von Maria Müller
Lula ist seit vier Monaten inhaftiert und in zweiter Instanz wegen "passiver Korruption und Geldwäsche" verurteilt. Die Prozesse seien von groben Verfahrensfehlern und fehlenden Beweisen gekennzeichnet, kritisieren brasilianische und internationale Rechtsexperten. Zwei weitere Gerichtsinstanzen stehen noch aus. Auch die Inhaftierung Lulas ist umstritten, da sie durch eine für Korruptionsfälle extra verabschiedete Ausnahmeregelung ermöglicht wurde. Angeklagte in Brasilien können sonst nicht vor dem letzten Urteilsspruch inhaftiert werden.
Der frühere Präsident Brasiliens (2003–2010), der mit einer Zustimmung von 87 Prozent aus dem Amt schied, steht seit Monaten mit 30 Prozent an erster Stelle der Kandidaten. Meinungsumfragen zeigen, dass er bei einer Zweitwahl gewinnen würde. Nach seiner Inhaftierung hat es zahlreiche Demonstrationen in ganz Brasilien gegeben, die seine sofortige Freilassung fordern. Eine Gruppe von Unterstützern befindet sich seit dem 31. August vor dem Polizeigefängnis in Curitiba im Hungerstreik. Die Arbeiterpartei Brasiliens "PT" hat am 15. August offiziell die Kandidatur Lulas für die Wahlen am 7. Oktober eingeschrieben.
Dagegen legte die Generalstaatsanwältin Raquel Dodge umgehend Beschwerde ein. Sie beantragte beim Obersten Wahlgericht, Lulas Kandidatur nicht zuzulassen. Außerdem bestätigte Richter Moro vom Regionalgericht Curitiba, der Lulas Strafe in zweiter Instanz auf 12 Jahre erhöhte, erneut sein Urteil. Laut Wahlgesetz darf ein in zweiter Instanz Verurteilter nicht gewählt werden. Das Wahlgericht wird nun entscheiden, ob Lula zur Wahl zugelassen wird.
Im Wortlaut fordert der UN-Menschenrechtsausschuss von Brasilien, dass "alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Lula während seiner Haft seine politischen Rechte als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen 2018 ausüben kann."
Außerdem dürfe Lula nicht von der Wahlkampagne ausgeschlossen werden, bis seine Einspruchsverfahren ihren korrekten juristischen Verlauf genommen haben. Lulas Besuchsregelung wurde seit Beginn seiner Inhaftierung stark eingeschränkt. Man verweigert ihm den Kontakt mit den Pressemedien und Parteifreunden.
An der ersten Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten durfte er nicht teilnehmen – auch nicht in Form einer Videokonferenz, was durchaus möglich gewesen wäre. Sein Mitkämpfer und Kandidat als Vizepräsident, Fernando Haddad, war ebenfalls von der Debatte ausgeschlossen, an der nur Präsidentschaftskandidaten teilnehmen konnten. Inzwischen gab es eine zweite Runde, bei der Lula und sein Vize wiederum nicht anwesend waren. Hier zeigt sich offen der politische Hintergrund des Justizverfahrens gegen Lula.
Zu Beginn der Fernsehdebatte sagte der Kandidat der Partei Freiheit und Sozialismus, Guilherme Boulos:
Einen guten Abend für Präsident Lula, der heute unter uns sein müsste, sich jedoch ungerechterweise im Gefängnis von Curitiba befindet, während Temer sich in Brasilia frei bewegt.
Der Text der UN aus Genf weist darauf hin, dass Brasilien das Zusatzprotokoll zum UN-Zivilpakt unterzeichnet und die damit verbundenen Rechtsnormen in die brasilianische Gesetzgebung aufgenommen hat. Damit erkennt das Land auch die Verpflichtung an, Forderungen des Menschenrechtsausschusses zu befolgen.
Die Anwälte von Lula da Silva hatten vor dem UN-Ausschuss per Dringlichkeitsantrag um drei Maßnahmen gebeten:
- Sofortige Freilassung bis nach den Urteilen des Obersten Gerichtshofs und des Obersten Regionalgerichts
- Zugang zu den Medien und Kontakt mit seiner politischen Partei
- Anerkennung seiner Kandidatur.
Das in Genf ansässige Gremium ging auf die erste Forderung nicht ein, doch es unterstützt die anderen beiden.
Der frühere Außenminister Brasiliens, Celso Amorim, äußerte sich dazu vor der Presse:
Brasilien hat zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt den Forderungen aus Genf nach oder es begibt sich auf das Niveau eines internationalen Underdog.
Der ungewählte Präsident Temer, dem nach einer aktuellen Umfrage nur noch 3 Prozent der Bevölkerung Sympathie entgegenbringen, reagierte sofort auf die Menschenrechtsforderungen.
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"Das ist rechtlich nicht verpflichtend", so seine Antwort. Temers Außenminister veröffentlichte am vergangenen Freitag eine diplomatische Note, in der behauptet wird, die Schlussfolgerungen des Ausschusses seien "rechtlich nicht bindend". Der Ausschuss habe seine Entscheidungen ohne vorherige Konsultationen getroffen. Es handelte sich bei den "Entscheidungen" jedoch lediglich um Empfehlungen.
Die Arbeiterpartei PT hat für alle Fälle einen Alternativplan. Demnach soll Fernando Haddad die Rolle des Präsidentschaftskandidaten übernehmen. Vizepräsidentin wird dann Manuela D’Ávila, die Vorsitzende der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB). Beide Parteien haben ein Wahlbündnis gestartet, dem sich auch die linke "Republikanische Partei für die soziale Ordnung" anschloss. Gleisi Hoffmann, Präsidentin der PT, erklärte gegenüber der Presse, das Ziel dieser neuen Koalition sei es,
eine fortschrittliche und soziale Kraft zu schaffen, die das Land wieder regieren kann.
Fernando Haddad ist Professor für Politikwissenschaften, Wirtschaftsexperte und besitzt einen Doktortitel in Philosophie. Unter Lula und Dilma Rousseff war er Erziehungsminister, danach Bürgermeister von Sao Paulo, der größten Industriestadt Brasiliens.
Falls Lula den Status als Präsidentschaftskandidat erhält, geht sein Prozess weiter. Falls er gewählt wird und die Berufungsrichter seine bisherige Strafe bestätigen, gehen seine Wählerstimmen verloren.