort lebenden Menschen die Hoffnung auf Erlösung – denn Okinawa hatte schon zuvor eine schwere Bürde zu tragen.
Am Ende des Zweiten Weltkrieges wüteten in der Heimat der Inselbewohner schwere Kämpfe. Im Zuge der Nachkriegsordnung übernahmen die USA die Insel der zuvor bereits durch die von Washington autorisierten beiden Atombombenangriffe auf Nagasaki und Hiroshima gebeutelten Japaner, um diese nach und nach in ein militärisches Übungsfeld und logistisches Zentrum für ihre Kriege umzuwandeln.
Zwischen 1945 und 1972 war Okinawa ein nahezu gesetzloser Ort, die US-Amerikaner schalteten und walteten dort nach Belieben. Von den GIs verübte Verbrechen wurden von den japanischen Behörden kaum geahndet: Vergewaltigungen von einheimischen Frauen und Mädchen gehörten zum Alltag. Der "Taifun aus Stahl" der USA, wie die Inselbewohner sagten, vernichtete fast alle Siedlungen, 94.000 Insulaner starben. Ganze 88 bis heute in Betrieb stehende Militärstützpunkte errichteten die US-amerikanischen Besatzer im Laufe der Zeit auf Okinawa.
Es waren diese Umstände, die gegen Ende der 1960er Jahre zu einem Aufbegehren der bis dato unter Schockstarre stehenden Inselbevölkerung führte. Es entstand eine Opposition gegen die Übermacht der US-Besatzer. Die Okinawaner wünschten sich mehr Freiheit, Demokratie und Rechtsschutz. Sie begannen, eine Rückkehr unter japanische Souveränität zu fordern, und starteten koordinierte Proteste.
Aufgeschreckt durch die zunehmenden Unruhen auf der Insel stimmten die Regierungen Japans und der USA schließlich einer Rückgabe der Insel an Japan zu und unterzeichneten am 17. Juni 1971 ein Rückkehrabkommen. Zwar hörten die Besatzerrechte der US-Amerikaner auf Okinawa daraufhin auf, allerdings blieben die US-Stützpunkte der Insel samt Personal erhalten, da die Insel in der US-Außenpolitik gegen China schon damals eine militärstrategisch wichtige Rolle einnahm.
Japans damaliger Premier Eisaku Satō weigerte sich damals zunächst, die strategische und militärische Bedeutung von Okinawa für die Sicherheit im Fernen Osten zu bekräftigen. Damit wandte er sich gegen die Amerikaner, die ihm daraufhin damit drohten, dass seine Haltung zu einem "möglichen Hindernis für die künftige Kooperation" werden könne. Satō gab dem von den USA aufgebauten Druck schließlich nach und verkündete, die Rolle Okinawas sei "für die Stabilität des Friedens im Fernen Osten äußerst wichtig".
Geschichtsschreibung, die dazu führte, dass viele Bewohner der Insel ein halbes Jahrhundert später immer noch das Gefühl haben haben, ihr Schicksal nicht selbst bestimmen zu können. Bei einer erst kürzlich erhobenen Umfrage des japanischen TV-Senders Kyodo News verlangten 61 Prozent der Befragten, dass die US-Präsenz auf der Insel verringert werden müsse.
Nahezu jeder US-Stützpunkt in Japan befindet sich auf der kleinen Insel, obwohl Okinawa nur 0,6 Prozent des japanischen Territoriums ausmacht. Allein Kadena, die größte US-Luftwaffenbasis in Asien, verzeichnet dort jährlich etwa 70.000 Starts und Landungen. Doch neben dem Fluglärm lösen vor allem die vom US-Militär an der Zivilbevölkerung begangenen Verbrechen wie Schlägereien, Einbrüche, Vergewaltigungen und sogar Morde Wut und Proteste gegen die Einflussnahme aus Washington aus. "Das tragische Schicksal von Okinawa und seiner Bewohner besteht darin, eine Kolonie in einer postkolonialen Zeit zu sein", schrieb der US-Gelehrte Richard Falk dazu.
