Von Andrew Korybko
Schlussendlich gelang es Russland, die ukrainische Festungsstadt Awdejewka nach einer langwierigen Schlacht doch noch zu erobern und einzunehmen, was mit einem chaotischen Rückzug der Truppen des Kiewer Regimes endete, die dabei kurzerhand ihre Verwundeten zurückließen. Die Stadt fiel just zu dem Zeitpunkt unter die Kontrolle Russlands, als sich die westliche Elite zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz einfand. Dies gab ihnen nun die bequeme Gelegenheit, die nächsten Schritte in diesem Stellvertreterkrieg gegen Russland zu planen.
Allerdings wird es für die Ukraine keine nennenswerten Finanzhilfen mehr geben, trotz der kürzlich abgeschlossenen Sicherheitsabkommen zwischen der Ukraine, Deutschland und Frankreich. Vielmehr wird der Fokus des Westens auf einer langfristigen Eindämmung Russlands in Europa liegen. Zu diesem Zweck wird die Rolle Deutschlands als bevorzugter Partner der USA in der EU bei der "Führung aus dem Hintergrund" stärker hervorgehoben. Dies steht in Verbindung mit dem "militärischen Schengen" und der Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks zur Beschleunigung des Aufbaus der "Festung Europa".
Diese beiden Konzepte lassen sich in etwa so zusammenfassen: Deutschland wird seine umfassende Dominanz über Polen ausnutzen, damit es nach einer fast acht Jahrzehnte langen Unterbrechung seinen lang verloren geglaubten Weg zu einer Supermacht wieder aufnehmen kann. Der Grund, warum sich der Westen nach Awdejewka auf die Beschleunigung dieses geostrategischen Wandels konzentrieren wird, anstatt an seinem Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine festzuhalten, liegt darin, dass inzwischen klar geworden ist, dass sein Engagement in der Ukraine eine verlorene Sache ist.
Russland hat den Zermürbungskrieg mit der NATO, den Generalsekretär Stoltenberg vor fast genau einem Jahr ausgerufen hat, bereits gewonnen, wie bereits das Scheitern der Gegenoffensive der Ukraine und die anschließende Umkehr der Dynamik in diesem Konflikt bewiesen haben, wodurch die Ukraine nun erneut in die Defensive geraten ist. Syrski, der Nachfolger des ehemaligen Oberbefehlshabers Saluschny, gab dies vergangene Woche ausdrücklich zu, noch vor dem katastrophalen Rückzug aus Awdejewka, das als Kiews letzte große Bastion im Donbass galt.
Nun sind die Voraussetzungen für eine bevorstehende russische Offensive geschaffen, die im besten Fall – aus Sicht Moskaus – und im schlimmsten Fall – aus Sicht des Westens – über den Rest dieser Region hinwegrollen könnte. Das heißt nicht, dass dies tatsächlich passieren wird, weil der sogenannte "Nebel des Krieges" es unmöglich macht, die volle Verteidigungsfähigkeit der Ukraine hinter ihren eigenen Linien genau abzuschätzen. Aber nicht ohne Grund ist der Westen in Panik geraten und hat Selenskij beschlossen, dem Westen die Schuld an seiner jüngsten Niederlage zu geben.
Er beklagte sich darüber, dass ein sogenannter "künstlicher Mangel an Waffen" dafür verantwortlich sei, womit er auf den Stillstand im US-Kongress anspielte, der weiterhin über die Hilfen für die Ukraine debattiert, die von Biden ausdrücklich befürwortet werden, um Druck auf seine politischen Gegner auszuüben. Der unerwartete Tod von Nawalny am vergangenen Freitag wurde von antirussischen Falken ausgenutzt, um zu fordern, dass das Repräsentantenhaus bei der Wiederaufnahme seiner Beratungen in diesem Monat das Gesetz des Senats zur Finanzierung des Stellvertreterkriegs verabschiedet. Doch selbst wenn es verabschiedet wird, besteht das Problem darin, dass die USA bereits ihre eigenen Arsenale geleert haben.
