Die Coronavirus-Pandemie hat einige Veränderungen in den regelmäßigen Kontakten zwischen den Staats- und Regierungschefs beider Länder bewirkt. Zwischen März 2019 und März 2020 hielten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan zehn persönliche Treffen ab. Die neue Gesprächsrunde wird nunmehr die erste nach einer langen Pause sein.
Der türkische Präsident besucht am Mittwoch seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Sotschi am Schwarzen Meer. Und es gibt dabei viel zu klären. Auf der Tagesordnung stehen Themen wie Syrien, wo Russland zunehmenden Druck auf die Türkei ausübt, um deren Unterstützung der Dschihadisten zu beenden, oder auch das Verhältnis zur Ukraine, die von der Türkei mit Kampfdrohnen ausgerüstet werden soll.
Der Pressedienst des Kremls sagte im Vorfeld, Putin und Erdoğan würden Handel, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungen in Syrien, Libyen, Afghanistan sowie im Kaukasus diskutieren.
Der türkische Staatschef sagte, Ankara wolle seine Beziehungen zu Moskau auf ein neues Niveau heben und einen Handelsumsatz von 100 Milliarden Dollar erzielen. Der türkische Präsident setze auch große Hoffnungen auf das Treffen, um konstruktiv über die Syrien-Frage zu sprechen: "Wir werden nicht nur über Idlib sprechen, sondern auch über die Situation in Syrien im Allgemeinen."
Trotz der Waffenruhe ist die nordsyrische Region Idlib weiterhin stark umkämpft. Die Interessen zwischen Moskau und Ankara sind sehr verschieden, die Spannungen nehmen zu. Die Türkei entsandte in den vergangenen Tagen weitere Truppen in die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens, um eine mögliche Offensive syrischer Streitkräfte in Idlib abzuwehren. Es wird erwartet, dass die beiden Staatspräsidenten insbesondere über eine im vergangenen Jahr erzielte Vereinbarung diskutieren, die zur Einstellung der Offensive der syrischen Armee in Idlib führte. Der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte vor Kurzem, dass die Umsetzung des Abkommens langsam voranschreitet. Er erklärte, auf dem bevorstehenden Gipfel werde Ankaras Verpflichtung erörtert, die militärische Präsenz der Türkei in Syrien zu beenden. Ankara ist nach eigenen Angaben besorgt, die mögliche Großoffensive der syrischen Armee in Idlib könne eine massive Fluchtbewegung in Richtung der türkischen Grenze auslösen.
Auch das Thema Afghanistan steht auf der Tagesordnung. Bei der gemeinsamen Sitzung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) betonte Putin, dass die Region daran interessiert sei, dass Afghanistan als unabhängiger, neutraler, vereinter und demokratischer Staat agiere, der frei von Terrorismus, Krieg und Drogen sei. Moskau und Ankara sind sich jedoch darüber einig, dass die kürzlich von den Taliban gebildete Regierung nicht "inklusiv" ist.
Eines der heikelsten Themen bezüglich der russisch-türkischen Zusammenarbeit ist Ankaras Kauf der Luftabwehrraketen vom Typ S-400. Vor seinem Besuch in Sotschi sagte Erdoğan gegenüber Journalisten, dass er jeglichen ausländischen Druck zu diesem Thema ablehne und beabsichtige, diese Raketensysteme weiterhin aus Moskau zu kaufen. Die Türkei kündigte kürzlich an, das Land plane den Kauf weiterer Raketenabwehrsysteme von Russland – trotz aller US-Sanktionen. Einige US-Senatoren warnten inzwischen die Türkei, sie würden noch neue Sanktionen gegen Ankara verhängen, wenn das Land die Pläne zum Kauf einer neuen Serie russischer Luftverteidigungssysteme fortsetzt, berichtet Daily Sabah. Im Fall der ersten Lieferung wurden die Drohungen in die Tat umgesetzt, indem die USA die Türkei aus dem Programm des neuen Kampfjets F-35 ausschlossen, obwohl Ankara dafür bereits 1,4 Milliarden US-Dollar investiert hatte.
Die jüngsten Parlamentswahlen in Russland schaffen ebenfalls einen Gesprächsbedarf für das Treffen. Nach dem Ende der Wahlen weigerte sich das türkische Außenministerium, die Wahlergebnisse auf der Krim anzuerkennen – Ankara betrachte die Wiedervereinigung der Halbinsel mit Russland weiterhin als "illegitim". "Wir glauben, dass es wichtig ist, die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine zu wahren, dazu gehört auch die Annexion der Krim, die wir nicht anerkennen", sagte der türkische Staatschef jüngst erst auf der diesjährigen UN-Generalversammlung.
Im März 2014 hatte auf der Krim ein Referendum stattgefunden, bei dem sich die überwiegende Mehrheit der Bewohner dieser Halbinsel für die Wiedervereinigung mit Russland ausgesprochen hatte. Russland hatte auch die Türkei bereits wegen deren Position zur Krim-Frage während einer internationalen Veranstaltung "Krim-Plattform" kritisiert.
Andrei Kortunow, der Generaldirektor der Organisation Russischer Rat für internationale Angelegenheiten, glaubt, dass auch die militärisch-technische Zusammenarbeit der Türkei mit der Ukraine beim Gipfeltreffen zwischen Türkei und Russland auf Tagesordnung stehen könnte, insbesondere die Lieferung von türkischen Drohnen, die dann von Kiew im Donbass eingesetzt werden könnten. Der Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklub "Waldai" Fjodor Lukjanow betonte außerdem, dass angesichts der Verschärfung der Lage in Idlib und Interessendivergenz die Chancen für eine umfassende Beilegung der Idlib-Krise bei den aktuellen Verhandlungen gering seien.
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