Die Gräueltaten der Spanier bei der Eroberung Amerikas

In Mexiko jähren sich zwei entscheidende Ereignisse: die Eroberung durch die Spanier vor 500 Jahren und die Unabhängigkeit von der spanischen Krone vor 200 Jahren. In Spanien wiederum läuft der Wahlkampf an. Da wie dort Zeit für "nationale Themen" – und einen Blick zurück.

von Luis Gonzalo Segura

Es gibt reichlich Stoff für Diskussionen, die derzeit auch tatsächlich stattfinden, ob die Spanier Gräueltaten in Lateinamerika verübten, wie viele und welche. Der eine oder andere Historiker oder Journalist, der sein gesichtertes Auskommen dem offiziellen spanischen Staat oder seinen inoffiziellen Ausläufern im Schatten des "tiefen Staates" verdankt, wird attestieren, dass es keinerlei Verbrechen gab, sondern höchstens einige Kleinigkeiten, die in jedem Fall Ergebnis irgendeines Unfalls waren.

Unbestreitbar ist allerdings in diesem Fall, der auf der einen wie anderen Seite in gewagter und gefährlicher Weise diskutiert wird, dass abgesehen von einer überirdischen Natur der Diskutanten niemand von ihnen die Eroberung Amerikas am eigenen Leib erlebt hat. Doch das, was bei jeder Kriminalgeschichte zählt, sind die Fakten. Und ich meine hier wissenschaftliche Fakten. Auch wenn Stanley Payne, ein erklärter Anhänger des Franquismus, oder Maria Elvira Roca jeweils "pro-nationalistische" Bücher verfasst haben (pro-spanische natürlich), in denen es mehr oder weniger heißt, die Ankunft der Spanier sei für die amerikanischen Ureinwohner ein Geschenk gewesen (bitte sehen Sie es mir nach, dass ich deren Titel hier unerwähnt lasse), so ist zumindest eines gewiss: dass die Berichte des katholischen Geistlichen Bartolomé de Las Casas, der tatsächlich bei der Eroberung Amerikas dabei war, so aufschlussreich wie erschütternd und vernichtend sind.

Was geschah bei der Eroberung Amerikas?

Die auch im Titel als kurz benannte Erzählung (Brevísima relación de la destrucción de las Indias, 1552) des Kirchenmanns ist extrem hart. De Las Casas beschreibt zudem, dass er diesen Bericht auf königliche Anordnung für den damaligen Kronprinzen und späteren spanischen König Philipp II. erstellt, was dem Werk seine besondere Bedeutung verleiht. Es ist also alles andere als ein Kriminalroman, sondern eine von höchster Stelle autorisierte Auftragsarbeit, nachdem de Las Casas am königlichen Hof bereits mündlich im Jahr 1540 von den Ereignissen berichtet hatte, die er in seinem späteren Werk schriftlich festhielt. Dieses königliche Siegel gibt dem Werk den zusätzlichen Wert, dass es tatsächlich mit höchster Autorität und Erlaubnis von den Ereignissen berichtet. Und weder Kritiker noch Zeitgenossen hatten diese Berichte je in Zweifel gezogen und als falsch qualifiziert. Was wiederum leicht möglich gewesen wäre, denn zur damaligen Zeit waren genügend Spanier vor Ort. Vielmehr sind zahlreiche Dokumente von Geschichtsschreibern wie Gonzalo Fernández de Oviedo oder Francisco López de Gómara, dem Franziskanermönch Marcos de Niza und Konquistadoren wie Pedro de Alvarado und sogar Hernán Cortés höchstpersönlich – in Briefen an König Karl V. – erhalten. Alle diese Dokumente bestätigen und legitimieren den Bericht von de Las Casas.

Bartolomé de Las Casas schreibt über die Eroberung der Insel Hispaniola von "Verstümmelungen, Morden, Ängsten, Leiden, Folterungen und Zerstörungen auf ungewöhnliche und neue und vielfache und bisher nie gesehene noch gelesene oder gehörte Weise der Grausamkeit, sodass es von den drei Millionen Seelen, die wir auf Hispaniola sahen, heute nur noch derer 200 Personen (sic) gibt". Dieser Abschnitt ist deshalb sehr bedeutsam, weil er neben der kursorischen Aufzählung der Verbrechen der Spanier auch Angaben zum Ausmaß der menschlichen Opfer enthält, auch wenn die Zahlen als wenig exakt gelten und entsprechend kritisiert werden könnten.

Nach dem Bericht über die Entvölkerung der zahlreichen karibischen Inseln schreibt er über das "Festland", dass die Spanier "durch ihr grausames und abscheulisches Wirken entvölkert und zerstört und heute in eine Wüste verwandelt haben (...). In den besagten 40 Jahren sind durch besagte Tyrannei und teuflische Werke der Christen, ungerechter- und despotischerweise, mehr als zwölf Millionen Seelen, Männer, Frauen und Kinder, gestorben; tatsächlich glaube ich, ohne mich zu täuschen, dass es mehr als 15 Millionen sind". Wenig später nennt er das Motiv für diesen Blutrausch: "das Gold und das Zusammenraffen von Reichtümern in kürzester Zeit".

Die Gebiete, die de Las Casas mit dem Namen "Festland" bezeichnet, sind das heutige Nicaragua, Costa Rica, Panama und der Norden Kolumbiens (damals bekannt als "Kastillien des Goldes"). In dieser Region tötete ein Befehlshaber des Gouverneurs (Pedrarias Dávila oder Pedro Arias de Ávila) 40.000 Personen, um sie zu berauben und aus ihnen das Gold herauszureißen, indem er sie "mit dem Schwert erschlug, bei lebendigem Leibe verbrannte, wilden Hunden vorwarf und sie auf verschiedene Weisen folterte".