Während es möglich wäre, auf die eisernen Reserven zurückzugreifen, die man für die eigenen nationalen Sicherheitsbedürfnisse zur Seite gelegt hat, und gleichzeitig die Vasallen dazu zu zwingen, dies ebenfalls zu tun, deutet die Tatsache, dass die Gegenoffensive gescheitert ist, darauf hin, dass dies keinen Unterschied mehr machen wird. Schließlich hat Kiew bisher wesentlich größere Hilfen erhalten als jene, die derzeit in den USA zur Debatte stehen. Was auch immer an Waffen und Granaten an Kiew geschickt werden könnte, würde lediglich dazu dienen, die Frontlinie so lange wie möglich zu halten, um einen russischen Durchbruch zu verhindern. Das Ziel wäre, die Pattsituation aufrechtzuerhalten, von der Saluschny als Erster zugab, dass sie bereits im vergangenen Herbst eingetreten ist.
Um ehrlich zu sein, war seine Einschätzung unzutreffend, da sich die Frontlinie kontinuierlich in Richtung Westen bewegt hat – wenn auch schwerfällig. Aber nach der Eroberung von Awdejewka durch Russland, könnte sich das Tempo in Richtung Westen beschleunigen. Präsident Putin hat bereits signalisiert, dass die russischen Truppen weiter vorrücken werden, solange seinen Forderungen nach Sicherheitsgarantien nicht entsprochen wird. Und dies, nachdem er kürzlich Bedauern geäußert hatte, dass er den Beginn der Sonderoperation nicht früher angeordnet hat.
Am Sonntag, nach dem Fall der ukrainischen Festungsstadt, unterstrich Putin in einem Interview mit Pawel Sarubin vom russischen TV-Sender Rossija-1, dass ein Sieg für Russland "eine Frage von Leben und Tod" sei.
Es bleibt unklar, wann und zu welchen Bedingungen der Konflikt enden wird, aber das Menetekel zeichnet sich ab und es ist deutlich zu erkennen, dass Russlands Forderungen nach Sicherheitsgarantien bis zu einem gewissen Grad erfüllt werden. Ebendarum plant der Westen – nach Stoltenbergs eigenen Worten –, sich auf eine jahrzehntelange "Konfrontation" mit Russland einzustellen. Darin liegt die Bedeutung des geostrategischen Wandels, der oben beschrieben wurde, hinsichtlich der Rolle Deutschlands bei der Eindämmung Russlands in Europa.
Zur Aufwärmung für diese Konfrontation werden europaweit zahlreiche NATO-Übungen im Rahmen von "Steadfast Defender 2024"durchgeführt – die größten seit dem Ende des alten Kalten Krieges. Diese zielen darauf ab, die teilweise Umsetzung eines "militärischen Schengen" zwischen Deutschland, Polen und den Niederlanden zu optimieren, dem Frankreich voraussichtlich mittelfristig ebenfalls beitreten wird. Auch die baltischen Staaten werden sich voraussichtlich daran beteiligen, da sie Unterstützung beim Aufbau ihrer sogenannten "Ostsee-Verteidigungslinie" benötigen, die sich bis zur Arktis erstrecken könnte, falls sich Finnland wie erwartet ebenfalls beteiligt.
Somit kommt das wiederbelebte Weimarer Dreieck ins Spiel, weil Deutschland auf die Unterstützung Frankreichs angewiesen ist, denn Berlin kann dies alles realistischerweise nicht alleine bewältigen. Was wiederum die militärische Unterordnung Polens erforderlich macht. Vor den Augen der Welt nimmt daher ein Militärkorridor von Frankreich nach Estland allmählich Gestalt an, der über Dänemark und Schweden nach Finnland führen könnte – wobei Schweden ein NATO-Beitrittskandidat ist und somit diesem neuen "Schengen" voraussichtlich ebenfalls beitreten wird.
Die Eroberung von Awdejewka durch Russland wird daher in ganz Europa nachhallen und die Umsetzung dieser langfristigen Eindämmungspläne beschleunigen. Es ist diese geostrategische Dynamik, der Beobachter mehr Aufmerksamkeit schenken sollten als allem anderen, weil das Wiedererwachen der längst aufgegeben geglaubten Ambitionen Deutschlands, eine Supermacht zu sein, eine Entwicklung von globaler Bedeutung ist.
Mehr zum Thema – Die Hasshändlerin – Julia Nawalnaja, Werkzeug zur Anstachelung eines russischen Bürgerkriegs
Aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.