Von Maria Müller
In Guatemala läuft seit dem Wahlsieg des progressiven Kandidaten Bernardo Arévalo im vergangenen August ein Putsch in Etappen. Der 65-jährige Soziologe, Botschafter und Abgeordnete wurde im August mit 58 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Guatemalas gewählt. Arévalo ist durch sein Engagement in der Korruptionsbekämpfung bekannt, die seit wenigen Jahren mit Programmen der USA unterstützt wird. Er soll mit der Sympathie der demokratischen Partei der USA rechnen können. Doch der noch amtierende Präsident Alejandro Giammattei führt mithilfe des Justizapparats und seiner Parteienmehrheit im Kongress einen erbitterten Kampf, um die Wahl zu annullieren und Arévalo juristisch auszuschalten.
"Früher kamen sie mit Soldaten, Panzern und Maschinengewehren … nach drei Tagen war der Putsch fertig. Heute kommen sie mit Richtern und Staatsanwälten … das dauert etwas länger",
sagte ein Demonstrant vor der Presse. So läuft auch der Putsch gegen den neuen Präsidenten Arévalo, gegen seine Vizepräsidentin, die Biologin Karin Herrera, und seine gesamte Partei "Bewegung Saatgut". Letztere wollte man bereits im Wahlkampf verbieten.
Ein wahrer Regen an Anschuldigen prasselt nun auf Arévalo nieder. Staatsanwälten und Kongressabgeordneten gelang es, die juristische Immunität des gewählten Präsidenten aufzuheben. Er soll nun wegen angeblicher Fälschungen beim Zulassungsantrag seiner Partei juristisch belangt werden. Es gab 31 Hausdurchsuchungen und 27 Haftbefehle gegen deren Mitglieder, darunter Parlamentsabgeordnete, von denen acht vorübergehend inhaftiert wurden.
Die Oberstaatsanwaltschaft hat die Wahlen für ungültig erklärt, nachdem zwei ihrer Beamten ohne Vorwarnung und Erlaubnis in die Räume des obersten Wahlgerichts eingedrungen waren und Wahlakten mit den Auszählungen einfach mitgenommen hatten.
Doch der gesamte Wahlvorgang fand unter der Kontrolle lateinamerikanischer Wahlbeauftragter sowie von Beobachtern der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Europäischen Union statt. Das Oberste Wahlgericht bescheinigte die Echtheit aller Vorgänge.
Guatemala, Jahrzehnte der Diktaturen und der Apartheid gegen die Maya-Indigenen
Das mittelamerikanische Land ist bis heute von einer Art "Apartheid-Kultur" geprägt, die die indigene Maya-Bevölkerung als Menschen zweiter Klasse behandelt, obgleich sie die Hälfte der 15 Millionen Einwohner ausmacht. Ausgegrenzt, ausgeraubt und entrechtet – so blicken sie auf eine grausame Geschichte unter den Diktaturen von 1954 bis 1985 zurück. In dieser Zeit fand ein systematischer Völkermord statt, der mit den SS-Massakern im Zweiten Weltkrieg vergleichbar ist.
Danach wurde es nicht viel besser. Bis heute herrscht eine "schwache" Demokratie, oder eher eine "Scheindemokratie", die wahre Macht im Staat haben Drogenkartelle und eine korruptionsgewohnte Elite, die sich bis vor wenigen Jahren unter dem Schirm der USA unantastbar fühlte. Allerdings wandelte sich der US-Einfluss, Anti-Korruptionsprogramme sollten in den letzten Jahren für mehr Ordnung sorgen. Auch scheinen die Migrationswellen aus Mittel- und Südamerika zum Umdenken im (nicht mehr so) reichen Norden geführt zu haben. Guatemala ist ein Migrationskorridor – wie Mexiko.
Die mit dem organisierten Verbrechen verbundene Oberschicht, ihre willfährige Staatsverwaltung und ihr Militär fürchten nicht zuletzt auch strafrechtliche Konsequenzen, falls der neue Präsident wie vorgesehen tatsächlich am 14. Januar sein Amt antritt.
Claudia González, eine prominente Menschenrechtsanwältin, sagte über Arévalo: "Es wäre ein wahres Wunder, wenn er sein Amt antritt!" Sie war 82 Tage inhaftiert, weil sie in einer von den Vereinten Nationen unterstützten Anti-Korruptions-Mission mitgearbeitet hatte, die in Guatemala inzwischen verboten ist. Dutzende Richter und Staatsanwälte wurden ins Exil gezwungen. Die letzten Richter, die das Land verließen, waren nun Mitglieder der Wahlbehörde, die die Wahlergebnisse bestätigt und das Verbot von Arévalos Partei blockiert hatten. Am selben Tag, an dem der Kongress ihre Immunität aufhob, bestiegen die Richter das Flugzeug, um Guatemala zu verlassen.
Die Lage spitzt sich zu. Internationale Institutionen reagieren.
Angesichts der kritischen Lage reagierten die internationalen Organisationen wie die UNO, die OAS, die EU und Politiker verschiedener westlicher Staaten.
So erklärte Volker Türk, der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, am Montag:
"Ich fordere die zuständigen Behörden, darunter den derzeitigen Präsidenten (Alejandro Giammattei) und die Justiz noch einmal auf, sich für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und die Gewährleistung der Achtung des Wahlergebnisses einzusetzen."
