Von Dmitri Jewstafjew
Meldungen, wonach Verhandlungen zwischen Delegationen der USA und Venezuelas über eine friedliche Lösung und Deeskalation des drohenden Konflikts auf Anordnung des US-Präsidenten Donald Trump abgebrochen wurden, haben zwar kein Erstaunen hervorgerufen, gaben aber reichlich Stoff zum Nachdenken. In Trumps Eskalation um Venezuela und den Präsidenten Nicolás Maduro persönlich spiegeln sich Änderungen der Weltlage, anhaltende imperialistische Ambitionen der USA, Machtkämpfe innerhalb von Trumps Administration, Einfluss der persönlichen Ambitionen des US-Präsidenten auf getroffene Entscheidungen sowie die Rückkehr historischer Bumerangs wider.
Am einfachsten wäre es, den Stopp der Verhandlungen mit Trumps Erkenntnis zu verbinden, dass er in diesem Jahr keinen Friedensnobelpreis erhalten könnte und sich mit dem eigenen Imperialismus nicht zurückhalten müsse. Dennoch könnte darin ein Kern der Wahrheit liegen.
Es scheint aber, dass die Gründe für Trumps Aktionen tiefer liegen. Fangen wir damit an, dass die USA ohne eine absolute Dominanz in Lateinamerika kaum den Status eines unumstrittenen globalen Anführers beanspruchen können. Und nichts verdeutlicht die schwindenden Möglichkeiten der USA nicht nur weltweit, sondern auch in der eigenen Einflusssphäre besser, als die Unfähigkeit, den Präsidenten Maduro abzusetzen.
Erinnern wir uns, dass die Versuche, Maduro abzusetzen, im Jahr 2019 begonnen wurden, ausgerechnet als Trump das Amt des US-Präsidenten innehatte. In gewisser Hinsicht führt er also die eigene Agenda seiner ersten Amtszeit zu Ende. Ähnlich vollendete der US-Präsident George Bush der Jüngere die von seinem Vater begonnene Zerschlagung des Irak.
Darin liegt ein wichtiges Merkmal der US-Politik, nämlich die Notwendigkeit, unvollendete Geschäfte zu Ende zu führen, um die "Pax Americana" weiter aufzubauen. Für Bush den Jüngeren war die Zerschlagung des Irak ein Schlüssel zu einer zweiten Amtszeit und ein Mittel, die in Erscheinung tretenden unangenehmen Details der Anschläge vom 11. September 2001 zu überdecken.
Auch Trump hat Zwielichtigkeiten zu verstecken und innerpolitische Ziele zu erreichen. Es ist nicht nur der Fall Epstein. Trump muss sein Erscheinungsbild als oberster Befehlshaber festigen, damit keine Zweifel an Befehlen aufkommen, die er seiner Armee erteilen wird.
Ein bemerkenswerter Umstand ist, dass Verhandlungen mit Vertretern Venezuelas von Richard Grenell angeführt wurden – Trumps Vertrautem mit großer, allerdings ambivalenter diplomatischer Erfahrung. Doch wie der Großteil der Quellen zeigt, war für den Abbruch der Verhandlungen die Meinung des bekannten "Falken" und Leiters des Außenministeriums, Marco Rubio, ausschlaggebend. Das Institut erwies sich als wichtiger als ideologische Nähe, wie auch sonst in der US-Politik. Wahrscheinlich wird sich dieser Trend auch in anderen Bereichen zeigen.
Eine Intervention in Venezuela erschien für die USA als der leichteste Weg, die eigene globale Macht und die Bereitschaft zu zeigen, die für die USA ungünstigen Tendenzen der jüngsten Jahre zu wenden. Dabei ist es wahrscheinlich auch für Trump offensichtlich, dass eine Intervention in Venezuela, selbst wenn sie im Format eines "kleinen siegreichen Kriegs" erfolgen würde, dem US-Präsidenten die Lösung seiner innenpolitischen Probleme wohl kaum erleichtern wird. Doch was, wenn die Intervention nach einem negativen Szenario verlaufen wird?
