von Maria Müller
Brasilianische Wissenschaftler forderten Facebook wenige Tage nach dem ersten Wahlgang bei den Präsidentschaftswahlen auf, bis zur Stichwahl am 28. Oktober mit zwei Maßnahmen das (überwiegend maschinelle) Weiterverbreiten von falschen Nachrichten in Facebook und WhatsApp zu begrenzen. Bereits vor zehn Tagen hat das brasilianischen Wahlgericht die Firma Facebook aufgefordert, 86 Nutzerkonten wegen Verbreiten von Lügen und Beleidigungen zu schließen.
Bei der Expertengruppe handelt es sich um Cristina Tardáguila, Direktorin der "Agentur Lupe". Diese Plattform prüft Nachrichten in Facebook und WhatsApp auf ihren Wahrheitsgehalt. Des Weiteren Fabrício Benevenuto, Informatikprofessor an der Universität von Minas Gerais, und Pablo Ortellado, Professor der Politikwissenschaft an der Universität von São Paulo.
Ihre Vorschläge richten sich vor allem gegen den Einsatz von WhatsApp-Roboter-Programmen. Diese können Nachrichten erfinden, aufbereiten und millionenfach verbreiten. Die "social-bots" arbeiten rund um die Uhr, sind auf Stichworte programmiert und können sofort neue Botschaften als Antwort auf Diskussionen in den WhatsApp-Gruppen erstellen. Die Experten berichteten über ihre Aktion:
Wir haben diese Woche WhatsApp kontaktiert und unsere Vorschläge vorgestellt. Das Unternehmen reagierte darauf, dass es nicht genug Zeit habe, um die Änderungen umzusetzen. Wir sind nicht seiner Meinung: In Indien hat WhatsApp nur ein paar Tage gebraucht, um Anpassungen vorzunehmen. Das Gleiche ist in Brasilien möglich."
Zum Zeitpunkt des Ersuchens hätte Facebook noch zwei Wochen Zeit bis zur Ballotage-Wahl gehabt. Die Wissenschaftler erklärten weiter:
Keiner unserer Vorschläge würde erfordern, dass WhatsApp seine Operationen einschränkt oder verhindert, dass Brasilianer mit Freunden und Familie kommunizieren. Wir schlagen nur vor, dass das Unternehmen vorübergehend Beschränkungen auferlegt, um das Übertragen falscher Nachrichten und gefährlicher Gerüchte vor einer entscheidenden Wahl zu stoppen."
Die zwei vorgeschlagenen Maßnahmen für WhatsApp lauten:
Obergrenze beim Weiterversenden.
Nach der Verbreitung von WhatsApp-Gerüchten in Indien, die zu mehreren Fällen von Lynchjustiz führten, hat Facebook eine Obergrenze von fünf Nachrichten beim Weiterversenden pro Nutzerkonto eingerichtet. Facebook sollte in Brasilien die gleiche Maßnahme ergreifen, um den Umfang der Fehlinformationen einzuschränken.
Grund: WhatsApp ermöglicht in Brasilien allen Benutzern, eine einzige Nachricht an bis zu 257 Kontakte gleichzeitig zu senden. So kann eine kleine und koordinierte Gruppe leicht eine groß angelegte Desinformationskampagne durchführen.
Mitgliederlimit für neue Gruppen.
Die Anzahl der Benutzer in neuen Chat-Gruppen, die in den wenigen verbleibenden Tagen vor der Stichwahl in Brasilien erstellt werden, sollte begrenzt werden. Das würde bestehende Gruppen von bis zu 257 erlaubten Mitgliedern nicht beeinträchtigen.
Die Weigerung von Facebook rückt die Firma in ein zweifelhaftes Licht. Sind es politische und/oder wirtschaftliche Interessen, die sie davon abhalten, für zwei Wochen ihre Aktivität in Brasilien einzuschränken? Die Problematik war ihr bereits vor den Erstwahlen bekannt. Ähnlich wie in Indien haben die Hasskampagnen des Kandidaten Jair Bolsonaro in Brasilien zu mehreren Morden geführt. Anhänger seines Rivalen und eine Trans-Person wurden unter Bolsonaro-Rufen der Täter getötet. Außerdem geht es um den Fortbestand der Demokratie in Brasilien.
