von Maria Müller
Am 1. Januar 2019 leistete der gewählte Präsident Brasiliens den Amtseid in der Hauptstadt Brasília. Zu dem feierlichen Ereignis kamen jedoch nur sechs von zwanzig Regierungsoberhäuptern Lateinamerikas. Manche blieben aus freien Stücken fern, andere waren gar nicht eingeladen.
Lediglich die Präsidenten von Bolivien, Honduras, Paraguay, Peru, Chile und Uruguay waren Zeugen der Vereidigung. Des Weiteren kamen die Premierminister aus Ungarn, Israel und Marokko sowie der Präsident Portugals. Die Vereinigten Staaten entsandten den Staatssekretär Mike Pompeo, China seinen Staatssekretär Ji Bingxuan.
Ein noch nie dagewesener Aufmarsch an Sicherheitskräften begleitete die Amtseinführung des 63-jährigen Bolsonaro, eines ehemaligen Hauptmanns der Armee. Die Streitkräfte setzten 4.600 Soldaten ein, 200 Angehörige der Marine und 200 der Luftwaffe. Auch 4.700 Militärpolizisten waren unterwegs. Flugzeuge sicherten den Himmel über der Hauptstadt, selbst Luftabwehrraketen wurden in Stellung gebracht. Unter den Besuchern befanden sich 600 Geheimdienstagenten in Zivil.
Doch die Anhänger des ultrarechten Bolsonaro lockerten die Stimmung auf. Vor dem Parlament skandierten sie voller Dankbarkeit immer wieder die Namen derjenigen, die ihrem Idol zum Sieg verholfen hatten: "WhatsApp, Facebook, Twitter!!", schrien sie euphorisch im Chor, in Gedenken an die Wirkung von millionenfachen Falschmeldungen über die Gegenkandidaten, die damit im Wahlkampf niedergeschmettert wurden. Steve Bannon, der Wahlkampfexperte Donald Trumps, hatte Bolsonaro beraten.
Die Rede beim Amtsantritt des Präsidenten vor dem Parlament lässt sich auf wenige zentrale Punkte reduzieren: Bolsonaro will Brasilien "von ideologischen Fesseln" befreien.
Dazu gehöre auch die "Gender-Ideologie" und die Ideologie des "politisch Korrekten". Was immer das auch heißen mag – es lässt nichts Gutes erahnen. Denn im Wahlkampf kündigte er an, die Opposition "wegzusäubern", wie man es bisher noch nicht gekannt habe. Gleichzeitig werde er die "jüdisch-christlichen Religionen und Traditionen" voll respektieren.
"Brasilien über alles, Gott über allen", wiederholte er die Wahlkampfparole in seiner Rede vor den Abgeordneten und erklärte, dass die Streitkräfte Brasiliens die "nötigen Mittel erhalten werden, um die nationale Souveränität und die Landesgrenzen zu schützen".
Bolsonaro bat die Kongressmitglieder um Hilfe, um das Land "vom Joch der Gewalt, der Korruption, der wirtschaftlichen Verantwortungslosigkeit und der Ideologien zu befreien".
Seine enge ideologische Verbindung zu den Streitkräften, sein politischer Beifall für die Militärdiktatur (1964-1985) und deren Gräueltaten kommen auch in der Zusammensetzung seines Kabinetts zum Ausdruck. Von insgesamt 22 Ministern sind fünf Mitglieder der Armee, vier weitere haben eine militärische Laufbahn absolviert.
Korruption: Wenn der Bock den Gärtner macht
Jair Bolsonaro, dessen zentrales Wahlkampfthema der Kampf gegen die Korruption war, hat außerdem sechs Minister und drei enge Berater um sich geschart, die allesamt schon wegen Korruption, Betrugsaffären, ja selbst wegen Gewalt gegen Frauen mit der Justiz in Konflikt geraten waren oder gegen die deswegen noch ermittelt wird.