De Las Casas beschreibt, was geschah, wenn die Ureinwohner die – ihm zufolge "ungerechte" – Anordnung, ihre Ländereien und Reichtümer den Spaniern zu übergeben, nicht erfüllten:

Im Morgengrauen, wenn die Unschuldigen noch mit ihren Frauen und Kindern schliefen, kamen sie [die Spanier] ins Dorf und steckten das Stroh in Brand, verbrannten bei lebendigem Leib die Kinder und Frauen und viele andere, bevor diese handeln konnten. Sie töteten, wen sie wollten und diejenigen, die sie gefangen nahmen, folterten sie zu Tode." Nach dem Massaker und "nachdem das Feuer erloschen war, machten sie sich auf die Suche nach dem Gold, das es in ihren Häusern gab". Dem Bericht zufolge wurden bei diesen Schlächtereien allein zwischen 1514 und 1521 "mehr als 800.000 Seelen" ausgelöscht.

Und nachdem ein Häuptling 9.000 Castellanos (die seinerzeitige spanische Goldwährung) übergab:

Unzufrieden damit [mit der Menge des Goldes], nahmen sie den Mann gefangen und fesselten ihn am Boden sitzend an einen Pfahl mit zusammengebundenen Beinen, die sie anzündeten, damit er ihnen mehr Gold gibt. Er schickte nach seinem Haus und sie brachten weitere 3.000 Castellanos. Sie drehten ihn um und gaben ihm etwas Heilkraut, doch weil er kein Gold mehr gab, da er entweder keines mehr hatte oder keines mehr geben wollte, machten sie auf diese Art weiter mit ihm, bis ihm das Mark aus den Poren trat und er schließlich starb.

Ein anderes Mal (...) nahmen sie 80 oder 90 Mädchen und Frauen gefangen und töteten, wen sie töten konnten. An einem anderen Tag versammelten sich viele Indios, um aus Angst um ihre Frauen und Kinder die Christen zu verfolgen. Als diese sich umzingelt sahen, gaben sie nicht ihre Gefangenen frei, sondern rammten den Mädchen und Frauen ihre Schwerter in die Bäuche und ließen keine einzige von ihnen am Leben.

Die Beschreibungen der Praktiken im damaligen Nueva España – dem "Neuen Spanien", dem Vizekönigreich, zu dem das Gebiet des heutigen Mexiko gehörte – zeichnen kaum ein anderes Bild. Der erste Bericht von de Las Casas widmet sich der Schlächterei von Cholula, die sich 1519 ereignete. Bei diesem Blutbad ermordeten die Spanier etwa "fünf- oder sechstausend Indios" mit Schwertern und Lanzen auf besonders grausame Weise.

Nach zwei oder drei Tagen krochen viele Indios lebend und blutüberströmt aus den Leichen hervor, unter denen sie sich verstecken konnten (da es so viele waren); in Tränen aufgelöst bettelten sie vor den Spaniern um Gnade, sie nicht zu töten. Doch von diesen gab es weder Gnade noch Mitleid, stattdessen schlugen sie vor ihrem Rückzug die Überlebenden in Stücke.

Ohne Mitleid

Der Bericht fährt in dieser Weise fort, ohne dass auch nur an einer Stelle das Niveau der Grausamkeit nachlässt, die die Spanier bei der Eroberung Amerikas an den Tag legten. Trotz dieser überlieferten Grausamkeiten zeigt Spanien bis heute keinerlei Anzeichen von Mitleid, selbst nachdem die katholische Kirche um Vergebung für die von ihr und von den Kolonisatoren in Amerika verübten Gräueltaten bat, wie zuletzt Papst Johannes Paul II. und der jetzige Papst Franziskus (während seiner Südamerikareise 2015), der als Argentinier selbst aus Lateinamerika stammt. Auch die Tatsache, dass Länder wie Belgien, Deutschland, die Vereinigten Staaten, Kanada, Japan, Frankreich oder das Vereinigte Königreich für die finsteren Kapitel ihrer jeweiligen Geschichte um Verzeihung baten, hat Spanien bisher nicht davon überzeugen können, seinerseits desgleichen für seine Vergehen bei der Eroberung Amerikas zu tun.

Spanien ist anders – heißt es. Ganz offensichtlich, wenn man sieht, dass, anstatt um Entschuldigung zu bitten, und sei es nur aus Gründen der Diplomatie oder der guten Geschäfte – also aus ureigenen Interessen –, der spanische Staat auf die entsprechende Bitte des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador in aller Öffentlichkeit mit Ablehnung reagiert. Und dass zahlreiche Persönlichkeiten der spanischen Gesellschaft sogar so weit gehen, den mexikanischen Präsidenten zu beleidigen und herabzuwürdigen (der Journalist Arturo Pérez Reverte bezeichnete ihn als "schwachköpfig" und "unverschämt").

Es scheint nicht so, dass der mexikanische Präsident lügt oder irrt. Ebenso wenig wie es scheint, dass Bartolomé de Las Casas falsches Zeugnis abgelegt hat. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Papst Paul III. bereits 1537 in seiner Bulle Sublimis Deus die Versklavung und die Ausplünderung der amerikanischen Ureinwohner verbot. Stattdessen sollten sie zum Christentum bekehrt werden – durch die Kraft der Predigt und des Beispiels.

Luis Gonzalo Segura ist Ex-Leutnant des spanischen Heeres. Er hatte Korruption, Amtsmissbrauch und anachronistische Privilegien in den Reihen der Streitkräfte angezeigt, was zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst führte. Er ist Autor des Essays "El libro negro del Ejército español" (2017) sowie der Erzählungen "Un paso al frente" (2014) und "Código rojo" (2015).

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