Taiwans "Provokationsdiplomatie" gegen China könnte nach hinten losgehen

Das allzu selbstbewusste Taiwan spielt mit dem Feuer, indem es die Spannungen mit China verschärft. Wie lange wird sich Pekings Geduld noch strapazieren lassen? Die von Taipeh ausgehenden "diplomatischen Provokationen" sind gefährlich und könnten China zu Vergeltungsmaßnahmen nötigen.

von Tom Fowdy

Die Spannungen mit Taiwan zogen sich die ganzen vergangenen Wochen hin. Binnen weniger Tage erklärten die USA, dass man der Insel gestatten sollte, der UNO beizutreten – ausgerechnet zum 50. Jahrestag des Beitritts Chinas –, Taiwans Außenminister Joseph Wu besucht Mittel- und Osteuropa und antichinesische Abgeordnete des Europäischen Parlaments kündigten die Entsendung einer Delegation auf die Insel an. Als Sahnehäubchen bestätigte die Präsidentin der Insel, Tsai Ing-wen, in einem Interview für CNN, dass tatsächlich US-Truppen auf der Insel stationiert sind, wie bereits zuvor spekuliert wurde.

Die regierungsnahe chinesische Global Times reagierte mit der Aufforderung, "den USA und Taiwan Steine in den Weg zu legen, um ihnen damit das Leben schwer zu machen". Es steht außer Frage, dass Taiwan damit an Chinas rote Linien herangerückt ist oder diese bereits vollständig überschritten hat. So stellt sich die Frage, was Peking dagegen tun wird, außer entrüstete Stellungnahmen abzugeben? Wird China bereit sein, nicht unerhebliche Risiken einzugehen? Oder wird Taipeh seinen Bluff bei der Erweiterung seines politischen Spielraums aufrechterhalten? Es ist schwer, nicht den Schluss zu ziehen, dass sich die Dinge jetzt einer Form von "Endspiel" nähern, aber welches Ergebnis genau dieses Spiel bringen wird, ist unklar.

Wie ich in früheren Artikeln ausgeführt habe, verfolgt Taiwan eine Strategie gegen China, die ich als "Provokationsdiplomatie" bezeichne. Damit ist Taiwans Versuch gemeint, China bewusst zu provozieren, indem man Keile in Pekings Beziehungen zu anderen Ländern treibt, um sich von diesen wiederum eine Unterstützung zu verschaffen. Es ist eine Strategie, die auf einem orchestrierten PR-Coup basiert.

Taipeh versucht, möglichst viele anti-chinesische Politiker zu treffen, darunter zahlreiche Gesetzgeber, allen voran der ehemalige australische Premierminister Tony Abbott. Das Land ermutigt zu direkten Verstößen gegen die Ein-China-Politik Pekings, um Chinas Beziehungen zu Ländern nachhaltig zu stören, wie es mit Litauen geschehen ist. Es sucht den direkten Zugang zu Massenmedien wie CNN und verfolgt aggressive Social-Media-Strategien – alles mit dem Ziel, mehr Unterstützung zu gewinnen und Peking zu einer Reaktion zu provozieren.

Die zu erwartenden Reaktionen Chinas erscheinen dann oft bedrohlich oder, wie die USA es gerne beschreiben, "zwanghaft", was wiederum weitere Unterstützung zugunsten Taipehs hervorruft. Das ultimative Ziel dieser Politik ist es, Chinas rote Linien zu übertreten oder zumindest "scheibchenweise" zu untergraben und es Präsident Xi Jinping damit politisch zu erschweren, die Insel zu seinen Bedingungen kapitulieren zu lassen.

Jedoch beruht das Ganze auch auf zwei grundlegenden Annahmen, die beide einem gefährlichen Zocken gleichen. Erstens ist da der Glaube, dass China militärische Maßnahmen gegen Taiwan wegen der möglichen verheerenden Folgen, die sich daraus ergeben könnten, nicht ernsthaft in Erwägung zieht. Zweitens die Annahme, dass die Vereinigten Staaten in einem solchen Szenario Taiwan militärisch unterstützen würden, was das erstere wiederum noch unwahrscheinlicher macht. Die letztere Annahme scheint jedoch durch eine scheinbar zweideutige Aussage – oder einen Ausrutscher – Joe Bidens vergangene Woche untermauert worden zu sein, als er sagte, die USA hätten eine "Verpflichtung" zur Verteidigung Taiwans. Die Medienkommentare darüber, wie diese Aussage genau zu interpretieren sei, waren jedoch sehr unterschiedlich.

Bis jetzt bestand Pekings Reaktion darin, laut zu poltern und wütende Reaktionen gegen jene Länder zu richten, die mit Taipehs Kapriolen in Verbindung gebracht werden. China spricht viel über seine "roten Linien" und die Durchsetzung seiner Ein-China-Politik. Es führt Militärübungen in der Meerenge zwischen dem Festland und Taiwan durch, hat aber bisher keine entscheidenden Schritte unternommen, die Taipeh von seinem derzeitigen Kurs abbringen konnten.