Das enthüllt eine ausführliche Untersuchung des englischsprachigen Portals The Intercept. Hier eröffnet sich dem Leser eine Welt, in der Verbrechen als Kavaliersdelikte gehandhabt und toleriert werden. Rechte Seilschaften quer durch Justiz, Politik, Militär und Konzerne funktionieren offenbar schon seit vielen Jahren in Brasilien und erreichten mit der Wahl des Jair Bolsonaro praktisch ihre Machtübernahme. Wer bisher noch Zweifel hatte, ob die Spitzen der Justiz, oder gar der Anti-Korruptions-Richter Sérgio Moro denn wirklich einseitig handelten, wird durch die weitgehende Straflosigkeit in diesen Kreisen ernüchtert.
Im ersten Teil des Berichts steht Jair Bolsonaro selbst im Fokus. Der neue Präsident Brasiliens wird schwer beschuldigt. Er hat im Zusammenhang mit der Korruption seine eigene zwielichtige Geschichte.
1) Bolsonaro verbrachte elf Jahre seiner 27-jährigen politischen Karriere in der rechten "Fortschrittspartei" (PP). Diese Organisation weist die höchste Zahl an Politikern auf, die im Verlauf der Operation "Lava Jato" wegen Korruptionsfällen untersucht wurden: zwei Senatoren, 18 Abgeordnete und elf ehemalige Abgeordnete. Die Operation wurde damals von Richter Sérgio Moro geleitet, der heute dem Kabinett von Bolsonaro angehört.
Bolsonaro verließ erst 2016 diese Partei, nachdem die Ermittlungen ab 2014 täglich Schlagzeilen machten. Er selbst gestand vor seinem Abgang öffentlich ein, dass seine Partei Hunderttausende von Dollar an Bestechungsgeldern der von berüchtigten Fleischfirma JBS erhalten habe (Skandal um Gammelfleisch).
Ja, die Partei hat Bestechungsgelder bekommen. Welche Partei bekommt keine Bestechungsgelder?", sagte Bolsonaro.
Er behauptete dann, die 200.000 brasilianische Real, die ihm die Firma JBS als Wahlspende übergeben hatte, an einen anderen Kongressabgeordneten weitergeleitet zu haben. Eine Überweisung in derselben Höhe aus dem Parteifonds habe die Summe ersetzt. "Ich nehme [Geld] aus dem Parteifonds. Das [JBS-] Geld ging an einen anderen Kongressabgeordneten", berichtigte er.
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2) Die brasilianischen Zeitung O Globo veröffentlichte am 28. September 2018 in einem Bericht, dass der gewählte Präsident falsche Vermögensangaben vor dem Obersten Wahlgericht gemacht und über 2,6 Millionen Real verschwiegen habe.
Die Zeitung errechnete diese Summe mithilfe eines Quervergleichs der Gerichtsdatenbank mit öffentlichen Informationen aus Notariaten. Ein so schwerer Verstoß gegen das Wahlgesetz macht eine Kandidatur normalerweise ungültig. Im Fall Bolsonaro hatte er keine negativen Konsequenzen. Doch nicht nur das: Verheimlichte Vermögenswerte entziehen sich der Besteuerung. Bis heute gibt es kein Verfahren wegen der Steuerhinterziehungen durch den Präsidenten.
3) Die Zeitschrift Veja veröffentlichte am 28. September eine Untersuchung von über 500 Seiten Gerichtsdokumenten aus dem Jahr 2008. Sie enthielt schwerwiegende Anschuldigungen, die von Bolsonaros Ex-Frau Ana Cristina Siqueira Valle in ihrem Scheidungsverfahren erhoben wurden. Sie behauptete, Jair Bolsonaro habe Vermögenswerte in Millionenhöhe verschwiegen (und bestätigt damit die Erkenntnisse von O Globo). Unter anderem soll er drei Häuser, ein Appartment, ein Geschäftsgebäude und fünf Grundstücke unterschlagen haben. Der größte Teil seines Einkommens stamme aus nicht identifizierten Quellen. Bolsonaro habe monatlich rund 100.000 Real eingenommen, doch sein Gehalt als Kongressabgeordneter und Militärreservist machte nur etwa ein Drittel davon aus.
