In seiner knapp zehnminütigen Ansprache per Video drohte Jair Bolsonaro seinen politischen Gegnern unverblümt mit einer Säuberungswelle. Wörtlich sagte der Favorit für die Stichwahlen am Sonntag:
Diese roten Verbrecher werden aus unserem Heimatland verbannt. Es wird eine Säuberung werden, wie sie in Brasiliens Geschichte noch nie vorgekommen ist.
Und einmal so richtig in Fahrt, ergänzte er: "Entweder gehen sie nach Übersee, oder sie gehen ins Gefängnis." Auch für den wegen Korruptionsvorwürfen inhaftierten ehemaligen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva hatte Bolsonaro eine Botschaft:
Du wirst im Gefängnis verrotten!
Zudem werde er auch seinen einzigen Herausforderer, Fernando Haddad von Lulas Arbeiterpartei (PT), hinter Gitter bringen: "Haddad wird bald bei dir sein, aber nicht nur zu Besuch", erklärte Borsonaro an die Adresse Lulas. Kurz vor der Stichwahl am Sonntag ist das größte Land Lateinamerika gespalten wie nie. Alles deutet auf einen Wahlsieg des Rechtsextremisten Bolsonaro hin, aber auch kaum ein Politiker ist so verhasst wie der "schneidige" Ex-Militär.
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Bolsonaro spricht abfällig über Frauen, Schwarze und Schwule. Einer linken Abgeordneten bescheinigte er einmal, sie sei es noch nicht einmal wert, vergewaltigt zu werden, weil sie zu hässlich sei. Bewunderung hegt er hingegen für die Militärdiktatur (1964-1985). Doch selbst diese dunkelste Stunde Brasiliens empfindet er noch als zu soft:
Das Problem der Diktatur war, dass sie nur gefoltert, aber nicht getötet hat.
Bolsonaro hat bereits angekündigt, Generäle an die Spitzen der Ministerien zu setzen. Von Menschenrechten, Gewaltenteilung und Liberalismus hält er nicht viel, oder besser: gar nichts. "Bolsonaro wird Brasilien nicht in eine Diktatur verwandeln, aber er wird die Demokratie in Gefahr bringen", sagt der Politologe Maurício Santoro Rocha von der Universität von Rio de Janeiro.
Vor allem Minderheiten, Arme und Aktivisten blicken mit Angst in die Zukunft. "In Brasilien gibt es viel Gewalt, und die schwarze Bevölkerung ist davon besonders stark betroffen", sagt die junge Aktivistin Gabriela Roza vom Netzwerk Umunna, das schwarze Frauen in die Politik bringen will. "Ich befürchte, dass es immer mehr Tote geben wird, weil Bolsonaro die Gewalt mit seinen Reden legitimiert."
Bolsonaro punktet auch beim ärmeren Bevölkerungsteil
Brasilien steckt in einer schweren Krise – viele Menschen wünschen sich einen radikalen Wechsel. Nach Jahren der Rezession kommt die Wirtschaft nur langsam wieder in Schwung, die Gewalt nimmt immer weiter zu, und fast die gesamte politische Klasse ist in Korruptionsskandale verwickelt. Obwohl Bolsonaro selbst seit rund 30 Jahren in der Politik mitmischt, ist es ihm gelungen, sich als Anti-System-Kandidat und Saubermann zu positionieren.
"Wir haben die Ablehnung der traditionellen Politik lange unterschätzt", räumt Politologe Santoro Rocha ein. "Bolsonaro ist das Symbol für einen tiefgreifenden Wandel." Der Hauptmann der Reserve hat eine Allianz zwischen Nationalisten, Evangelikalen und der Wirtschaftselite geschmiedet. Welche der rechten Strömungen in seiner Regierung künftig den Ton angeben wird, ist allerdings noch unklar.
Sein Gegenkandidat Fernando Haddad von der linken Arbeiterpartei (PT) hat der Wechselstimmung wenig entgegenzusetzen. Zwar distanzierte sich der frühere Bürgermeister der Millionenmetropole São Paulo zuletzt von seinem politischen Ziehvater Lula. Doch der Schatten des wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilten Ex-Präsidenten ist lang. Viele Wähler sehen in Haddad lediglich eine Marionette Lulas.
