Die in den frühen 2000er Jahren an die Macht gekommenen linken Regierungen in Südamerika wurden von den USA von Anfang an äußerst kritisch bewertet. Mit verschiedenen Mitteln versuchte Washington, diese zu beeinflussen und unter Druck zu setzen. In Venezuela versuchten die USA zuletzt in aller Öffentlichkeit, Präsident Nicolás Maduro zu stürzen und bauten dafür eigens eine "Interimsregierung" unter der Führung von Juan Guaidó auf, die von westlichen Ländern anerkannt wurde. Der Putschversuch scheiterte allerdings, weil es Guaidó nicht geschafft hatte, das Militär hinter sich zu vereinen. Doch die Pläne für einen Putsch wurden von Washington nicht begraben, sondern sollen für eine eigens dafür geschaffene Stelle in der US-Botschaft in Kolumbien weiter verfolgt werden.
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Nach einem ähnlichen Drehbuch laufen auch die Vorbereitungen für einen Sturz von Präsident Evo Morales in Bolivien ab, wie 16 Anfang Oktober veröffentlichte Audiodateien nahelegen. Dabei wurden Gespräche zwischen Oppositionellen, ehemaligen Militärs und US-Senatoren wie Marco Rubio, Bob Menéndez und Ted Cruz offensichtlich heimlich aufgezeichnet, wo sie von einem Putsch gegen Morales sprechen.
Bereits Anfang des Jahres sprachen sich Menéndez und Cruz in einem vor den Senat gebrachten Resolutionsentwurf gegen eine erneute Kandidatur von Morales im Oktober 2019 aus, was für Empörung in Bolivien und Kritik an der US-Einmischung in innere Angelegenheiten des Andenlandes sorgte. Cruz begründete dieses Vorgehen mit den Worten:
Bolivien bewegt sich in eine sehr gefährliche Richtung und schließt sich illegitimen und illegalen Regimen wie dem von Maduro in Venezuela an.
Carlos Romero, der Innenminister Boliviens, sprach deshalb von einem "tiefgehenden Rassismus" der US-Senatoren, die sich statt in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, lieber "um die Lösung ihrer eigenen Problemen kümmern (sollen), die mit Drogenkonsum und Gewalt durch Schusswaffen zu tun haben".
Im April wandten sich dann zwölf Oppositionelle in einem offenen Brief an US-Präsident Donald Trump und baten ihn, "in Lateinamerika zu intervenieren, um die erneute Kandidatur von Morales zu verhindern". Wie die geleakten Audiodateien nahelegen, fand dieser Aufruf durchaus Gehör in Washington. Zentrale Figuren bei dieser Verschwörung sind ehemalige hochrangige Militärs und Politiker wie Manfred Reyes Villa oder Gonzalo Sánchez de Lozada, die nach dem Aufstieg von Evo Morales in die USA emigriert waren und enge Kontakte zur bolivianischen Opposition und dem Nationalen Militärausschuss pflegen.
Laut den Audiodateien sieht der Plan vor, dass die Opposition möglichst vereint wird und mit einer Stimme gegen Morales spricht. Hauptsächlich über soziale Netzwerke sollen Schmierkampagnen gegen den Präsidenten organisiert werden, während Jorge Quiroga, der rechtsgerichtete und in den USA ausgebildete Amtsvorgänger von Morales, bei regionalen und internationalen Institutionen dafür werben soll, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober anzuzweifeln. Wie in Venezuela soll das Wahlergebnis als "verfassungswidrig" erklärt, Neuwahlen gefordert und idealerweise weitere Schritte gegen die Regierung eingeleitet werden.
Das Ziel sei eine völlige Destabilisierung Boliviens, die durch gewalttätige Proteste herbeigeführt und von der rechtsextremen Organisation Unión Juvenil Cruceñista geschürt werden soll. Auch die US-Botschaft spiele eine gewichtige Rolle bei der Vorbereitung der Destabilisierung, indem sie die Proteste unterstützt und sogar finanzieren soll, sowie zum Generalstreik aufruft, der das ganze Land lahmlegt. Damit soll ein untragbarer Zustand für Morales geschaffen werden, wenn er im Januar 2020 nach der Wiederwahl das neue Mandat übernimmt. Die Antwort darauf wäre eine bürgerliche Militärregierung unter der Führung von Waldo Albarracín, der Neuwahlen binnen 90 Tagen ausrufen soll. Allerdings ohne Teilnahme der Movimiento al Socialismo, der Partei von Evo Morales.
Spätestens dann soll die große Stunde von Oscar Ortiz schlagen, dem Oppositionspolitiker, der sich im Wahlkampf zwar gut geschlagen hat, aber in den Umfragen keine ernsthafte Herausforderung für den Amtsinhaber darstellte. Ihm wird vorgeworfen, ähnlich wie Guaidó in Venezuela, im Dienst der USA zu stehen.
Die Veröffentlichung der Audiodateien erfolgte rund zwei Wochen vor dem Wahltag, wann die aufgenommenen Gespräche stattgefunden haben, ist allerdings nicht bekannt. Erstaunlicherweise haben sich aber seitdem einige Dinge so zugetragen und entwickelt, wie es in diesen verschiedenen Gesprächen geplant wurde. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der geplante Putsch ebenfalls nach Plan laufen wird, oder ob es Morales gelingt, sich in diesem Sturm zu behaupten.
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