Aber das bedeutet nicht, dass China nichts unternehmen wird. Das Vertrauen von Xi Jinping in die Idee einer Wiedervereinigung, wie sie in seiner Rede vor zwei Wochen zum Ausdruck gebracht wurde, wirkte fest, unerschütterlich und von den Ereignissen unbeeindruckt – eine ganz andere Sicht auf die Dinge, als sie in den feurigen Rhetoriken der Staatsmedien kolportiert wurden. Er drohte weder mit Militäraktionen noch erweckte er den Anschein, dass Taiwan so weit von Peking "wegdriftet", dass China zu verzweifelten Maßnahmen greifen müsste. Stattdessen drückte er die Hoffnung auf eine unvermeidliche, friedliche Wiedervereinigung aus. Doch all das wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet: Wie genau soll das passieren? Wie kann China das erreichen? Und wann?

Das Bemerkenswerte an China ist, dass es immer den richtigen Zeitpunkt zum "zuschlagen" wählt und die Fähigkeit besitzt, gut kalkulierte Risiken oft schnell und im Einklang mit seinen nationalen Interessen einzugehen. Zum Beispiel nutzte Peking die Ablenkung des Westens durch die COVID-19-Pandemie dafür, das nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong durchzusetzen. Früher hätte das Ausmaß der Proteste und der Gewalt solches unmöglich gemacht. Jetzt, ein Jahr später, ist die Protestbewegung praktisch Geschichte. Die führenden Persönlichkeiten sitzen im Gefängnis oder wurden ins Exil geschickt und die meisten oppositionellen Gruppen sind aufgelöst.

Viele der Strategien der Protestführer in Hongkong ähneln denen, die Taiwan derzeit anwendet. Sie versuchen, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen, indem sie Peking provozieren und an die Weltgemeinschaft und die Mainstream-Medien appellieren, ihnen beizustehen. Ihr Kalkül? Dass China versucht, sie gewaltsam zu stoppen, was kostspielig wäre und zu einer Isolation Pekings und weiteren US-Interventionen führen würde. Das zumindest ist das Kalkül Taipehs.

Daraus ergeben sich einige Hinweise, wenn nicht sogar konkrete Beweise dafür, wohin sich die Dinge als Nächstes entwickeln werden. Sehr unwahrscheinlich wird Peking eine umfassende Invasion Taiwans in Gang setzen, unabhängig davon, ob die USA eingreifen würden oder nicht. China wird entgegen der Erwartungen Taipehs aber mit ziemlicher Sicherheit die Messlatte so drastisch nach oben verschieben, dass für jeden sichtbar wird, dass all die Bekundungen einer offenen Unterstützung für die Insel durch die USA auf Sand gebaut sind. Taiwan mag zwar Recht haben mit seiner Annahme, dass ein Invasionskrieg für Peking isolierend und wirtschaftlich schädlich wäre. Aber es liegt falsch, wenn es davon ausgeht, dass dies der einzige Pfeil in Pekings Köcher ist und das Land nicht zu etwas anderem greifen könnte – wie im Fall des nationalen Sicherheitsgesetzes –, um Taipeh den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.

Natürlich ist Taiwan nicht Hongkong, sondern ein de-facto souveräner Staat. Daher wird das Ergebnis ein anderes sein und mehrere Schritte erfordern. Man blicke beispielsweise auf das von China vorgeschlagene "Gesetz gegen die Sezession" – ein Gesetz, von dem gesagt wird, dass es "Taiwan-Separatisten" bestrafe, das aber aus politischen Gründen nicht verabschiedet wurde. Andere mögliche Schritte könnten die Eroberung äußerer Inseln wie Kinmen vor der Meerenge von Taiwan sein, die Sperrung und Kontrolle der Meerenge und/ oder die Förderung aggressiver pro-chinesischer Gruppen und Bewegungen auf Taiwan selbst. Alles in allem hätten diese Schritte, wie im Falle von Hongkong, einige geringe Folgen und Risiken, aber keine katastrophalen. Sie können allerdings die wirkliche Entschlossenheit des Westens bloßstellen.

Das sind natürlich alles Spekulationen, aber die Frage, die gestellt werden muss, ist, wie lange Chinas Geduld noch auf die Probe gestellt werden kann. Viele Leute glauben, dass Peking mit einer allfälligen Aktion bis zum Ende der Olympischen Winterspiele im Januar wartet, um den Ländern keinen Anlass für einen Boykott oder eine andere Form der diplomatischen Demütigung zu bieten.

Es steht außer Frage, dass die Präsidentin Taiwans, Tsai Ing-wen, versuchen wird, den Status quo zu zerstören und es China dadurch unmöglich zu machen, nichts zu unternehmen. Trotz dieser Irritation scheint aber Peking zu glauben, dass die Zeit auf seiner Seite ist. Taipeh hingegen glaubt das Gegenteil, weshalb es jetzt so hart auf ein Kräftemessen hinausläuft. Doch gibt es viele Gründe, warum der Versuch, China zum Handeln zu zwingen, letztendlich nach hinten losgehen kann. Möglicherweise hat Taiwan nicht die Unterstützung, die es zu haben glaubt.

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Übersetzt aus dem Englischen.

Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit dem Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy

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