Facebook versicherte dagegen in einer Presseerklärung, die Firma habe während der Wahlkampagne "hunderttausende" Nutzerkonten blockiert. Sie werde alles tun, um die Vorwürfe zu untersuchen. Facebook hat in Brasilien 120 Millionen Nutzer.
Die Erstmeldungen des Bolsonaro-Feldzugs kommen überwiegend aus den USA (Kalifornien) nach Brasilien, eine zweite Quelle wurde in Portugal identifiziert. Die Parteien denunzieren auch die Berateraktivitäten von Stephen Bannon an der Seite von Bolsonaro, dem Experten für Netzwerk-Kampagnen im Wahlkampf von Donald Trump.
Die Messenger-Firmen benutzen Datenbanken, die wiederum von Agenturen für digitale Werbestrategien verkauft werden. Der Ankauf von Nutzer-Daten ist jedoch nach brasilianischem Recht ebenfalls verboten.Andererseits hat Facebook selbst das Recht auf den Zugriff auf alle Telefonnummern der über 1,5 Milliarden Nutzer von WhatsApp und von sonstigen Firmen des Mark Zuckerberg. In Deutschland hat die Hamburger Agentur für Datenschutz diesen Zugriff verboten.
Das brasilianische Presseportal "Folha" veröffentlichte vor kurzem eine Untersuchung, nach der über hundert Unternehmer das Verbreiten von hunderttausenden von Meldungen finanzierten, mit denen Fernando Haddad diffamiert oder in einem schlechten Licht dargestellt wurde. Die käuflichen "Nachrichtenpakete" kosteten bis zu 3,2 Millionen Dollar.
Das schnelle Anwachsen der Stimmenzahlen für Jair Bolsonaro wirft die Frage auf, wie ein seit 27 Jahren unbedeutender Hinterbänkler des Parlaments in zwei bis drei Wochen seine jahrelang gleichbleibende Zustimmung von 17 Prozent in der Bevölkerung fast verdreifachen konnte. Ein solches Phänomen wäre ohne die lawinenartig ansteigenden Falschmeldungen gegen Haddad zugunsten von Bolsonaro nicht möglich gewesen.
Anfang Juli lag Bolsonaro noch bei 17 Prozent Zustimmung. Am 22. August markiert die Agentur Datafolha 22 Prozent. Am 6. September wird er bei einem Messerattentat verletzt und steigt danach leicht auf 24 Prozent an. Wenige Wochen später klettert er auf 26 Prozent. Er verzeichnete damit einen insgesamt bescheidenen Anstieg von sechs Prozent zwischen Anfang Juli und Mitte September. Doch wenige Tage vor den Wahlen sprang die Ziffer auf 41 Prozent. Bei den Erstwahlen verdoppelte er fast seine Anhängerschaft auf 46 Prozent. Wie ist das zu erklären?
Es gibt Stimmen in Brasilien, die neben der Wirkung der Facebook- und WhatsApp-Kampagnen einen Hackerangriff auf das digitale Wahlsystem Brasiliens befürchten. Bolsonaro selbst brachte diese Sorge noch vor seinem Sieg im ersten Wahlgang zum Ausdruck.
Andererseits haben die 50 Wahlbeobachter der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) vor den Erstwahlen die Wahlmaschinen überprüft. Die Leiterin der Beobachtermission, Laura Chinchilla, Ex-Präsidentin von Costa Rica, erklärte:
Das System hat eine starke Legitimation.
Sie warnte jedoch davor, dass Kampagnen mit Falschmeldungen dazu führen könnten, dass die Wahlen ihre Gültigkeit verlieren.
Es gibt in Brasilien - im Gegensatz zu Venezuela - keinen ausgedruckten Zettel des Rechners, an dem der Wähler seine Stimme eintippt. Es existiert deshalb kein Stimmenbeleg für den Wähler und die Parteien, wodurch ein materielles Nachzählen der Ergebnisse unmöglich ist. Auffällig ist dabei jedoch, dass es diesen Belegzettel bei den vorherigen Wahlen gab. Er wurde erst im Juni dieses Jahres abgeschafft. Man darf nichts Böses dabei denken.
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