Am Freitag hat in Peking mit der Plenarsitzung des Volkskongresses das bedeutendste politische Ereignis des Jahres begonnen, zu dem rund 2.900 Delegierte für mehrere Tage zusammenkommen. Die üblicherweise im März über zwei Wochen stattfindende Sitzung war wegen der Corona-Krise verschoben und auf sieben Tage verkürzt worden.
Erstmals seit 1990 startete die Sitzung in diesem Jahr nicht mit der Verkündung einer Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum. Chinas Ministerpräsident Li Keqiang begründete dies mit den Unwägbarkeiten aufgrund der COVID-19-Pandemie.
Gegenwärtig und in der näheren Zukunft wird China vor Herausforderungen stehen wie nie zuvor", mahnte Li. China sehe sich mit Faktoren konfrontiert, "die schwer vorherzusagen sind".
Im vergangenen Jahr hatte das Wachstum noch 6,1 Prozent betragen, war aber im ersten Quartal um 6,8 Prozent eingebrochen. Im April stieg die Produktion wieder um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum an. Doch die Pandemie stelle eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit dar, wie es die Volksrepublik China seit ihrer Gründung noch nie erlebt habe. Zwar sei es China gelungen, SARS-CoV-2 in kurzer Zeit einzudämmen. "Unser Erfolg hatte einen hohen Preis", so Li.
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Er warnte aber, die Epidemie sei "noch nicht zu Ende". So findet auch die Sitzung unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Die Delegierten mussten sich im Vorfeld zwei Corona-Tests unterziehen, durften nicht in eigenen Fahrzeugen anreisen und tragen in der Großen Halle des Volkes alle einen Mundschutz.
Der Ministerpräsident betonte, Peking habe bei der Bekämpfung des Virus eine "offene, transparente und verantwortungsbewusste Haltung" der internationalen Kooperation eingenommen und rechtzeitig Informationen zur Verfügung gestellt. Damit bezieht er sich wohl auf die ständig wiederholten Vorwürfe Washingtons, dass China für die Ausbreitung verantwortlich sei.
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Wegen des Rückgangs der Einnahmen in der Corona-Krise und zur Finanzierung zahlreicher Maßnahmen, die die Wirtschaft ankurbeln und insbesondere Arbeitsplätze erhalten sollen, steigt die Neuverschuldung. Die chinesische Regierung nimmt ein Staatsdefizit von mehr als drei Prozent der Wirtschaftsleistung in Kauf und gibt zusätzliche Staatsanleihen aus. Unternehmen dürfen mit Erleichterungen wie der Reduzierung der Renten- und Sozialversicherungsbeiträge sowie verringerten Steuern rechnen, auch Kleinunternehmer und Selbstständige werden entlastet. Außerdem werden Klein- und mittelständische Unternehmen im Dienstleistungssektor, die durch die Pandemie besonders getroffen wurden, drei Monatsmieten erlassen, den Vermietern wiederum wird mit Erleichterungen beispielsweise bei der Grundsteuer unter die Arme gegriffen. Dies betrifft etwa das Gastgewerbe, die Tourismusbranche, den Bereich der Aus- und Weiterbildung, Theater und andere Wirtschaftszweige. Peking strebt an, die Belastung der Unternehmen im Laufe des Jahres um mehr als 2,5 Billionen Yuan zu reduzieren.
Gleichzeitig wurden auf regionaler und lokaler Ebene zahlreiche Maßnahmen angekündigt und umgesetzt, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Beispielsweise wurde in der zentralchinesischen Provinz Hunan der ausbleibende Tourismus für umfassende Modernisierungen der Infrastruktur genutzt, womit gleichzeitig neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen wurden. In der nordwestlichen Autonomen Region Xinjiang waren die Verkäufe landwirtschaftlicher Produkte wegen der Pandemie zurückgegangen, was teils durch Online-Verkäufe wettgemacht werden konnte.
Dies sind außergewöhnliche Maßnahmen für ungewöhnliche Zeiten", so Regierungschef Li.
