von Maria Müller
Der Richter des Obersten Wahlgerichts Brasiliens, Carlos Horbach, fällte am vergangenen Freitag ein Urteil gegen die Woge von Fake News, die den Wahlkampf in Brasilien überschwemmt.
Laut diesem ersten Urteil müssen 50 Facebook-Konten geschlossen werden, weil sie eindeutige Falschinformationen und Verunglimpfungen zum Schaden des Präsidentschaftskandidaten der Arbeiterpartei (PT), Fernando Haddad, in Umlauf brachten. Viele diffamierende Texte, Fotomontagen und Videos richteten sich auch gegen die Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, Manuela D'Ávila. Am darauffolgenden Montag ordnete dann der Richter Sérgio Banhos die gleiche Maßnahme in 38 weiteren Fällen an.
Facebook wurde angewiesen, die Seiten innerhalb von 24 Stunden zu schließen. Außerdem soll die Internet-Firma die Identität der Besitzer der Konten dem Gericht übergeben, damit Strafverfahren eingeleitet werden können.
Die Anwälte der beiden Kandidaten der PT hatten bei Gericht Beschwerde eingelegt. Manuela d'Avila erhielt nach aggressiven Facebook-Meldungen bereits vor dem ersten Wahlgang Drohungen und musste Polizeischutz beantragen.
Es gab Fotos von Kindern in sexualisierter Aufmachung mit der Behauptung, Manuela d'Avila würde das unterstützen. Oder ein Bild, auf dem sie ein T-Shirt mit der Aufschrift "Jesus ist schwul!" trug. Wieder andere Botschaften behaupteten, dass, wenn Haddad die Wahlen gewinnen würde, Kinder ab fünf Jahren Eigentum des Staates wären.
Schon kurz vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober hat eine Umfrage ergeben, dass 75 Prozent der Wähler fürchten, dass die gefälschten Nachrichten ihre Wahlentscheidung beeinflussen könnten. Nicht ohne Grund. Denn die sozialen Netzwerke spielen eine wichtige Rolle in der Kampagne des rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro von der Sozial-Liberalen Partei (PSL), der die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober gewonnen hat.
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Allen voran WhatsApp. Hier können problemlos Nachrichten über die Kandidaten verbreitet werden, von denen viele falsch sind, denn sechs von zehn brasilianischen Wählern konsumieren Videos und politische Nachrichten über WhatsApp. Die Nutzer von Facebook unterstützen nach einer Umfrage von Datafolha zu 40 Prozent Bolsonaro, gegenüber einer Gruppe von 22 Prozent, die Haddad befürworten.
Haddad schlug seinem Rivalen einen gemeinsamen Pakt gegen Diffamierungen vor, dem sich Bolsonaro jedoch verweigerte.
Die Manager der Kampagne des Ex-Militärs veröffentlichten über die sozialen Medien falsche Nachrichten. Sogar aus dem engen Familienkreis Bolsonaros kamen Fake News. Wenige Tage vor der ersten Wahlrunde verbreitete einer der Söhne des Kandidaten über Twitter, die Kodifizierungsziffern der Wahlurnen seien nach Venezuela geschickt worden. Das Oberste Wahlgericht dementierte die Meldung umgehend.
Einen Tag nach der ersten Wahl veröffentlichte ein anderer Sohn Bolsonaros ein Video auf Twitter, in dem Haddad seinen Wunsch ausdrückte, dass Lula Präsident werde. Das Video wurde jedoch zu einem Zeitpunkt gedreht, als Haddad noch nicht für das Präsidentenamt kandidierte. Es entstand jedoch der Eindruck, er habe diese Rede direkt nach dem ersten Wahlgang gehalten.
Der Sohn Carlos Bolsonaro verbreitete einen Text, laut dem Haddad sogar Inzest verteidigen würde. "Wie groß ist der Wahnsinn meines Gegners? Nun beschuldigt er mich, Inzest zu verteidigen? Wohin kommen wir denn mit so was?", äußerte sich Haddad entsetzt. In einem Interview mit der Zeitung El País erhob der PT-Kandidat Anklage gegen seinen Gegner und die falschen Nachrichten, die auf WhatsApp kursierten:
Bei mir kommen solche maßlosen Erfindungen an, dass ich schon fast soweit bin, mich selbst nicht mehr wählen zu wollen! Aber ich habe nichts anderes erwartet. Bolsonaro, er ist der gruseligste Typ, den ich in meinem öffentlichen Leben jemals getroffen habe.
Laut einer anderen Meldung werden Kinder ab fünf Jahren Eigentum des Staates, wenn Haddad die Wahlen gewinnt. Es ist schwer zu messen, wie solche Behauptungen die Wähler beeinflussen, denn sie zielen auf die Gefühlslage der Menschen und produzieren Antipathien, ohne dafür rationale Gründe zu haben.
Am Wahltag selbst gab es Nachrichten über Wahlbetrug und falsche Videos über Manipulationen der Wahlurnen. Schwer zu sagen, welchen Einfluss diese Art von Informationen auf das Wählerverhalten haben.
Die Menge der von den Netzwerken und von WhatsApp versandten falschen Nachrichten hat selbst das Oberste Wahlgericht verblüfft:
Das Wahlgericht versucht zunächst, das Phänomen zu verstehen. Es ist nicht einfach zu verstehen, es ist nicht leicht zu verhindern und es ist nicht ausschließlich ein brasilianisches Problem. Der Gerichtshof beobachtet das Geschehen aufmerksam", kommentierte die Präsidentin des Gerichts, Rosa Weber, das Phänomen.
Um den falschen Daten entgegenzuwirken, sind mehrere Faktenprüfungsprojekte entstanden, darunter "Wahlen ohne Fake", ein Projekt, das die Falschmeldungen zu widerlegen versucht. Es überwacht mehr als 270 WhatsApp-Gruppen, von denen 37 ausschließlich Bolsonaro unterstützen.
In den Wochen vor den Wahlen haben wir eine Zunahme der Aktivität von Pro-Bolsonaro-Gruppen in den Netzwerken festgestellt, insbesondere bei WhatsApp. Seine Unterstützer waren immer aktiver als die anderen", so Fabricio Benevenuto, Leiter des Prüfungsprojekts.
Die Anti-Fake-Nachrichtenprojekte spielen eine notwendige Rolle dabei, die Bevölkerung aufzuklären und zu alarmieren. Doch wenn eine Fake-Nachricht erstmal draußen ist, kann man ihre Konsequenzen schwerlich zurückdrehen oder stoppen. Benevenuto fasst zusammen:
Man kann das ein wenig eindämmen, aber der Schaden ist bereits angerichtet. Wahrscheinlich wird dieses Material weiter zirkulieren.
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