Im Juli kündigten Chinas Aufsichtsbehörden an, dass Nachhilfefirmen, die über ganz China ansässig sind, nicht mehr profitorientiert arbeiten dürften, sondern sich als gemeinnützige Organisationen zu registrieren hätten. Börsennotierte Unternehmen dürften ab sofort kein Kapital mehr generieren. Ein Schlag ins Gesicht für den boomenden Wirtschaftssektor, der gerade in den Sommerferien einen hohen Umsatz generierte und zudem über mehr als ein Jahrzehnt zu den am schnellsten wachsenden Branchen mit einem gesamten Marktwert von bis zu 300 Milliarden Dollar gewachsen war. Fast sämtliche Aktien chinesischer Bildungskonzerne, die in den USA gehandelt werden, fielen seit Ankündigung der Aufsichtsbehörden um 90 Prozent oder mehr.
Ziel der Einschränkungen sollte sein, Eltern bei der Erziehung finanziell zu entlasten. Die Möglichkeit, ungewollt einen Schwarzmarkt für Bildungsleister zu fördern, hatten die Behörden anscheinend nicht einkalkuliert.
Nach der drakonischen Ankündigung im Juli stiegen die Preise für private Nachhilfestunden in Peking auf knapp 400 EU pro Stunde. Dies ist mehr als das monatliche verfügbare Durchschnittseinkommen.
Am Mittwoch verstärkten die Aufsichtsbehörden nun nochmals ihre Bemühungen, alle gewinnorientierten Nachhilfestunden auszumerzen: Ab sofort ist es auch privaten Nachhilfelehrern verboten, online oder an nicht registrierten Orten wie Wohngebäuden, Hotels und Cafés Unterricht zu geben. Diese erweiterte Maßnahme wurde eingeleitet, um einem entstehenden Schwarzmarkt entgegenzuwirken.
Letztlich zeigt sie aber auch ein Problem im Bildungssystem auf: Die Zukunft junger Chinesen wird maßgeblich mit dem Gaokao entschieden. Dies ist ein Universitätszugangszeugnis, das alle Oberschüler absolvieren müssen. Eine gute Note im Gaokao ist erforderlich, um auf einen der begehrten Universitätsplätze in Peking oder Shanghai hoffen zu dürfen, und danach auf einen gut honorierten Arbeitsplatz.
Die Weichen für diesen Wettkampf werden schon Jahre zuvor gestellt. So war es in der Vergangenheit Usus, dass Eltern, wenn es die Finanzen erlaubten, für ihre 14-jährigen Kinder Nachhilfestunden über das ganze Wochenende buchten. Oder ein junges Kind in etwa dieselbe Arbeitslast zu stemmen hatte wie ein Manager. Freizeit war tabu. Eltern hatten entweder ein hohes Einkommen, um ihren Zöglingen die außerschulischen Kurse zu ermöglichen, oder sie opferten ihr Erspartes.
Es scheint, als würden Pekings Maßnahmen vor allem bei den Symptomen eines gesellschaftlichen Übels ansetzen. Dessen Ursachen hingegen bleiben unangetastet.
Auch jetzt werden Eltern mit ausreichendem Einkommen nach Auswegen suchen, um ihren Kindern Vorsprünge im Bildungsrennen zu ermöglichen.
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