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Geduld mit Hongkong am Ende
Die chinesische Regierung legte am Freitag außerdem eine Resolution vor, die der Spitze des obersten gesetzgebenden Organs, dem Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses (NPCSC), ermöglichen soll, ein neues, auf Hongkong zugeschnittenes nationales Sicherheitsgesetz auszuarbeiten und zu verabschieden. Der Volkskongress soll darüber beraten und dem Ständigen Ausschuss am Ende der Tagung am Donnerstag den Auftrag zur Verabschiedung geben.
Wang Chen, der stellvertretende Vorsitzende des NPCSC, des eigentlichen gesetzgebenden Organs, begründete das Vorgehen damit, dass der Legislativrat bis heute keine Sicherheitsgesetze verabschiedet habe, obwohl er nach Artikel 23 dazu verpflichtet gewesen sei. Artikel 23 der Miniverfassung der Stadt verlangt von der Regierung Hongkongs, ein eigenes nationales Sicherheitsgesetz zu erlassen, das "Hochverrat, Sezession, Aufruhr oder Subversion" verbietet.
Die Pläne waren 2003 zunächst auf Eis gelegt worden, als mehr als eine halbe Million Menschen dagegen protestiert hatte. Die Opposition in der chinesischen Sonderverwaltungsregion fürchtet um Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und kritisiert den Schritt als Angriff auf den Grundsatz "ein Land, zwei Systeme", nach dem die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 an China autonom verwaltet wird.
Derweil sind die nationalen Sicherheitsrisiken in Hongkong zu einem "herausragenden Problem" geworden, so Wang. Energische Maßnahmen müssten ergriffen werden, um die Protestbewegung "zu vermeiden, zu stoppen und zu bestrafen".
Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, die dem Nationalen Volkskongress beiwohnt, gelobte am Freitag, bei dem Gesetz mit Peking "voll und ganz zusammenzuarbeiten". Die Regierung Hongkongs werde das Gesetz so bald wie möglich fertigstellen, um ihrer Verantwortung für die Wahrung der nationalen Sicherheit gerecht zu werden, beteuerte Lam.
Entgegen den Befürchtungen der Opposition beteuerte sie, dass weder der Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" noch die geschätzte Losung "Hongkong verwaltet die Menschen in Hongkong" auf dem Spiel stehe.
Hintergrund dieser Entwicklungen sind nicht zuletzt zunehmende Spannungen zwischen Washington und Peking. Denn um die ohnehin komplexe Gemengelage um die früheren westlichen Kolonien weiter zu verkomplizieren, führten die USA den "Human Rights and Democracy Act von 2019" ein, dem zufolge Washington beurteilt, ob Hongkong weiterhin angemessen von China autonom bleibt, um die günstigen Handels- und Investitionsprivilegien beizubehalten.
Nachdem Hongkong den größten Einbruch des Aktienmarktes seit dem Jahr 2015 erlebte, betonte Lam am Freitag, dass das von Peking ausgearbeitete Gesetz sowohl Einwohner als auch Investoren schützen werde.
Es wird auch das beste System sein, um Wohlstand und Stabilität in Hongkong zu gewährleisten. Es wird das kapitalistische System und die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong nicht beeinträchtigen. Es wird die Interessen ausländischer Investoren, die in Hongkong rechtlich geschützt sind, nicht beeinträchtigen.
Der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, Kevin Hassett, drohte am Freitag jedoch, dass das neue Sicherheitsgesetz aus Peking der chinesischen Wirtschaft schaden werde, und warnte, dass Washington darauf reagieren könnte.
Der Schritt der Chinesen in Hongkong wird sehr, sehr schlecht für die chinesische Wirtschaft und für die Wirtschaft Hongkongs sein, und wir überlegen auch, wie unsere mögliche Reaktion aussehen könnte.
Daten des U.S. Census Bureau zufolge war Hongkong mit 26,1 Milliarden US-Dollar die Quelle des größten bilateralen Überschusses im Warenhandel der USA im vergangenen Jahr. Nach Angaben des Hongkonger Handels- und Industrieministeriums war die ehemalige britische Kolonie im Jahr 2018 der drittgrößte Exportmarkt der Vereinigten Staaten für Wein, der viertgrößte für Rindfleisch und der siebtgrößte für alle landwirtschaftlichen Produkte.
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