Die radikalislamistischen Taliban haben am Mittwoch Berichte dementiert, denen zufolge sie verantwortlich für gezielte Angriffe auf und Tötungen von Zivilisten während ihrer Offensive gegen die Militärverbände der Kabuler Regierung sind, wie der chinesische Sender CGTN berichtete. Um die Vorwürfe zu widerlegen, forderten sie eine unabhängige Untersuchung. Zudem versicherten sie, dass "kein Haus oder keine Familie" etwas von der Taliban zu befürchten habe.
Zuvor hatten die Vereinten Nationen berichtet, dass im letzten Monat mehr als 1.000 Zivilisten getötet worden seien. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes teilte mit, dass seit dem 1. August über 4.000 Verletzte behandelt worden seien.
Die Taliban hatten Anfang Mai ihre militärischen Aktivitäten gegen die Zentralregierung verstärkt, nachdem der Abzug der westlichen Truppen aus dem Bürgerkriegsland, die sich dort 20 Jahre befanden, begonnen hatte. Innerhalb der letzten Woche gelang es den Taliban, zehn Provinzstädte zu erobern. Zudem konnten Islamisten fast 200 ländliche Bezirke erobern. Berichten zufolge kontrollieren die Taliban inzwischen flächenmäßig die Mehrheit des Landes – etwa 65 Prozent.
Am Donnerstag gab die Gruppe laut der türkischen Agentur Anadolu bekannt, dass sie die strategisch wichtige Provinzhauptstadt Ghazni, die die südlichen und westlichen Gebiete Afghanistans mit der Hauptstadt Kabul verbindet, erobert haben. Die Stadt ist nur 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die Eroberung verkündete der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid auf Twitter. Er teilte Bilder von Taliban-Kämpfern, die sich anscheinend durch die Stadt bewegten. Bei der Eroberung hätten sich eine große Anzahl von Regierungstruppen ergeben oder seien getötet worden. Ein Lokalpolitiker bestätigte die Eroberung der Stadt. Sie sei als Teil eines Abkommens zwischen den Taliban und des Provinzgouverneurs an die Islamisten übergeben worden.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan verkündete am Mittwoch, dass seine Behörden auf ein Treffen mit der Taliban-Führung hinarbeiten würden. Sein Zeil sei es, für eine politische Lösung des Bürgerkrieges einzutreten. Man müsse auf die Taliban Einfluss nehmen, sonst sei es nicht möglich, in Afghanistan den Frieden zu sichern.
Bundesaußenminister Heiko Maas warnte derweil am Donnerstag die Taliban davor, in dem Land ein Kalifat zu errichten. Ein solcher Schritt würde zur Einstellung der deutschen Entwicklungshilfe führen. Deutschland unterstützt Afghanistan jährlich mit 430 Millionen Euro. Die Taliban seien sich dessen bewusst. Daher geht Maas davon aus, dass sich die Taliban an der Regierung in Kabul beteiligen werden, mit dem Ziel, sie zu dominieren. Perspektivisch sei die Frage nach der genauen Ausgestaltung der afghanischen Verfassung am wichtigsten, insbesondere im Hinblick auf die Menschenrechte.
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