Die am vergangenen Wochenende begangenen Jubiläumsfeierlichkeiten zur Rückgabe Okinawas an Japan lösten allerdings zumindest unter der heute noch an der quasi US-Besatzung leidenden Inselbevölkerung keinen Grund zum Feiern aus. "Was wir uns am meisten wünschten, den Abzug der USA, ein Leben in Frieden, ohne Lärm, ohne Verbrechen und Unfälle, das blieb uns verwehrt", erklärte der Aktivist Hiroji Yamashiro der Zeitung junge Welt mit Blick auf die von Japans Regierung begangenen Feierlichkeiten zum Ende der US-Besatzung.
"Ja, wir wurden an Japan zurückgegeben, ja, wir kamen unter die japanische Verfassung, aber wir sind keine vollwertigen Japaner, höchstens halbe Japaner", sagte Yamashiro weiter. Demnach sähen die Inselbewohner Okinawa als eine japanische Halbkolonie von "US-Gnaden". Sie seien "halb Japaner, halb Ausländer", so der Aktivist.
Trotz der damals erfolgten Rückgabe der Insel an Japan gehören die Stützpunkte weiterhin den USA. Und Japan beugt sich dem bis heute. Um weitere Ausschreitungen zu verhindern, hatte die in den 1970er Jahren eingesetzte Regierung Japans den US-Amerikanern klammheimlich die Stationierung von US-Atombomben auf Okinawa erlaubt. Diese wurden nach 1972 zwar zumindest offiziell aus Okinawa abgezogen, allerdings lässt sich das nicht überprüfen, denn bis heute hat Japan hat kein Zugangsrecht zu den US-Stützpunkten auf der Insel. Selbst japanische Gesetze gelten dort nicht.
Auch den Wünschen und politischen Forderungen der Insulaner wird heute noch lediglich dann von der Zentralregierung in Tokio entsprochen, wenn diese mit der Sicherheitspolitik der US-Amerikaner auf der Insel konform gehen. Als vor drei Jahren bei einem Volksentscheid 70 Prozent der Wähler gegen die Verlegung des US-Stützpunktes Futenma innerhalb der Insel stimmten, ignorierte die japanische Regierung den Wählerwillen der Inselbewohner und setzte die Bauarbeiten zur Erweiterung der Basis in Heneko ungerührt fort.
Für die Okinawaner ist die Lage zum Verzweifeln. Der Gouverneur der Insel gibt den Kampf gegen die Übermacht jedoch nicht auf. Denny Tamaki fordert unter anderem eine Überarbeitung des Truppenstatuts zwischen den USA und Japan, damit die US-Militärs im Fall strafrechtlicher Verstöße direkt – und nicht nur mit Zustimmung der USA – der japanischen Justiz unterstehen. So sehr sich Tamaki allerdings auch gegen den US-Einfluss bemüht, bei der japanischen Regierung stößt er damit lediglich auf taube Ohren.
Die US-Stützpunkte bilden das Fundament der damals unter Widerstand Japans heraufbeschworenen Sicherheitsallianz mit den USA. Mit den letzten Jahren ist die militärische Bedeutung von Okinawa für die US-Außenpolitik sogar noch gestiegen, da die US-Stützpunkte auf der Insel den USA als nahezu unangreifbarer US-Vorposten gegen Nordkorea, China und Taiwan in Asien dienen.
Demnach spielt die Insel insbesondere in der neuen Indopazifik-Strategie der USA eine Rolle, die Chinas "Großmachtstreben eindämmen" soll. "Die US-Basen wirken abschreckend auf China, nicht nur hinsichtlich Japan und Taiwan, sondern für den ganzen Pazifik", betont der taiwanesische Sicherheitsexperte Kuo Yujen. Die tiefe Hoffnung der Insulaner auf weniger Militär wird sich also vorerst nicht erfüllen. Eine Enttäuschung, die auch schon Japans damaliger Premier Satō spürte, als er vor 50 Jahren seinem Sekretär gestand:
"Ich weiß nicht, ob die Umstände der Rückgabe von Okinawa für Japan gut oder schlecht waren."
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