Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat in einem Gutachten erneut die Venezuela-Politik der deutschen Bundesregierung kritisiert. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die deutsche Anerkennung von Juan Guaidó, des selbsternannten venezolanischen Interimspräsidenten, ein außenpolitisches und diplomatisches Novum darstellt.
Weiter heißt es in dem Gutachten, dass es sich in gewisser Weise um "eine Abkehr von der bisherigen Anerkennungspraxis der Bundesrepublik Deutschland" handle:
Bislang war es jahrelange deutsche Staatspraxis, lediglich Staaten anzuerkennen und keine Regierungen oder Präsidenten.
Zur Einordnung zieht die Studie die Fälle von Libyen und Syrien heran. Allerdings würden sich derartige Fälle stets auf Bürgerkriegssituationen beziehen und seien daher mit der Lage in Venezuela "nicht wirklich vergleichbar".
Das Gutachten befasst sich auch mit den von westlichen Staaten gegen Venezuela verhängten Wirtschaftssanktionen. Regierungen dürften nach Auffassung von Völkerrechtlern "nicht einfach ohne Rechtsgrund ausländisches Staatseigentum beschlagnahmen". Damit bezieht sich der wissenschaftliche Dienst auf das Einfrieren von venezolanischen Erdölgeldern in den USA und die Weigerung Großbritanniens, venezolanische Goldeinlagen in Milliardenhöhe bei der Bank of England an Caracas herauszugeben.
Wirtschaftssanktionen eines Staates gegen einen anderen Staat seien dann völkerrechtskonform, "wenn der sanktionierende Staat damit auf eine Völkerrechtsverletzung des sanktionierten Staates ihm gegenüber reagiert". Eine solche Völkerrechtsverletzung von Seiten Venezuelas gibt es allerdings nicht.
Das Gutachten zitiert UN-Normen, nach denen die Sanktionen völkerrechtswidrig sind. Strittig sei, ob die Wirtschaftssanktionen einen Verstoß gegen das in der Charta der Vereinten Nationen festgeschriebene Gewaltverbot darstellten. Aber auch unterhalb der "Schwelle zur Gewalt können Wirtschaftssanktionen gleichwohl als verbotene Interventionen völkerrechtswidrig sein".
Darüber zieht die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes auch die Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) heran. Auch nach deren Grundsätzen seien Sanktionen nicht legitim. In Artikel 19 und 20 sei festgeschrieben, dass kein Staat und keine Staatengruppe das Recht besitze, sich aus welchen Gründen auch immer in innere Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen.
Bereits vor zwei Wochen hatte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem anderen Gutachten festgestellt, dass die Anerkennung Guaidós wahrscheinlich eine Einmischung in innere Angelegenheiten darstelle.
Das neue Gutachten wurde von der Linken-Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel in Auftrag gegeben. Hänsel kritisierte auf Twitter noch einmal die Anerkennung Guaidós durch die Regierung. Sie warf der Regierung auch vor, sich mit ihrer Weigerung, die beschlossene humanitäre Hilfe für Venezuela über UN-Institutionen zu verteilen, am "politischen Missbrauch humanitärer Hilfe der USA" zu beteiligen.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes verdeutlicht einmal mehr, wie abenteuerlich die Venezuela-Politik der Bundesregierung und ihrer westlichen Verbündeten ist. Der Gegensatz zwischen dieser Politik und dem ständig vorgetragenen Mantra von einer "regelbasierten Weltordnung" könnte größer kaum sein.
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