Er habe sich zudem Schmuck und Bargeld in Höhe von 1,6 Mio. Real aus einem Banksafe angeeignet, den sie unter ihrem Namen führte. Obwohl der Diebstahl angezeigt wurde, verlief die gerichtliche Untersuchung ergebnislos. Keiner dieser Vorwürfe wurde bisher ordnungsgemäß untersucht, die Gerichte eröffneten an keinem Punkt Schritte wegen Steuerbetrug. Im Wahljahr widerrief Bolsonaros Ex-Frau die Anschuldigungen, gleichwohl sind sie in den Gerichtsakten registriert.
4) Laut einem Bericht der Zeitung Folha de S. Paulo vom 13. August hat Bolsonaro unter seinen 14 Büromitarbeitern im Parlament eine Person als Beraterin geführte, die nicht dort tätig war. Sie stand 15 Jahre lang auf der Gehaltsliste. Sie und ihr Mann sind mit der Familie Bolsonaro befreundet und erfüllen manchmal kleinere Aufgaben in Bolsonaros Sommerhaus. Bolsonaro bestritt die Vorwürfe der Zeitung. Erst nach einem zweiten Bericht hat er die Frau schließlich Ende August 2018 "entlassen".
Während ähnliche Fälle z.B. im Europaparlament als Skandal gelten, hat man in Brasilien nie ein Ermittlungsverfahren gegen Bolsonaro eingeleitet.
5) Die von den Prüfern der Wahlbehörde festgestellten Unstimmigkeiten in Bolsonaros Kampagnenfinanzierung wurden von sieben Richtern des Wahlgerichts inzwischen einstimmig als Bagatelle abgetan.
Die Unregelmäßigkeiten haben die Wahlen nicht in Frage gestellt", lautete das Urteil.
Einige Probleme seien von Bolsonaros Verteidigern im Nachhinein ausgeglichen worden. Die Richter verloren keine Worte über weitere bedeutende Kritikpunkte der Untersuchung.
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Die Rolle der Informatikfirma AM4 Brasil Inteligencia Digital, deren Rechnung für 144.600 Dollar dem Gericht nachgereicht wurde, bleibt ungeklärt. Die Prüfer hatten festgestellt, dass AM4 keine offizielle Erlaubnis besaß, Spenden für Bolsonaro über das Internet zu sammeln. Die 1,11 Millionen Wahlhilfe stammen jedoch ganz überwiegend aus dieser Quelle. Teilweise kamen sie auch von anonymen Spendern, was ebenfalls verboten ist.
Auch die Tatsache, dass über hundert Unternehmer zusammen 3,6 Millionen US-Dollar für Roboter-Kampagnen mit Fake News für Bolsonaro einsetzten, gilt offenbar nicht mehr als illegale Kampagnenfinanzierung durch Unternehmen. Im Laufe des Verfahrens ließ das Wahlgericht die beantragten Durchsuchungen der Büros und Privaträume von elf verdächtigen Firmen nicht zu. "Sie können sich selbst entlasten, wenn sie es wünschen", so die Richter.
5) Am 8. Dezember wurde eine weitere Story des Bolsonaro-Clans bekannt. Der zum Senator gewählte Sohn Flávio Bolsonaro hatte einen Chauffeur eingestellt, der nun vom Finanzministerium wegen verdächtiger Bankgeschäfte untersucht wird. Der Fahrer, ein Polizist namens Fabrício José de Carlos Queiroz, ist ein Freund der Familie Bolsonaro. Das Finanzministerium hatte festgestellt, dass zwischen Januar 2016 und Januar 2017 Transaktionen im Wert von einer Million Real (fast 264.000 US-Dollar) über Queiroz' persönliches Konto liefen – eine ungewöhnlich hohe Summe für einen Chauffeur. In einem Bericht des Rates für Finanzwesen (COAF) werden neun Berater und ehemalige Berater Bolsonaros genannt, die das Konto des Chauffeurs benutzten.
Jair Bolsonaro erfreute sich bis heute der großzügigen Toleranz der brasilianischen Justiz – man könnte sagen, er lebt in einem rechtsfreien Raum.
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