In der Favela Maré hat der Staat nicht viel zu melden. Kriminelle Banden wie das Comando Vermelho und das Terceiro Comando oder Milizen aus korrupten Polizisten und Funktionären haben das riesige Elendsviertel unter sich aufgeteilt. Halbstarke mit Sturmgewehren bewachen die Zufahrten, Fremde werden dort misstrauisch beäugt.
Selbst hier, wo die Menschen immer die Arbeiterpartei gewählt haben, macht Bolsonaro an Boden gut. "Mir gefällt, dass er etwas gegen die schlechte Sicherheitslage unternehmen will", sagt die 62-jährige Hausfrau Antonia Luisa Oliveira. Über 63.000 Menschen wurden im vergangenen Jahr in Brasilien getötet – da verfangen Bolsonaros Reden von einer Politik der harten Hand.
Bereits jetzt sind die brasilianischen Sicherheitskräfte für ihr brutales Vorgehen berüchtigt. Wenn die schwer bewaffneten Spezialeinheiten in die Favelas einrücken, gleichen die Straßen einem Kriegsgebiet. Im vergangenen Jahr töteten sie bei ihren Einsätzen über 5.000 Menschen. "Wenn Bolsonaro jetzt sagt, Polizisten, die Verbrecher töten, sollten ausgezeichnet werden, stellt er einen Freibrief für Massaker in den Favelas aus", sagt Sozialarbeiterin Lidiane Malanquini.
In einem Hinterhof stehen ein Dutzend junge Männer beisammen – Kalaschnikow über den Schultern, Pistolen im Hosenbund. Der 22-jährige Bandenchef sitzt auf einem Mauervorsprung und rollt einen Joint. "Wir haben schwere Waffen, um uns zu verteidigen", sagt er. "Wenn sie hier reinkommen, holen wir unsere Waffen heraus. Das gibt Krieg. Das wird wie Sodom und Gomorra."
Warnung gegen faschistische Bedrohung
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hat Bolsonaro als Gefahr für die Pressefreiheit bezeichnet. "Wenn Bolsonaro am Sonntag zum Präsidenten gewählt wird, stehen für die Pressefreiheit und damit für die Demokratie in Brasilien düstere Zeiten an", erklärte ROG-Deutschland-Geschäftsführer Christian Mihr. "Bolsonaros Hass- und Desinformationskampagnen spalten die ohnehin schon polarisierte Gesellschaft im Land weiter."
Reporter ohne Grenzen teilte am Freitag mit, Bolsonaros Wahlkampf sei von Hassreden, Desinformation und Gewalt gegen Journalisten geprägt gewesen. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte zuletzt Angriffe auf Journalisten während des Wahlkampfs beklagt und erklärt, die meisten Fälle gingen auf Bolsonaros Konto. Auch mit dem "Saubermann-Image" könnte es für Bolsonaro bald vorbei sein: Die brasilianische Justiz untersucht, ob Bolsonaro unrechtmäßige Wahlkampfhilfen angenommen hat.
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In einer am vergangenen Samstag beim Obersten Wahlgericht eingereichten Klage wird Bolsonaro vorgeworfen, Geld von Unternehmen bekommen zu haben, die über den Nachrichtendienst WhatsApp Falschinformationen verbreitet haben sollen, um Wähler zu manipulieren. Die Klage war von der linken Arbeiterpartei von Bolsonaros Gegenkandidaten Fernando Haddad eingereicht worden.
Laut der Tageszeitung O Globo nahm der Richter Jorge Mussi beim Obersten Wahlgericht die Klage an. Nun müsste die Bundespolizei Untersuchungen dazu einleiten, ob Bolsonaro von den Geldern wusste und damit gegen Gesetze verstoßen hat. Ex-Präsident Lula warb vor der Wahl am Sonntag derweil um Stimmen für seinen Parteifreund Haddad. "Es ist an der Zeit, das Volk und alle Demokraten zu vereinen", schrieb der ehemalige Staatschef am Mittwoch aus dem Gefängnis
Angesichts dieser faschistischen Bedrohung rufe ich alle dazu auf, den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen", hieß es in dem Brief.
Aus der ersten Runde der Präsidentenwahl Anfang Oktober war Bolsonaro mit 46 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervorgegangen. Am 28. Oktober trifft er in der Stichwahl auf den Zweitplatzierten Haddad. In Umfragen liegt Haddad 14 Prozentpunkte hinter Bolsonaro.
(Dieser Beitrag wurde unter Verwendung von dpa-Material erstellt)