Eine Provinzhauptstadt nach der anderen: Taliban erobern Kundus im Norden Afghanistans

Der Vormarsch der Taliban in Afghanistan dauert an. Die Islamisten haben am Sonntagmorgen zwei weitere Provinzhauptstädte im Norden des Landes erobert. Dabei handelte es sich um Sar-i Pul und Kundus. Die Großstadt wurde seit langem von Taliban-Kämpfern belagert.

Die militant-islamistischen Taliban haben am Sonntagmorgen in Afghanistan zwei Provinzhauptstädte im Norden des Landes eingenommen, darunter Kundus. Wie drei Provinzräte und ein Bewohner der Deutschen Presse-Agentur (dpa) sagten, sei die Stadt am Sonntag nach heftigen Kämpfen gefallen. Kundus wurde seit langem von Taliban-Kämpfern belagert.

Wie die Provinzräte der dpa sagten, hätten die Taliban in den vergangenen zwei Tagen ihre Angriffe intensiviert. Abgesehen von einer Militärbasis rund drei Kilometer von dem Stadtzentrum und dem Flughafen kontrollierten die Taliban nun die ganze Stadt. Die Menschen in der Stadt hätten weder Wasser noch Essen. Sie hielten sich in ihren Häusern versteckt.

Auf Twitter wurden Fotos und Videos veröffentlicht, die den Einmarsch der Taliban in die Stadt zeigen sollen.

In der Stadt kam es demnach zu chaotischen Szenen.

Erst kurz zuvor haben sie auch die Stadt Sar-i Pul erobern können. Die Lage in der Stadt mit geschätzt 180.000 Einwohnern war demnach der in Kundus ähnlich. Provinzräten zufolge hätten die Islamisten seit Sonntagmorgen die wichtigsten Regierungsgebäude unter ihrer Kontrolle. Die Sicherheitskräfte hätten sich in der Nacht schwere Gefechte mit ihnen geliefert. Als allerdings der zweite Polizeibezirk gefallen sei, hätten sie ihre Posten verlassen und sich in eine Militärbasis einen Kilometer vom Stadtzentrum zurückgezogen. Auch Regierungsvertreter befänden sich nun in dieser Militärbasis. Die Taliban feuerten Mörsergranaten auf sie. Die Provinzrätin Massuma Schadab sprach von mehreren Leichen in den Straßen. Es traue sich aber niemand, diese zu bergen.

Am Freitag war schon die kleine Provinzhauptstadt Sarandsch in Nimrus an der iranischen Grenze praktisch kampflos an die Taliban gefallen. Am Samstag folgte die Stadt Schiberghan in Dschausdschan im Norden. Damit brachten die Taliban innerhalb von drei Tagen vier Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle.

In Deutschland ist Kundus vor allem bekannt, weil die Bundeswehr jahrelang in der Nähe der Großstadt mit etwa 370.000 Einwohnern ein großes Feldlager hatte. Ende Juni hatten sich die deutschen Soldaten nach fast 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen. Nirgendwo in Afghanistan fielen mehr Deutsche als in Kundus und der Nachbarprovinz Baghlan.

Seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan Anfang Mai laufen mehrere Offensiven der Taliban. Sie kontrollieren mittlerweile mehr als die Hälfte der rund 400 Bezirke des Landes und auch mehrere Grenzübergänge. Nach Angaben des afghanischen Verteidigungsministeriums fliegen die USA, die ihren Abzug aus Afghanistan praktisch abgeschlossen haben, weiter Luftangriffe in dem Land. Die US-Militärmission in Afghanistan endet am 31. August. Der Abzug ist nach US-Angaben zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen.

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(dpa/rt)