Brasilien: Landesweite Proteste gegen Inhaftierung von Ex-Präsident Lula

Solidaritätsbekundungen für den Präsidentschaftskandidaten in vielen Städten Brasiliens. Menschenrechtsvertreter sprechen von Isolationshaft. Das Oberste Gericht will eine Verfassungsänderung neu diskutieren, die seine Inhaftierung aussetzen könnte.

von Maria Müller

Seit der Inhaftierung von Luiz Inácio Lula da Silva („Lula“) am 7. April gab es in zahlreichen brasilianischen Städten Demonstrationen, Veranstaltungen und Solidaritätsaktionen, bei denen die Freilassung des Ex-Präsidenten gefordert wurden. Auch in verschiedenen lateinamerikanischen und europäischen Ländern fanden Solidaritätskundgebungen statt.

Vor dem Polizeigefängnis in der Stadt Curitiba, wo Lula inhaftiert ist, haben tausende Sympathisanten auf der Straße ein Widerstandscamp errichtet. Am 11. April fanden sich dort neun Provinzgouverneure Brasiliens ein. Sie wollten Lula besuchen, erhielten jedoch keine Erlaubnis. Richter Sérgio Moro verfügte eine Besuchsbeschränkung. Er wolle kein einziges Privileg erlauben. Man könne keine Sonderrechte gewähren, so seine Begründung.

Nach einem Antrag vor dem Obersten Gericht gelang es nun elf Senatoren der Menschenrechtskommission des brasilianischen Parlaments, Lula am vergangenen Mittwoch zu besuchen. Lula ist von anderen Gefangenen isoliert, nur seine Rechtsanwälte können ihn täglich sehen, Familienangehörige dürfen nur mittwochs kommen. Freunde oder Amtsträger wurden bislang nicht zugelassen. Er hat ein Fernsehgerät auf der Zelle.

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Die Senatoren wollen sich nun bemühen, dass die Kontaktmöglichkeiten gelockert werden. Senator João Capiberibe von der Sozialistischen Partei Brasiliens erklärte:

Lula ist kein gewöhnlicher Gefangener, er ist ein politischer Gefangener und Präsidentschaftskandidat mit den meisten Stimmenchancen. Ein einzigartiger Fall in der Geschichte Brasiliens. Er ist 72 Jahre alt, und kann nicht so isoliert werden.

„Es handelt sich um einen früheren Präsidenten der Republik, der auf ungerechte Weise inhaftiert wurde“, sagte auch Gleisi Hoffmann, Präsidentin der Arbeiterpartei PT, der Lula angehört.

Anwälte fordern Rückkehr zu früheren Verfassungsgrundsatz

Bereits in der Vorwoche sollte im Obersten Gerichtshof eine Debatte wieder aufgegriffen werden, um ein in Brasilien umstrittenes Justizthema zu klären. Es geht um die Frage, ob die Verhaftung nach einem Urteil in zweiter Instanz verfassungsgemäß ist, wenn noch nicht alle Einspruchs- und Revisionsverfahren abgeschlossen sind. Die brasilianische Verfassung von 1988 fordert im Artikel fünf, Absatz LVII:

Niemand darf in einem Strafprozess bis zum Abschluss aller juristischen Verfahren als schuldig gelten.

Dieser Rechtsgrundsatz wurde in Brasilien bis zum Jahr 2016 überwiegend respektiert. Doch dann veränderte das Oberste Gericht dieses Prinzip, um wegen Korruption und Geldwäsche angeklagte Personen noch vor Ende ihrer Verfahren inhaftieren zu können.

Das Ergebnis der Debatte hätte direkte Auswirkung auf die Inhaftierung Lulas. Die mächtige Vereinigung der Rechtsanwälte Brasiliens (OAB) hat beantragt, den früheren Verfassungsgrundsatz wieder in die Praxis der Justiz einzuführen und die Änderung von 2016 abzuschaffen. Die Stimme der Richterin Rosa Weber ist im Kräfteverhältnis des Obersten Gerichts dafür ausschlaggebend. Sie will einer Revision jedoch nur zustimmen, wenn dadurch nicht nur der Fall Lulas betroffen ist.

Am Mittwoch hat auch das Regionalgericht Südbrasiliens, welches Lula zu der extrem hohen Strafe von 12 Jahren verurteilte, das letzte Einspruchsverfahren seiner Verteidiger abgelehnt. Begründung: Man könne das Bestreben der Verteidigung nicht zulassen, da das Gericht erneut all das untersuchen müsse, was man bereits in den vorhergegangenen Verfahren bewertet habe. Dennoch können die Anwälte Lulas noch vor zwei Gerichtsinstanzen verlangen, dass das Verfahren überprüft und revidiert wird.

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