von Maria Müller
Im mittelamerikanischen Staat Honduras wird der Ruf nach dem Rücktritt des Präsidenten Juan Orlando Hernández wieder lauter. Juan Hernández hatte seine Wiederwahl im November 2017 in einem umstrittenen Urnengang erreicht, dem selbst Wahlbeobachter der OAS eine "niedrige Qualität" bescheinigten. Die USA und die Europäische Union haben den zwielichtigen Hernández dennoch als Präsidenten von Honduras anerkannt. Die Präsidentenwahl im Mai 2018 in Venezuela, die bei weitem nicht mit der extremen Manipulation in Honduras vergleichbar ist, wird hingegen verurteilt.
Seitdem kommt das Land nicht mehr zur Ruhe. Nach den Wahlen herrschte ein wochenlanger Ausnahmezustand aus Protest gegen den vermutlichen Betrug. Heute ziehen zehntausende honduranischer Staatsbürger mit den Migrantenströmen nach Norden in Richtung USA. Sie flüchten vor Gewalt und Armut.
All das ist kein Problem für den Internationalen Währungsfond (IWF), der in Zusammenarbeit mit dieser Regierung sein zerstörerisches Wirtschaftskonzept in Honduras durchsetzt. Hunderte von Entlassungen im öffentlichen Bereich stehen auf der Tagesordnung. Gegenwärtig verhandelt die Regierung unter Juan Hernández mit dem IWF über einen neuen Kredit. Eine der Voraussetzungen sollen Privatisierungen im staatliche Gesundheitswesen sowie in Erziehung und Wissenschaft sein. Die Haushaltsmittel werden dafür drastisch gekürzt.
Das Parlament von Honduras hat bereits ein entsprechendes Gesetz in erster Lesung verabschiedet. Damit können bestehende Arbeitsverträge einseitig aufgekündigt werden, um eine "grundlegende Transformation" vorzubereiten. Mit der Transformation ist die Privatisierung gemeint.
Um das Gesetz und die damit einhergehende Privatisierungswelle als notwendig erscheinen zu lassen, griff die Regierung zu einem in Lateinamerika gut bekannten Mittel: der öffentliche Dienst wird heruntergewirtschaftet, als uneffektiv und als finanzielles Fiasko dargestellt. Juan Hernández vernachlässigte während seiner Regierungszeit systematisch die öffentlichen Krankenhäuser. Im November 2018 streikten Ärzte und medizinisches Personal, weil aufgrund radikaler Mittelkürzungen Medikamente und medizinisches Gerät in großem Ausmaß in den Kliniken fehlten.
Anders als im Fall von Venezuela waren diese Zustände jedoch keine internationale Meldung wert, die westlichen Staaten forderten keinen humanitären Korridor. Im Gegenteil: Der Internationale Währungsfonds erklärte die Mittelkürzungen und Privatisierungen als unumgängliche Voraussetzungen für neue Kredite.
Das Gesetz zur "Neustrukturierung und Transformation des nationalen Gesundheits- und Erziehungssystems" wurde am 25. April vom Parlament in erster Lesung verabschiedet. Allerdings erschien das Abstimmungsergebnis nicht auf der elektronischen Schautafel des Parlaments, was den Verdacht auf Stimmenfälschung aufkommen ließ. Am 29. April sollte das Gesetz in zweiter Lesung endgültig bestätigt werden. Doch dazu kam es nicht.
Täglich neue Protestaktionen breiteten sich aus. Am 26. April beteiligten sich achttausend Menschen an dem traditionellen Fackelzug gegen die Regierung, der jeden Freitagabend in der Hauptstadt stattfindet. Die Gewerkschaften der Lehrkräfte und des medizinischen Personals riefen für den 29. April zu einem landesweiten Protesttag auf.
In zahlreichen Städten fanden Demonstrationen statt, tausende Bürger strömten auf die Straßen der Hauptstadt Tegucigalpa. Die Gewerkschaften zählten Protestaktionen an 70 Orten in Honduras. Verkehrsknotenpunkte und Überlandstraßen wurden blockiert, vielerorts gab es Barrikaden aus brennenden Autoreifen. Staatliche Angestellte, die Entlassungen befürchteten, zündeten ihre Büros an, Ministerien und Räume der Telefongesellschaft brannten. Schulen und Universitäten wurden besetzt, Gesundheitsposten geschlossen. Die Mobilisierung fand eine parteiübergreifende Resonanz. Vor allem der unerwartete massenhafte Zulauf von nichtorganisierten Bürgern verstärkte die Wirkung der Demonstrationen.
