Der chinesische Außenminister Wang Yi hat am Dienstag die Taliban dazu aufgerufen, sich vom Terrorismus zu distanzieren. Wang erklärte:
"Die Taliban als Hauptträger der militärischen Macht sollten sich ihrer Verantwortung für das Land und die Nation bewusst werden und entschlossen alle Verbindungen zum Terrorismus abbrechen, um auf eine gegenüber dem Land und dem Volk verantwortungsvolle Weise in das politische Geschehen Afghanistans zurückzukehren."
Er fügte hinzu, China hoffe, dass Afghanistan eine "weitgehend integrative" politische Macht ausüben wird sowie eine "stabile und gesunde" muslimische Politik umsetzt und sich weiterhin gegen den Terrorismus stellen wird.
Wang befand sich zum Zeitpunkt seiner Äußerungen in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe. Das Land teilt eine über 1.300 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan. Im Verlauf einer erneuten Taliban-Offensive gegen afghanische Regierungskräfte mobilisierte das Nachbarland mehr als 20.000 Reservetruppen nahe der Grenze. Mehr als 1.000 afghanische Soldaten sind in der vorigen Woche über die Grenze nach Tadschikistan geflohen. Zudem haben in letzter Zeit auch zivile Flüchtlinge begonnen, die Grenze zu überqueren.
Wie Tadschikistan hat auch China versprochen, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen, solange das nicht unbedingt notwendig ist. Mitglieder der sogenannten Islamischen Bewegung Ostturkestan, einer uigurischen terroristischen Separatistengruppe, die die Unabhängigkeit der chinesischen autonomen Region Xinjiang anstrebt, haben jedoch seit Langem Verbindungen zu islamistischen Gruppen in Afghanistan, einschließlich der Taliban und Al-Qaida. Im Februar 2018 unternahmen die USA Luftoperationen gegen Ausbildungszentren der uigurischen Islamisten in Badachschan, jener afghanischen Provinz, die an China und Tadschikistan grenzt. Der US-Armee zufolge sollte der Schlag auch die Taliban schwächen.
Gegenüber der parteinahen chinesischen Zeitung Global Times äußerte sich ein chinesischer Afghanistan-Experte skeptisch, ob sich die Taliban an ihr Versprechen halten werden, ihr Land nicht als Standort für Angriffe auf andere Länder nutzen zu lassen.
Chinas Topdiplomat nahm am Mittwoch auch am Treffen der Außenminister der Afghanistan-Kontaktgruppe der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) teil. Kabul äußerte erstmals im Jahr 2005 Interesse an einem Beitritt zu dieser Organisation. Anfang dieser Woche nannte der stellvertretende afghanische Außenminister Mirwais Nab die SOZ einen "guten Mechanismus", um die Sicherheitssituation seines Landes zu verbessern. Der afghanische Botschafter in China erklärte gegenüber der Global Times, dass Kabul in diesem Prozess auf eine Koordinierung zwischen China und Pakistan hoffe.
Laut dem Onlinemagazin The Diplomat sieht der afghanische Präsident Aschraf Ghani den Kampf seiner Regierung gegen die Taliban als eine regionale Angelegenheit an und hofft, dass die Mitgliedschaft in der SOZ ihm ein Druckmittel gegenüber Pakistan als einem weiteren Mitglied in der Organisation verschafft, damit dieses Land seinen "unerklärten Angriffskrieg" beendet, den es durch die Unterstützung der Taliban führt.
Als die USA im Februar 2020 ein Friedensabkommen mit den Taliban unterzeichneten, das den Abzug der US-Streitkräfte aus dem Land vorsah, erklärten sich die Taliban bereit, dem Terrorismus abzuschwören und sich mit Ghanis Regierung in Kabul zu versöhnen. Da die islamistische Gruppe diese Regierung jedoch als US-Marionette betrachtet, sind die Verhandlungen sehr schleppend verlaufen, und als die USA im Mai 2021 in die Phase ihres Abzugs eintraten, starteten die Taliban eine neue Offensive, eroberten bereits Dutzende von Bezirken und isolierten einige der wichtigsten Städte Afghanistans unter bisheriger Kontrolle Ghanis.
Doch selbst wenn sie wieder an die Macht kommen sollten, deutet vieles darauf hin, dass die Taliban wahrscheinlich zumindest einige der Ziele von Ghanis Regierung weiterverfolgen werden. Taliban-Sprecher Suhail Shaheen sagte der Global Times letzte Woche, dass China ein "Freund" Afghanistans sei und dass er auf Pekings Interesse an Investitionen beim Wiederaufbau des Landes hoffe.
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