Auch der Generalsekretär der UNO, António Guterres, schrieb auf X:
"Wir sind wegen der Ereignisse in Guatemala besorgt und fordern einen reibungslosen Machtwechsel."
Das Generalsekretariat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilt den Putschversuch der Oberstaatsanwaltschaft Guatemalas:
"Die Handlungen und Aussagen der Staatsanwälte Rafael Curruchiche und Leonor Morales stellen eine Änderung der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes dar."
Thomas Peyker, der Botschafter Europas in Guatemala, kündigte Sanktionen der EU gegen Guatemala an. Selbst Josep Borrell verurteilte die Versuche, die Wahlen in Guatemala zu annullieren. Die Betrugsvorwürfe seien unbegründet.
Frühere Präsidenten, Minister und Politiker der lateinamerikanischen Puebla-Gruppe forderten die OAS auf, die in ihrer Charta von 2001 enthaltene Demokratieklausel wegen der "schwerwiegenden Verstöße" anzuwenden.
Die Mobilisierung der Mayas für die Demokratie und ihre Menschenrechte
"Unser heutiger Kampf gilt nicht der Saatgut-Partei oder Bernardo, sondern um das bisschen Demokratie, das wir noch haben", sagte Rigoberto Juárez, ein 66-jähriger indigener Anführer, der ursprünglich aus Huehuetenango im westlichen Hochland Guatemalas stammt. Er fügte hinzu, sie hätten ihr Vertrauen in Arévalo gesetzt, "und die Nichtanerkennung dieser Wahl ist ein Angriff auf die indigenen Völker".
Es gibt nur eine einzige indigene Abgeordnete (von insgesamt 190) im Parlament von Guatemala. Das ist ein Symptom für den Ausschluss der Mayas aus dem kulturellen und politischen Leben. Es gibt öffentliche Gelder weder für eine wirtschaftliche Infrastruktur in ihren Gebieten noch für ihre Institutionen noch für Schulen noch Krankenhäuser. Gleichzeitig werden die indigenen Gemeinden von ihrem angestammten Land vertrieben, denn internationale Konzerne wollen die wertvollen Bodenschätze ausbeuten (Gold, Silber, Nickel, Kupfer).
Andererseits haben sich sie ihre traditionelle Gesellschaftsorganisation, ihre eigene Justiz, Kultur und Produktionsweisen bewahrt, was es ihnen erlaubte, trotz aller Verfolgung und Zerstörung selbstständig zu überleben und die eigene Identität zu bewahren. Auf dieser Grundlage fordern sie heute erneut ihre Rechte ein, wie sie in den international verabschiedeten Verlautbarungen der UNO und der OAS zum Ausdruck kommen. Sie kämpfen für eine Demokratie – ohne Illusionen über das ihnen fremde "Wertesystem".
Proteste, Kundgebungen, Straßenblockaden, Widerstandscamps, Demonstrationen …
Bereits zu Beginn der Justizkampagne gegen den neu gewählten Präsidenten riefen die Maya-Indigenen Anfang Oktober zu einem landesweiten Streik auf und gingen auf die Straße. Besser gesagt, sie blockierten die Überlandverbindungen und erschwerten die Versorgung der Städte. Doch nach wenigen Tagen machten humanitäre Gesichtspunkte die Blockaden durchlässig, die man Anfang November an schrittweise beendete. Gleichzeitig kampierten indigene Demonstranten zwei Monate lang vor dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft. Sie forderten den Rücktritt der Staatsanwältin Consuelo Porras, die in der Justizkampagne eine führende Rolle spielt. Auch die Staatsanwälte Rafael Curruchiche, Cinthia Monterroso und Freddy Orellana sollen vom Amt suspendiert werden.
Nach zahlreichen Protesten im ganzen Land riefen die "althergebrachten Autoritäten" der Maya-Gemeinden am 7. Dezember erneut zu einer Demonstration in der Hauptstadt Guatemala-Stadt auf. Ziel waren vor allem der Oberste Gerichtshof, das Verfassungsgericht und die Oberstaatsanwaltschaft.
Am 12. Dezember richteten die Repräsentanten von rund 30 lokalen Maya-Verwaltungen eine Petition an die OAS, die seit Anfang November eine Beobachter- und Vermittlerdelegation in Guatemala einsetzt. Die Maya fordern von der OAS, ihre Demokratieklausel anzuwenden und damit Guatemala aus dem gesamtamerikanischen Staatenbund auszuschließen.
Außerdem werden Sanktionen gegen die Anführer des Putsches gefordert, allen voran gegen den bisherigen Präsidenten Alejandro Giammattei und seinen Vizepräsidenten, gegen die Oberstaatsanwaltschaft und gegen zwei Richter. Und die OAS müsse das Verfassungsgericht auffordern, mit einem speziellen Erlass zum Schutz der Demokratie die verfassungsmäßige Ordnung und die Gültigkeit des Wahlprozesses von 2023 zu gewährleisten.
Die international anerkannten Indigenen-Rechte
Bei den Kundgebungen zur Verteidigung der Demokratie erinnerten die Maya an die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker von 2007, die ihre traditionellen Forderungen unterstützt:
"… Indigene Völker und Menschen sind frei und allen anderen Völkern und Menschen gleichgestellt, … es ist dringend notwendig, insbesondere ihre Rechte auf ihr Land, ihre Gebiete und ihre Ressourcen zu achten und zu fördern…"
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