Die repressive Gewalt seitens der Regierung hinterließ Dutzende durch Tränengasbomben und Gummigeschosse verletzte Personen sowie einen Toten. Das Vorgehen von Scharfschützen gegen Demonstranten löste große Empörung aus. In den sozialen Netzen kursierte ein Video, das zwei zivil gekleidete Männer in den Reihen der Polizei zeigt, die mit Pistolen auf Demonstranten zielen und schießen. Sie handelten unmittelbar neben den Uniformierten, ohne von ihnen behindert oder entwaffnet zu werden. In einer in der Nähe stehenden Gruppe von Demonstranten fiel ein Mann mit einer Schusswunde in der Brust tot zu Boden. Die Polizei behauptete anschließend, die Demonstranten hätten auf die Sicherheitskräfte geschossen. Wie bereits bei den Mobilisierungen gegen die Wahlfälschungen so kam es auch dieses Mal wieder zu Entführungen mit Todesfolgen. Zwei Studenten wurden am gleichen Tag mit Folterspuren tot aufgefunden.
Im Gegensatz zum venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro wird der honduranische Präsident Hernández nie von der "internationalen Gemeinschaft" für den Tod seiner Bürger verantwortlich gemacht. Kein Wort von einem "exzessiven Einsatz staatlicher Gewalt".
Lehrkräfte, Ärzte und Studenten riefen für den 30. April zu einem Generalstreik auf, falls das Privatisierungsgesetz nicht zurückgenommen wird. Doch die für den Nachmittag dieses Tages einberaumte Parlamentssitzung brachte eine unvorhergesehene Wende. Der Präsident der Nationalversammlung Mauricio Oliva erklärte, man werde das Gesetz annullieren, um den Frieden im Land wieder herzustellen. Stattdessen solle gemeinsam mit den Bürgern ein neuer Entwurf erarbeitet werden. So votierte das Parlament dann einstimmig (!) gegen das Gesetz, das es einige Tage zuvor angeblich befürwortet hatte.
Ein Etappensieg für die Bürgerbewegung in Honduras zeichnet sich ab. Doch die Protestbewegung geht weit über die aktuellen Forderungen hinaus. Der Ruf nach dem Rücktritt der Regierung hat seinen Ursprung im Putsch des Jahres 2009 gegen den damals amtierenden Präsidenten Manuel Zelaya.
Sowohl der anschließend an die Regierung gelangte Präsident Porfirio Lobo als auch der über zweifelhafte Wahlen zweimal an die Macht gekommene Juan Orlando Hernández stehen unter dem Verdacht von Korruption und Verbindungen zum Drogenhandel.
Gegen Hernández sind in den vergangenen Monaten mehrere Untersuchungen eingeleitet worden. Er soll z.B. öffentliche Gelder in Millionenhöhe für seine Wahlkampagne im Jahr 2013 veruntreut haben. Desweiteren stehen er und mehrere hohe Regierungsbeamte, ein Minister und zwei Bürgermeister der Nationalpartei aufgrund verschiedener Ermittlungen und Aussagen von Drogenbossen im Verdacht der unmittelbaren Nähe zum organisierten Verbrechen. Sie sollen direkt an Bestechungen von Polizeibeamten und am bewaffneten Schutz von Kokaintransporten in die USA beteiligt gewesen sein, und/oder Gelder aus Drogenkreisen für die Wahlkampagnen der Nationalpartei erhalten haben.
Im November 2018 wurde der Bruder des Präsidenten, Tony Hernández, in den USA wegen jahrelangen umfangreichen Kokainlieferungen festgenommen und ist seitdem dort inhaftiert. Er soll seinen privilegierten Status als Abgeordneter der Regierungspartei und als Bruder des Präsidenten dafür missbraucht haben.
Die Nichtregierungsorganisation Transparency International bezeichnete Honduras in ihrem Jahresbericht 2018 als einen der korruptesten Staaten der Welt. Auf einem Plakat bei einer Kundgebung in Tegucigalpa stand: "Das System kann die Korruption nicht bekämpfen, denn die Korruption ist das System".
Christine Wade, Professorin für Politikwissenschaft am Washington College und Expertin für Mittelamerika, sagte über die Situation in Honduras:
Die Organisationen des Drogenhandels und des internationalen Verbrechens haben die staatlichen Institutionen in Honduras auf allen Ebenen durchdrungen."
Trotzdem wird Hernández weiterhin von den Vereinigten Staaten als bedeutender regionaler Verbündeter in Fragen der Sicherheit und des Kampfes gegen den Drogenhandel (!) unterstützt.
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