Im Weißen Haus wird ein solches Szenario in Betracht gezogen. Doch ein wichtiger Unterschied der Situation um Venezuela zu den vorherigen US-Interventionen in Lateinamerika liegt darin, dass seit der Invasion in der Schweinebucht am 17. April 1961 die Eskalation und das Sammeln von Kräften niemals zuvor so lange gedauert haben. Üblicherweise erfolgten US-Interventionen in lateinamerikanischen Ländern blitzschnell. Beispielhaft dafür sind die Interventionen in Grenada 1983, in Panama 1989 bis 1990 und sogar die Landung auf Haiti im Jahr 1994. Gegenwärtig laufen die Vorbereitungen für eine Intervention seit über einem Monat …
Dennoch wurden Verhandlungen über einen freiwilligen Rücktritt von Maduro erst in den jüngsten Tagen abgebrochen. Anscheinend ist sich Trump des Potenzials des US-Militärs nicht vollkommen sicher und will dem venezolanischen Präsidenten durch Macht der USA Furcht einjagen, damit er selbst sein Amt verlässt. Doch Venezuelas Präsident ließ sich zu Trumps Leidwesen nicht einschüchtern. Dies passiert nicht zum ersten Mal, doch zum ersten Mal erhält er so viel Zeit, um den Widerstand vorzubereiten.
In gewisser Hinsicht ist es Trumps Stil: nicht nur Gewalt anwenden, sondern möglichst viel PR-Profit daraus schlagen und idealerweise so tun, als ob ihm die ganze Welt dafür dankbar ist. Daher baut er ebenso sorgfältig wie wenig überzeugend das Narrativ der Bekämpfung von Drogenkartellen auf. Zuvor erforderte eine Intervention in Lateinamerika keine ausführliche Begründung für die "Kanonenbootdiplomatie". Dies ist ein Zeugnis von sozialen und demografischen Änderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft, auf die das Weiße Haus Rücksicht nehmen muss.
Heute macht niemand einen Hehl daraus, dass es sich um einen Versuch handelt, Venezuelas Öl unter Kontrolle zu bringen, ohne die Trumps Pläne zur Verwandlung der USA in eine Kohlenwasserstoff-Supermacht kaum zu verwirklichen sind. Washington benötigt garantierte Lieferungen des venezolanischen Öls an die US-Raffinerien, um den eigenen Export von Schiefer-Kohlenwasserstoffen zu steigern. Darin liegt das wichtigste strategische Ziel von Trumps Administration, viel wichtiger, als der Friedensnobelpreis.
Doch auch hier gibt es ein Detail: Das wichtigste "Ölproblem" der Region ist das Schicksal der rohstoffreichen, umstrittenen Region Esequibo, die sowohl von Venezuela, als auch von Guayana beansprucht wird. Dort sind US-Ölkonzerne jetzt schon aktiv. Doch betrachtet man all das rein geografisch, so erinnern die Geschehnisse schmerzhaft an die Situation um den Gazastreifen, der ebenfalls ein Schlüssel zu Öl- und Gasvorkommen des östlichen Mittelmeeres ist. Möglicherweise ist das Ziel der US-Intervention in Venezuela die Überführung dieser Region unter ein US-Protektorat, genauso wie Trump ein pseudointernationales, faktisch aber ein US-amerikanisches Protektorat des Gazastreifens anstrebt.
Freilich hat es all das bereits in der US-Politik in Lateinamerika gegeben: Auf eine ähnliche Weise konstruierten die USA Panama. Wohlbemerkt geschah dies unter dem US-Präsidenten Theodore Roosevelt, den Trump nachzuahmen versucht und der – was für ein Zufall – den Friedensnobelpreis für die Vermittlung des Friedensvertrags von Portsmouth zwischen Russland und Japan erhalten hatte.
All das zeigt, dass der US-amerikanische Interventionismus, der sich in irgendwelche liberalen Werte gehüllt hatte, vorbei ist. Der "gute" alte US-amerikanische Rohstoffimperialismus und die "Kanonenbootdiplomatie" betreten erneut die geopolitische Bühne.
Übersetzt aus dem Russischen. Verfasst speziell für RT am 8. Oktober.
Dmitri Jewstafjew ist ein russischer Politologe und Amerikanist. Er ist Doktor der Politikwissenschaften und lehrt am Institut für Medien der Wirtschaftshochschule Moskau. Jewstafjews Spezialgebiete sind militärpolitische Fragen der nationalen Sicherheit Russlands, der Außen- und der Militärpolitik der USA sowie der regionalen Probleme der Kernwaffen-Nichtverbreitung. Er ist Mitverfasser wissenschaftlicher Monografien und zahlreicher Artikel.
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